Von Gipfel zu Gipfel
Der Steig über die Nagelfluhkette gilt als eine der eindrucksvollsten Wandertouren des Allgäus
STEIBIS - Ein herrlicher Rundblick: Weit im Westen verschwindet der Bodensee im Dunst, nach Norden hin liegen verstreut Orte und Gehöfte zwischen Waldhügeln, Richtung Süden geht es weit hinauf zu unzähligen Alpengipfeln. Willkommen auf dem Hochgrat gleich beim Gipfelkreuz, einem begehrten Aussichtspunkt. Zur warmen Jahreszeit herrscht dort selten Einsamkeit. Wanderer drängen sich herum, packen ihr Vesper aus. Fragt man speziell nach morgendlichen Aufstiegen besonders sportliche wirkende Bergfreunde, wohin es den ganzen langen Tag noch gehen soll, verheißt die Antwort gerne eine schweißtreibende Tour: vom Hochgrat Richtung Osten über sechs weitere Gipfel bis zum Mittagberg bei Immenstadt.
Die Wegzeit beträgt bei normaler Wandergeschwindigkeit rund sechs bis sieben Stunden. Von der Entfernung her sind circa 14 Kilometer zu bewältigen. Dies ist aber noch die sanftere Variante. Bei ihrer Wahl wird zum Aufstieg die Hochgratbahn hinter Steibis und zum Abstieg die Immenstädter Mittagbahn genommen. Eine recht komfortable Lösung. Wem es nach dem vollen Programm zumute ist, der verlässt sich komplett auf seine Füße. Großzügig gerechnet sollten dann noch bis zu vier Stunden hinzuaddiert werden. Vielleicht ist in diesem Fall auch das Mitnehmen einiger Blasenpflaster eine gute Idee.
„Herrgottsbeton“
Bekannt ist die Route als NagelfluhGratwanderung. Wobei Nagelfluh die Gesteinsart bezeichnet, aus der die gleichnamige Bergkette besteht: einem sehr harten, zusammengebackenen Gemisch aus Geröll. „Herrgottsbeton“nennen Einheimische den Untergrund. Nicht überall schaut er heraus. Die Nagelfluhkette kennt viel Erdabdeckung. Wo der Steig aber über den Herrgottsbeton geht, lässt sich darauf besser wandern als etwa auf scharfkantigem Karstgestein. Klar ist dabei, dass als Fußbekleidung nur gute Bergstiefel wirklich verantwortungsvoll sind.
Die beste Zeit für die Tour liegt zwischen Ende Mai und Ende Oktober. Das Losziehen über die Nagelfluhkette lohnt sich auf jeden Fall. Wanderführer beschreiben die Tour als „eine der eindrucksvollsten Wandertouren, die man im Allgäu unternehmen kann“. Klettern muss man dafür nicht können. Problematische Stellen sind mit Stahlseilen gesichert. Am Steineberg kann zum leichten Nervenkitzel eine 17 Meter hohe Leiter an einer steilen Felswand begangen werden. Wem dies zu hoch ist, kann eine harmlose Umgehung wählen. Trotzdem ist Schwindelfreiheit für die Gesamttour von großem Vorteil.
Die wirkliche Herausforderung besteht jedoch im dauernden Auf und Ab entlang der Gipfel und Grate. Dies geht nicht nur in die Knochen. Irgendwann zum Ende der Tour schlägt es ebenso gerne aufs Gemüt und zwar dann, wenn einer nach dem x-ten Gipfelsieg erkennt, dass es noch mal runter- und noch mal raufgeht, et cetera, et cetera. Da muss der eine oder andere innere Schweinehund immer wieder intensiv bekämpft werden. Es existieren zwar Notabstiege. Empfehlenswert sind sie nicht. Wer aber partout nicht mehr will, hat eine akzeptable Abbruchmöglichkeit ungefähr in den Streckenmitte zwischen Sedererstuiben und Stuiben. Dort lockt zudem Willensschwache die Aussicht auf eine weiter unten gelegene Einkehrmöglichkeit, die Gundalpe. Abgesehen vom Anfangs- und Endpunkt der Tour ist der Wanderer entlang der Gratlinie ansonsten auf sein mitgeschlepptes Vesper angewiesen.
Generell wäre es aber schade, die bisherige Marschleistung ohne Not durch einen Abstieg zu entwerten auch wenn der Rückweg dann einfacher wird. Zumal zugegebenerweise auch die beschriebene Tourenplanung einen Erleichterungstrick enthält. Höchster Punkt der Wanderung der Hochgrat mit seinen 1834 Metern über Meeresniveau. Der Mittagberg als letzte Erhebung zählt 1451 Meter. Der Wanderer spart sich in dieser Richtung also einige Höhenmeter vorausgesetzt, er benutzt die Hochgratbahn. Unterm Strich bleiben
dann noch insgesamt 750 Aufstiegsmeter übrig. Für alle, die vom Tal her aufbrechen und dort die Tour beenden wollen, ist die Richtung zumindest in der Kategorie Anstrengung nicht relevant. Ob von West nach Ost oder umgedreht: Die Zahl der Aufstiegsmeter bleibt gleich. Prinzipiell lässt sich auch von Immenstadt oder der Bergstation am Mittag gut über die Nagelfluhkette marschieren. Ein Pluspunkt hierbei: Man hat morgens die Sonne im Rücken. Nur eines sollte jeder berücksichtigen: Egal wo der Touranfang ist, am Schluss müssen alle sehen, wie sie wieder zum Ausgangspunkt zurückkommen. Mittels öffentlichen Bussen funktioniert dies eigentlich gut. Eine rechtzeitige Studie des Fahrplans ist aber ratsam.