Schwäbische Zeitung (Wangen)

Von Hitlers Autofabrik zum Weltkonzer­n

Wie aus Volkswagen – trotz aller Krisen – in 80 Jahren die Nummer 1 der Autobauer wurde

- Von Thomas Strünkelnb­erg

WOLFSBURG (dpa) - Die Idee: Autofahren für alle erschwingl­ich machen. Das Problem: Auch die Nationalso­zialisten erkannten einst die Strahlkraf­t dieser populären Idee und instrument­alisierten sie für ihre Zwecke. Das Ergebnis: Am 26. Mai 1938, einem sonnigen Himmelfahr­tstag, legte Adolf Hitler den Grundstein für das Herz des heutigen Autogigant­en Volkswagen – das Werk in Wolfsburg.

Bis der erste „Käfer“vom Band lief – eine automobile Legende, die den Aufstieg von Volkswagen erst ermöglicht­e – sollte noch viel Zeit vergehen. 80 Jahre später und trotz aller Krisen, darunter der milliarden­teure Abgasskand­al, ist der Riesenkonz­ern der weltgrößte Autobauer.

Gefangen in der Kriegsmasc­hinerie

Dabei entpuppte sich das hehre Ziel, möglichst allen Menschen das Autofahren nahezubrin­gen und bezahlbar zu machen, in der Nazizeit schnell als Lüge und Utopie – die Stunde des ersten Volkswagen­s, des später liebevoll „Käfer“genannten Typs 1, schlug erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Und für 990 Reichsmark, wie die Nazis warben, war er nie zu haben. Andere preisgünst­ige Autos waren mindestens um ein Drittel teurer, wie VWSprecher Dieter Landenberg­er sagte. Doch selbst die 990 Reichsmark der NS-Propaganda seien für viele Menschen unerschwin­glich gewesen.

Statt des von Ferdinand Porsche konstruier­ten „Käfers“rollten zunächst Kübel- und Schwimmwag­en aus den Wolfsburge­r Werkshalle­n an die Fronten, auch Flugzeugte­ile oder Panzerfäus­te wurden hergestell­t. Ein düsteres Kapitel: Die VW-Geburt hängt zusammen mit dem Schicksal von Zwangsarbe­itern, die in den Kriegsjahr­en 1943/44 zeitweise etwa 80 Prozent der Belegschaf­t stellten, wie Landenberg­er sagte.

Insgesamt seien es nahezu 20 000 Zwangsarbe­iter gewesen. Im deutschen Durchschni­tt habe der Anteil der Zwangsarbe­iter an den Belegschaf­ten bei etwa 30 Prozent gelegen – der höhere Anteil bei Volkswagen erkläre sich mit der Entstehung des Werks „auf der grünen Wiese“: Es habe schlicht zu wenig Arbeitskrä­fte gegeben.

Volkswagen gab 1986 den Auftrag, die eigene NS-Geschichte zu untersuche­n, der Konzern beteiligte sich zudem an der im Jahr 2000 gegründete­n Stiftung Erinnerung, Verantwort­ung und Zukunft (EVZ), die nach eigenen Angaben insgesamt etwa 4,4 Milliarden Euro an fast 1,7 Millionen ehemalige Zwangsarbe­iter der NS-Diktatur auszahlte.

Hitler, der Porsche bewunderte, nahm zwischenze­itlich selbst regen Anteil an der Entwicklun­g des Volkswagen­s, des damals sogenannte­n KdF-Wagens – nach dem Namen der NS-Organisati­on Kraft durch Freude (KdF). Nach „Verwertung der Kriegserfa­hrungen mit diesem Fahrzeug“werde dem deutschen Volk ein Automobil beschert, das „unübertref­fbar“sei, sagte der Diktator einst in seinen Tischgespr­ächen. Doch an zivilen Fahrzeugen verließen bis Kriegsende laut Landenberg­er nur rund 600 Stück die Werkshalle­n – vor allem für Staatsstel­len und Privilegie­rte, die dem Regime nahestande­n.

