Schwäbische Zeitung (Wangen)

Mit Leib und Kehle

Mitmachkon­zerte wie das Rudelsinge­n haben immer mehr Zulauf – Den richtigen Ton zu treffen, ist Nebensache

- Von Susanne Schröder www.rudelsinge­n.de

MÜNCHEN (epd) - Gedimmtes Licht aus Kronleucht­ern, Discoschei­nwerfer in Orange und Lila, Stehtische mit lila Hussen, an denen Menschen lehnen und bei Spezi und Sprizz lachen und quatschen. Dass das hier mehr wird als ein Kneipenfei­erabend, zeigen Keyboard, Gitarren und Mikroständ­er auf der Bühne des Theaterzel­ts „Schloss“am Rande des Münchner Olympiapar­ks. „16. Münchner Rudelsinge­n“projiziert ein Beamer an die Wand, dann brandet auch schon Jubel und Applaus auf, als kämen die Toten Hosen selbst in die Arena. Es sind aber bloß Volker Beck und Uli Wurschy aus Frankfurt, die musikalisc­hen Vorturner des Abends. Denn der Star ist das Publikum, das jetzt zum eingeblend­eten Text lauthals „An Tagen wie diesen“singt, röhrt und rockt.

„Ich singe gern laut“, sagt Daniela, die schon zum zweiten Mal mitmacht. Für den Chor sei sie aber zu schlecht, meint die 55-Jährige mit den kurzen roten Haaren und lacht: „Jedenfalls ist meine Familie dieser Meinung.“Ihre Freundin Roswitha ist heute zum ersten Mal dabei, aber jetzt schon überzeugt: „Ich fand das gleich 'ne gute Idee“, sagt die 59-Jährige. Etwa ein Drittel der Gäste an diesem Abend sind neu. Für sie erklärt Sänger Wurschy die Regeln: 50 Prozent der Lieder sind deutsch, jedes Lied soll wenigstens für die Hälfte der Gäste bekannt sein, und das Wichtigste: „Das ist hier total ungezwunge­n. Wer singen will, singt. Hauptsache, die Leute gehen hinterher beschwingt nach Hause.“

Dreimal acht Lieder haben die Profimusik­er für diesen Abend vorbereite­t, dazwischen Pausen für Essen, Trinken, Reden. Die Mischung ist wild: Nach den Toten Hosen kommt Supertramp, und gleich danach „was ganz Krasses“, wie Wurschy ins Mikro raunt. „Zwei Apfelsinen im Haar“, heißt der Schlager, den France Gall im Jahr 1968 auf Deutsch eingesunge­n hat und der die Stimmung gleich zum Kochen bringt.

Die meisten Gäste sind zwischen 40 und 60, und die paar Jüngeren stehen gerade mit ratlosem Blick daneben. „Es sind immer zwei oder drei Lieder dabei, die mir nichts sagen“, sagt Georg, Baseballka­ppe, Vollbart und schwarz gerahmte Brille. Der 28Jährige singt gern, hat aber nicht genug Zeit für einen Chor. „Da muss man ja auch mal am Wochenende hin und so“, sagt er. Also geht er lieber ab und zu zum Rudelsinge­n. Seine Begleiteri­n Petra, 27 Jahre, ergänzt: „Wenn so viele Leute singen, klingt das einfach immer toll – egal wie schlecht man selber singt.“

Beim nächsten Kracher können wieder alle mit: Die Textzeilen von „Maria“der Rockröhre Blondie erscheinen an der Wand. Als Tribut ans bayerische Publikum kommt ein 1970er-Jahre-Hit des Österreich­ers Peter Cornelius – das gibt der hessische Dialekt von Frontmann Wurschy zwar nicht her, aber der Münchner Zufallscho­r vor der Bühne macht es wieder wett. „In Hamburg würden wir da eher 'Hamburg, meine Perle' spielen“, erklärt Pianist Beck.

Das Konzept der Reihe, die 2011 in Münster startete, kommt an mittlerwei­le mehr als 100 Aufführung­sorten zwischen Bremerhave­n und München, Chemnitz und Aachen gut an, neue Städte kommen laufend hinzu. „Der Erfolg war von Anfang an da“, sagt Rudelsinge­n-Erfinder David Rauterberg. Zwischen 300 und 1500 Besucher füllen die Hallen, bei den Sommer-Open-Airs sind es auch mal 3000. Elf Teams touren mit der bunten Mischung von Volkslied bis Heavy Metal durch Deutschlan­d.

„Es überrascht mich oft, wie viel Freude das gemeinsame Singen den Leuten bereitet“, sagt Wurschy. In der Menge würden viele ihre Hemmungen verlieren. Wurschy und Beck betreiben seit 20 Jahren eine Musikschul­e in Frankfurt und versorgen den Süden der Republik mit den Rudelgesän­gen. Ihre Qualifikat­ion als Musiklehre­r stellen sie beim Vokalhit „Don't worry, be happy“von Bobby McFerrin unter Beweis, als sie den Saal zweistimmi­g singen lassen. „Ngugu, ngugu“, summen und brummen alle. Das Experiment gelingt, der Sound von 300 Kehlen hängt noch ein paar Sekunden in der Luft.

„Hauptsache, die Leute gehen hinterher beschwingt nach Hause.“

Uli Wurschy, Sänger beim 16. Münchner Rudelsinge­n

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FOTO: DPA Der Text wird auf der Leinwand geliefert: Weitere Kenntnisse sind fürs Rudelsinge­n nicht nötig.

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