„Jeden Abend kommt das Heimweh“
Drei Monate nach dem Großbrand im Ebnet sitzt der Schock noch tief – Frühere Nachbarinnen halten zusammen
WANGEN - Maria Hage wollte nur kurz mit ihrer kranken Tochter zum Arzt um die Ecke gehen. Als sie die Praxis nach 20 Minuten wieder verließ, sah sie ihr Haus in Flammen stehen. „Ich stand da, und alles, was ich noch hatte, war meine Handtasche“, erinnert sie sich. Drei Monate sind vergangen, seit ein Brand zwei Mehrfamilienhäuser im Ebnet verwüstete. „Doch die Bilder kommen jeden Abend wieder“, sagt Maria Hage, die seither in einer Ferienwohnung lebt. Zusammen mit ihren ehemaligen Nachbarinnen versucht sie, das schreckliche Erlebnis zu verarbeiten. In ihre Wohnungen zurückkehren können die meisten wohl erst Ende des Jahres. Und die Angst ist zu einem steten Begleiter geworden.
„Ich glaube, bei dir brennt’s“
Es war ein kalter, windiger Tag, daran erinnern sich die Frauen genau. Keine von ihnen war in ihrer Wohnung, als am Vormittag des 22. Februars in einer Dachgeschosswohnung im Ebnet Feuer ausbrach. Die Nachricht von dem Brand verbreitete sich jedoch schnell. „Ich war bei einer Fortbildung hier in Wangen, und dort hat mir ein Bekannter gesagt: Ich glaube, bei dir im Haus brennt’s“, erzählt Martina Hecht. Zusammen mit ihrer Kollegin und Nachbarin lief sie sofort hin. „Ich habe gesehen, wie aus meiner Wohnung die Flammen schlagen“, sagt Renate Rall. „Wir konnten nichts tun, sind einfach dagestanden und haben geschaut.“
Ausgelöst wurde das verheerende Feuer im zweiten Obergeschoss des Hauses Nummer 12. Wie Staatsanwaltschaft und Polizei kurz nach dem Brand mitteilten, hatte ein Bewohner auf dem Balkon eine Kerze anzünden wollen. Dabei sei ihm das brennende Streichholz aus der Hand und in die Holzverschalung des Balkons gefallen. Der Bewohner versuchte, das Feuer selbst zu löschen, scheiterte aber. Kurz darauf loderten offene Flammen vom Balkon. Wegen starken Ostwinds griffen sie auch auf das angrenzende Haus über. Der Brand löste einen Großeinsatz der Feuerwehr aus. Einige Wohnungen wurden durch das Feuer komplett zerstört, andere durch Löschwasser und Rauch unbewohnbar gemacht. Verletzt wurde niemand, doch 32 Menschen waren binnen weniger Stunden obdachlos.
Kollegen spenden Geld und Möbel
„Ich stand da und dachte: Wo kann ich jetzt hin?“, erinnert sich Maria Hage. Die erste Nacht hat sie auf dem Sofa einer Freundin verbracht, dann meldeten sich Wangener Bürger und stellten ihre Ferienwohnung zur Verfügung. „Die Hilfsbereitschaft war riesig, wir sind sehr dankbar“, sagen die Frauen. Schon nach kurzer Zeit hatten alle Opfer des Großbrands zumindest wieder ein Dach über dem Kopf. Martina Hecht und Natalia Mayer bilden seither eine Wohngemeinschaft in einem Haus, das zuvor leer stand. „Unsere Arbeitskollegen haben Geld gesammelt und Möbel organisiert“, erzählen sie.
So ist zwar äußerlich erstmal für alles Nötige gesorgt – doch innerlich haben die Frauen immer noch mit dem Erlebten zu kämpfen. „Jeden Abend kommt das Heimweh“, schildert Maria Hage, sie hatte ihre Wohnung erst kurz vor dem Feuer renoviert. Ihre Tochter habe seit dem Brand verstärkt Ängste. Auch Renate Rall merkt, dass sie dünnhäutiger geworden ist: „Ich ziehe bei allen Elektrogeräten den Stecker aus der Dose, bevor ich das Haus verlasse“, berichtet sie. „Und ich werde panisch, sobald jemand den Grill anwirft“, sagt Martina Hecht – ihre Wohnung wurde durch Flammen und herunterstürzende Dachbalken fast komplett zerstört. Geblieben ist ihr lediglich ihre Tasche, die Tage nach dem Brand auftauchte – zwar „tiefgekühlt“durch gefrorenes Löschwasser, aber immerhin mit ihren persönlichen Dokumenten darin.
Die Tränen kommen später
„Ich konnte noch ein paar Sachen aus der Wohnung holen, die mir wichtig sind, alles andere ist vom Wasser aufgeweicht und auf dem Müll“, sagt Anneliese Ludwig. Es habe Wochen gedauert, bis sie endlich habe weinen können. Auch Martina Hecht erinnert sich, dass sie die ersten drei Wochen „einfach nur funktioniert“ hatte. Erst dann haben die Geschehnisse sie eingeholt und psychisch so sehr belastet, dass sie vorübergehend nicht mehr arbeiten konnte. „Ich habe mir professionelle Unterstützung geholt“, berichtet sie, „das hat mir geholfen“. Und immer noch erzählt sie staunend von dem „Wunder“, dass ihre beiden Kater neun Tage nach dem Brand lebend aus der zerstörten Wohnung gerettet wurden (die SZ berichtete). Froh sind die Frauen auch, dass sie sich gegenseitig Halt geben. „Wir weinen zusammen, können aber auch mal gemeinsam lachen“, sagen sie. Schon vor dem Brand sei das nachbarschaftliche Miteinander im Haus „sehr harmonisch“gewesen.
Die Angst kennen alle
Wenn sie beim Kaffee zusammensitzen, reden sie auch darüber, ob sie in ihre Wohnungen im Ebnet zurückkehren wollen. Abgesehen davon, dass der Wohnungsmarkt in Wangen sehr angespannt ist, hängen auch Emotionen an der alten Heimat. „Alle meine Ersparnisse und Erinnerungen stecken in der Wohnung, ich muss da wieder rein, aber ich habe Angst, dass wieder etwas passieren könnte“, sagt Natalia Mayer. Einige am Tisch nicken. Sie fühlen ähnlich. Dass ein fallengelassenes Streichholz ein solch großes Unglück auslösen kann, lässt sie immer noch ungläubig den Kopf schütteln. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft seien aber noch nicht abgeschlossen, berichten die Frauen.
Wer zahlt, ist noch nicht klar
Diese Tatsache bringt übrigens auch ein ganz nüchternes Thema ins Spiel: Solange die Ermittlungen nicht abgeschlossen sind, zahle auch die Versicherung des vermutlichen Verursachers nicht, erklären die vom Brand Betroffenen. So müssten sie die Ausgaben für neue Möbel, Kleidung und Miete zunächst vorstrecken. Diejenigen mit einer Hausratsversicherung hätten das Geld aber schon zurückbekommen.
Die Frauen werden sich also wohl noch eine Weile mit einem improvisierten Leben zurechtfinden müssen. „Unsere Familien und Freunde helfen uns“, sagt Martina Hecht. „Und vielleicht können wir ja zu Weihnachten wieder in unseren Wohnungen sein.“