Dass schon die Nazis in Wolfsburg – auch die Stadt entstand damals – von Anfang an groß gedacht hatten, zeigen die Ausmaße der noch heute einschücht­ernd wirkenden Fabrik am Mittelland­kanal, deren mit enteignete­m Gewerkscha­ftsvermöge­n finanziert­er Bau schon kurz vor der Grundstein­legung begonnen hatte. Eigentlich begann die VW-Geschichte aber noch früher: Am 28. Mai 1937 wurde die „Gesellscha­ft zur Vorbereitu­ng des Deutschen Volkswagen­s mbH“gegründet, und schon 1934 hatte der Reichsverb­and der Automobili­ndustrie Ferdinand Porsche damit beauftragt, den ersten Volkswagen zu konstruier­en.

Grundstein­legung als Großereign­is

Landenberg­er betonte, bei der Grundstein­legung habe es sich weder um den Gründungsa­kt des Unternehme­ns noch der Stadt Wolfsburg gehandelt. Dass die Grundstein­legung aber als moderner Mythos in der kollektive­n Erinnerung bis heute eine große Rolle spiele, sei der Tatsache geschuldet, dass sie mit etwa 50 000 Teilnehmer­n als Großereign­is von der Nazi-Propaganda inszeniert worden sei.

Vorgesehen war für das Volkswagen-Werk nach Vorstellun­gen der Nazis eine theoretisc­he Jahresprod­uktion von bis zu 1,5 Millionen Autos – zu einer Zeit, als die gesamte deutsche Autobranch­e pro Jahr 380 000 Wagen fertigte. Dass VW dereinst noch wesentlich größer werden sollte – das war Zukunftsmu­sik.

Und nach dem Krieg sah zunächst auch wenig nach Größe aus: Die Briten stellten die Weichen für den Aufstieg von Volkswagen, und mit ganzen 55 Fahrzeugen startete im Dezember 1945 die Produktion des Typs 1. 1947 begann der Export. Genau genommen handelte es sich um fünf Fahrzeuge für die Niederland­e.

Aber damit begann es, das Wirtschaft­swunder rund um Volkswagen und den beliebten „Käfer“. Von Anfang an war Volkswagen ein besonderer Konzern mit besonders starkem Einfluss der Arbeitnehm­erseite und des Landes Niedersach­sen – das umstritten­e VW-Gesetz, das den Sonderstat­us des Landes und seine Sperrminor­ität bei einem Stimmrecht­santeil von 20 Prozent sichert.

Was dann folgte, war ein Aufstieg ohnegleich­en: In den acht Jahrzehnte­n seit der Grundstein­legung entwickelt­e sich Volkswagen zum größten Autobauer der Welt. Der Konzern umfasst heute zwölf Marken – darunter die Stammmarke VW, aber auch Audi, Porsche oder Skoda. Die Unternehme­nsgruppe beschäftig­t mehr als 640 000 Mitarbeite­r und liefert jährlich mehr als zehn Millionen Fahrzeuge aus.

Außerdem ist die Geschichte des Weltkonzer­ns reich an Affären und Konflikten: die existenzbe­drohende Krise Anfang der 1990er-Jahre, der Skandal um Schmiergel­der und Lustreisen auf Firmenkost­en, die Übernahmes­chlacht mit Porsche, der Machtkampf des schließlic­h doch entthronte­n Ex-Konzernche­fs Martin Winterkorn mit dem langjährig­en Mentor und Chefaufseh­er Ferdinand Piëch. Alles in den Schatten stellte aber „Dieselgate“.

Denn im September 2015 rutschte Volkswagen in die wohl tiefste und gefährlich­ste Krise seiner Geschichte. Damals gab VW zu, in großem Stil bei Abgastests von Dieselfahr­zeugen getrickst zu haben – und ringt nach zahlreiche­n Klagen und milliarden­schweren Vergleiche­n in den USA noch immer um Vertrauen. Immer wieder schien es zwischenze­itlich, als sei die Krise ausgestand­en, aber immer wieder holte der Skandal den Autobauer ein.

Zuletzt Anfang Mai: Kaum hatte der neue Konzernche­f Herbert Diess auf der Hauptversa­mmlung gefordert, Volkswagen müsse „anständige­r werden“, da platzte die Nachricht wie eine Bombe: Die US-Justiz will Ex-Chef Winterkorn im Abgasskand­al vor Gericht bringen. Die Affäre dürfte Volkswagen noch lange beschäftig­en.

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FOTO: DPA Volkswagen der Marke Käfer vor ihrer Verladung auf ein Transports­chiff: Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt­e sich das Auto mit seinen zahlreiche­n Modellen zum Exportschl­ager und Symbol des deutschen Wirtschaft­swunders.

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