Der US-Präsident ist in der Pflicht
War es Ungeschick oder Absicht, dass Trumps neuer Sicherheitsberater John Bolton den Nordkoreanern mit dem „libyschen Modell“droht? Zufall sicher nicht. In der Sache hat Bolton unbestreitbar recht. Machthaber Kim Jong-un muss endlich verbindlich und eindeutig definieren, was er unter „Denuklearisierung“der koreanischen Halbinsel verstehen will. Südkorea und die USA können dafür nicht sehr viel leisten, sie haben dort keine Atomwaffen stationiert. Schon seit Jahren sind auch die potenziell Nuklearwaffen tragenden US-Bomber auf amerikanische Stützpunkte im Ausland verlegt worden. Eine unmittelbare Bedrohung für Nordkorea ergibt sich daraus nicht.
Erwartet Diktator Kim wirklich, dass auch die USA generell auf Atomwaffen verzichten? Dann kann er sich die Reisekosten nach Singapur tatsächlich sparen. Den USA – und das ist auch die weltweite Erwartung – geht es darum, eine weitere Atommacht zu verhindern. Nicht mehr und nicht weniger, auch wenn einige Falken in der US-Administration einen Regimewechsel in Pjöngjang nicht ungern sehen würden. Ziel des Singapur-Gipfels zwischen Trump und Kim kann und wird das nicht sein.
Es gibt aber auch keinen Zweifel, dass Sicherheitsberater Bolton gern provoziert. Der Libyen-Vergleich dient gewiss nicht einer erquicklichen Gesprächsatmosphäre. Und es könnte dahinter auch politisches Kalkül stehen. Es gibt den Verdacht, dass Kim-Gegner im Weißen Haus den nordkoreanischen Diktator gern in die Enge treiben möchten. Nach dem Motto: friss oder stirb! Sollte nämlich am Verhandlungstisch nichts für die USA herausspringen, könnte Präsident Trump auch der Versuchung nachgeben, Kim mit Krieg zu drohen. Das wünschen sich Hardliner wie Bolton.
Daraus jedoch eine seriös geplante Konspiration abzuleiten, wird dem Ernst der Lage nicht gerecht. Präsident Trump ist und bleibt in der Pflicht, die USA, Ostasien und eigentlich die ganze Welt friedlich von einer weiteren Atombedrohung zu befreien.