„Schwieriger, als einen Kühlschrank zu bauen“
Airbus-Raumfahrt-Chef Nicolas Chamussy (49) über neue Missionen ins All und die Weltraum-Konkurrenz
IMMENSTAAD - Immer neue Satelliten, ein fliegender Astronauten-Assistent und vielleicht sogar eine Mission zum Mars: Im Raumfahrt-Geschäft scheint momentan nichts unmöglich. Eine wichtige Rolle bei vielen Projekten spielt Europas führender Verteidigungs- und Raumfahrtkonzern Airbus Defence and Space, der in Immenstaad am Bodensee einen wichtigen Standort hat. Airbus-Raumfahrtchef Nicolas Chamussy (49) nimmt im Gespräch mit Alexander Tutschner Stellung zu den aktuellen Weltraumprojekten von Airbus.
Herr Chamussy, was war aus Ihrer Sicht das spannendste Raumfahrtprojekt in den vergangenen Jahren?
Das ist eine schwierige Frage für mich. Ein Leuchtturmprojekt war für mich das automatische Transferfahrzeug (Automated Transfer Vehicle/ATV). Ich war der verantwortliche Manager für das Projekt und konnte einen wesentlichen Beitrag zur Versorgung der Internationalen Raumstation (ISS) leisten. Das hat uns die Tür zur Nasa-Mission Orion geöffnet.
Und in naher Zukunft?
Wir haben gerade den ersten Teil der BepiColombo-Raumsonde nach Kourou verschifft, sie wird noch in diesem Jahr ins All geschossen. BepiColombo wird zum Merkur fliegen und diesen untersuchen. Das ist eine absolut aufregende Mission, wesentliche Teile davon wurden bei Airbus in Immenstaad hergestellt. Mit Sentinel-3-B haben wir gerade einen Erdbeobachtungssatelliten von Russland aus ins All geschossen, bald folgen die beiden Zwillingssatelliten Grace-Fo zur Vermessung des Erdschwerefeldes von Kalifornien aus. Drei spannende Satellitenprojekte, die allesamt in Europa entwickelt und produziert wurden. Das ist doch großartig!
Mit der Orion-Mission will die Nasa tief in das Weltall vorstoßen, auch daran ist Airbus beteiligt ...
Orion ist eine gute Weiterführung von vielen Dingen, die wir bei Airbus in Europa entwickelt haben, vor allem in Deutschland. Wir haben dabei drei wichtige Programme verantwortet. Das erste war das Columbus-Modul, das vor zehn Jahren ins All zur ISS gebracht wurde. Es arbeitet absolut zuverlässig, deutsche Qualität könnte man sagen. Das gilt auch für die fünf ATV-Versorgungsflüge, in deutsch-französischer Zusammenarbeit. Das Orion-Servicemodul wird auch unter der Führung von Airbus entwickelt in enger Zusammenarbeit mit Lockheed Martin in den USA. Das ist ein sehr spannendes Programm. Geplant sind mit unserer Beteiligung zunächst zwei Missionen, eine unbemannte mit einem Flug um den Mond (2019/20), und eine bemannte, die weit darüber hinaus fliegen wird (2023). Wir hoffen, dass noch viele Orion-Flüge folgen werden.
Das langfristige ist Ziel des OrionProjektes ist es, irgendwann den Mars zu erreichen, ist das überhaupt möglich?
Technisch wäre das kein Problem. Wir wissen, wie man es machen kann, zum Mars zu fliegen und zurück. Es würde natürlich Entwicklungsarbeit kosten, so was ist schon ein bisschen schwieriger, als einen Kühlschrank zu bauen, aber wir haben das Knowhow. Es ist eine Frage des Geldes und des politischen Willens. Man hat das in den USA gesehen, als die ObamaRegierung das Orion-Programm stoppte. Unter der neuen Führung in den USA spüren wir eine starke Bewegung in der Raumfahrt, was Missionen zum Mond und zum Mars betrifft. Als Europäer müssen wir da dabei sein, und wir sind bei Airbus diesbezüglich gut vorbereitet.
