Drama um die schönste Frau der Welt
Regisseur Robert Teufel schafft mit „Helena“in Memmingen ein kraftvolles Bild, dem aber Tiefenschärfe fehlt
MEMMINGEN - Ein Spiel über und mit Wahrheit sowie „alternativen Fakten“bringt das Landestheater Schwaben im Großen Haus in Memmingen auf die Bühne – mit einem Stück aus dem Jahr 412 vor Christus: Euripides’ „Helena“, das die mythischen Geschehnisse um den Trojanischen Krieg umdeutet.
Der Trojaner-Prinz Paris entführt Helena von Sparta, schönste Frau der Welt und Gattin des Königs Menelaos. Das beschwört nicht nur dessen Rache- und Eroberungsgelüste herauf, sondern führt letztlich ein gigantisches Griechenheer vor die Tore Trojas. Soweit in Kürze die bekannte Version. Das vermeintlich Vertraute ist jedoch Täuschung, so die Aussage bei Euripides: Wie im bekannten Mythos hatten auch bei ihm die Götter fleißig die Hand im Spiel – nur führte Paris in Wahrheit ein Trugbild mit sich und die echte Helena (Claudia Frost) erleidet seit Jahren ein Exil in Ägypten, wo sie dem aussichtsloser werdenden Kampf gegen die Werbung des Königs Theoklymenos ausgeliefert ist. Wie aus Scherben fügt sich nach und nach die Geschichte zusammen, mit jedem Auftritt der ihrerseits vereinzelten Figuren.
Isoliert wandert Helena umher, verloren vor schwarzem Bühnenhintergrund mit Plastiksitzen wie an einer Haltestelle. Frost legt viel Pathos und Bitterkeit in die heimatlose und verleumdete Königin, die ihr Los und den Verlust ihres Mannes Menelaos beklagt. Helena wähnt ihren Mann tot – wieder eine Falschinfo. Tatsächlich ist eben ein ziemlich zerlumpter Menelaos (Jens Schnarre) gestrandet, der sich nach Kriegsschrecken und als Schiffbrüchiger an feindlichen Ufern nicht weniger glücklos und „abgeschlagen von den Göttern“fühlt. Er hält das Trugbild weiterhin für Helena. Bis beide zueinander finden, einen Fluchtplan fassen, ist einiges zu klären.
Sobald aber Helena und Menelaos – auch auf der Bühne – erkennbar zusammenrücken, fügen sich die Scherben zum Gesamtbild. Das Geschehen verdichtet sich, die Dialoge geraten in Fluss. Anfangs pressen die Figuren die Worte fast stoßartig hervor – das irritiert, erschließt sich aber später. Die langen Pausen in dieser Phase schärfen das Gehör für Duktus und Rhythmik der Sprache, die Autor Peter Handke fand, um den altgriechischen Versen bei der Übertragung ins Deutsche gerecht zu werden. Und sie gewähren den nötigen Raum, um die Worte ihre Wirkmacht entfalten zu lassen. Getragen wird das vom überzeugenden Ensemble.
Teilweise wirkt die Inszenierung von Robert Teufel seltsam unentschlossen. Sie erschafft ein kraftvolles Bild, dem es im Nebeneinander der Aspekte aber an Tiefenschärfe fehlt: Da ist Helena – eine Frau, die dagegen aufbegehrt, dass ihre Identität und ihr Dasein der Deutung von Männern unterliegen. Da ist das Motiv der fortwährenden Täuschungen – durch eine solche lässt Theoklymenos am Ende unbeabsichtigt das Objekt seiner Begierde ziehen. Hinzu kommen die Götter als diffuse übergeordnete Instanz, die Wahrheiten schafft oder verschleiert und die Menschen gewissermaßen fremdbestimmt handeln lässt. So stellt sich die Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit autonomen Handelns. Doch nichts davon wird besonders ausgeleuchtet, sodass es prominent aus dem Gesamtgeschehen hervortreten würde.
Weitere Aufführungen sind am
17. und 23. Mai (jeweils 20 Uhr),
3. Juni (19 Uhr) sowie 23. und 26. Juni (20 Uhr). Karten: Telefon 08331 / 945916.