Mit OneWeb macht ein weiteres Satellitenprogramm Schlagzeilen. In einem Joint Venture mit dem Internetpionier Greg Wyler möchte Airbus 900 Satelliten ins All bringen, um bezahlbares HighspeedInternet auch für abgelegene Ge- biete anbieten zu können. Wie ist der Stand?
Wir haben das Programm vor weniger als drei Jahren gestartet, Mitte 2015. Mittlerweile haben wir diese Satelliten entwickelt und die ersten werden schon getestet. Wir werden bald in die Massenproduktion gehen. Damit sind wir beim Stichwort „New Space“ganz vorne dabei. Wir machen das nicht alleine, die ganze Europäische Raumfahrtindustrie ist beteiligt. Wir wollen die ersten zehn OneWeb-Satelliten noch in diesem Jahr ins All bringen. Und wir sind da im Plan.
Bei OneWeb konkurrieren Sie mit Elon Musk (SpaceX), der mit seinem Starlink-Projekt mit 12 000 Satelliten Internet für alle anbieten will. Wie sehr hat der Privatunternehmer die Raumfahrt beeinflusst?
Außerordentlich stark. Elon Musk und das Team, das er aufgestellt hat, leisten Erstaunliches. Sie sind ein Vorbild für uns und eine positive Stimulation. Wir profitieren von diesem frischen Wind. OneWeb ist unter anderen ein gutes Beispiel dafür, dass wir das schaffen können. Wir machen vieles anders, nutzen neue Modelle und Ansätze, gehen einen europäischen Weg. Aber trotzdem effizient und schnell. Die haben uns aber einen ordentlichen Tritt in den Hintern verpasst und wir haben das angenommen.
In Immenstaad baut Airbus das ITC, das Integrated Technology Center, einen riesigen Reinraum, in dem sehr große Satelliten gebaut werden können. Was bedeutet für Airbus der Standort am Bodensee?
Immenstaad ist einer meiner Lieblingsstandorte. Nicht nur wegen des wunderschönen Bodensees mit den Bergen dahinter. Sondern weil es einer der Hauptstandorte für Raumfahrt bei Airbus ist. Hier werden großartige Projekte verwirklicht. Über Grace-Fo habe ich schon gesprochen, genauso wie BepiColombo oder Metop C. Das ist also ein wichtiger Standort für uns, deshalb haben wir schon vor Jahren die Entscheidung getroffen, das neue ITC hier zu bauen. Das ist auch für uns ein außergewöhnliches Gebäude, in dem wir sechs bis acht Satelliten gleichzeitig bauen können. Das ist ein gutes Zeichen für Airbus und die Raumfahrt und dafür, dass die Branche in Deutschland wächst.
Das ITC bauen Sie ja auch, um von der Esa den Auftrag für den Bau der Athena-Mission, ein gigantisches Weltraumteleskop, zu bekommen. Wie sieht es damit aus?
Die Sache ist am Laufen, das Programm wird ganz normal ausgeschrieben und wir werden uns darum bemühen.
Mit Alexander Gerst startet in diesem Juni ein Deutscher ins All zur Internationalen Raumstation ISS. Auch an der Horizons-Mission ist der Airbus-Konzern beteiligt ...
Unser Beitrag besteht zunächst einmal aus dem Columbus-Labor der ISS, wo Alexander Gerst hoffentlich eine tolle Zeit haben wird. Wir haben es zusammen mit einigen Kollegen entwickelt. Dazu kommt natürlich der erste fliegende Astronauten-Assistent Cimon, für den sich ja Bundeskanzlerin Merkel schon interessiert hat. Wir sind absolut stolz darauf. Das ist ein einmaliges Projekt, aber nicht nur das. Cimon wird Alexander Gerst eine große Hilfe sein auf der ISS.
Was Airbus gegen den zunehmenden Weltraummüll unternimmt und wie wichtig Kooperationen sind lesen Sie online unter www.schwäbische.de/ chamussy