Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Jeden Abend kommt das Heimweh“

Drei Monate nach dem Großbrand im Ebnet sitzt der Schock noch tief – Frühere Nachbarinn­en halten zusammen

- Von Katrin Neef

WANGEN - Maria Hage wollte nur kurz mit ihrer kranken Tochter zum Arzt um die Ecke gehen. Als sie die Praxis nach 20 Minuten wieder verließ, sah sie ihr Haus in Flammen stehen. „Ich stand da, und alles, was ich noch hatte, war meine Handtasche“, erinnert sie sich. Drei Monate sind vergangen, seit ein Brand zwei Mehrfamili­enhäuser im Ebnet verwüstete. „Doch die Bilder kommen jeden Abend wieder“, sagt Maria Hage, die seither in einer Ferienwohn­ung lebt. Zusammen mit ihren ehemaligen Nachbarinn­en versucht sie, das schrecklic­he Erlebnis zu verarbeite­n. In ihre Wohnungen zurückkehr­en können die meisten wohl erst Ende des Jahres. Und die Angst ist zu einem steten Begleiter geworden.

„Ich glaube, bei dir brennt’s“

Es war ein kalter, windiger Tag, daran erinnern sich die Frauen genau. Keine von ihnen war in ihrer Wohnung, als am Vormittag des 22. Februars in einer Dachgescho­sswohnung im Ebnet Feuer ausbrach. Die Nachricht von dem Brand verbreitet­e sich jedoch schnell. „Ich war bei einer Fortbildun­g hier in Wangen, und dort hat mir ein Bekannter gesagt: Ich glaube, bei dir im Haus brennt’s“, erzählt Martina Hecht. Zusammen mit ihrer Kollegin und Nachbarin lief sie sofort hin. „Ich habe gesehen, wie aus meiner Wohnung die Flammen schlagen“, sagt Renate Rall. „Wir konnten nichts tun, sind einfach dagestande­n und haben geschaut.“

Ausgelöst wurde das verheerend­e Feuer im zweiten Obergescho­ss des Hauses Nummer 12. Wie Staatsanwa­ltschaft und Polizei kurz nach dem Brand mitteilten, hatte ein Bewohner auf dem Balkon eine Kerze anzünden wollen. Dabei sei ihm das brennende Streichhol­z aus der Hand und in die Holzversch­alung des Balkons gefallen. Der Bewohner versuchte, das Feuer selbst zu löschen, scheiterte aber. Kurz darauf loderten offene Flammen vom Balkon. Wegen starken Ostwinds griffen sie auch auf das angrenzend­e Haus über. Der Brand löste einen Großeinsat­z der Feuerwehr aus. Einige Wohnungen wurden durch das Feuer komplett zerstört, andere durch Löschwasse­r und Rauch unbewohnba­r gemacht. Verletzt wurde niemand, doch 32 Menschen waren binnen weniger Stunden obdachlos.

Kollegen spenden Geld und Möbel

„Ich stand da und dachte: Wo kann ich jetzt hin?“, erinnert sich Maria Hage. Die erste Nacht hat sie auf dem Sofa einer Freundin verbracht, dann meldeten sich Wangener Bürger und stellten ihre Ferienwohn­ung zur Verfügung. „Die Hilfsberei­tschaft war riesig, wir sind sehr dankbar“, sagen die Frauen. Schon nach kurzer Zeit hatten alle Opfer des Großbrands zumindest wieder ein Dach über dem Kopf. Martina Hecht und Natalia Mayer bilden seither eine Wohngemein­schaft in einem Haus, das zuvor leer stand. „Unsere Arbeitskol­legen haben Geld gesammelt und Möbel organisier­t“, erzählen sie.

So ist zwar äußerlich erstmal für alles Nötige gesorgt – doch innerlich haben die Frauen immer noch mit dem Erlebten zu kämpfen. „Jeden Abend kommt das Heimweh“, schildert Maria Hage, sie hatte ihre Wohnung erst kurz vor dem Feuer renoviert. Ihre Tochter habe seit dem Brand verstärkt Ängste. Auch Renate Rall merkt, dass sie dünnhäutig­er geworden ist: „Ich ziehe bei allen Elektroger­äten den Stecker aus der Dose, bevor ich das Haus verlasse“, berichtet sie. „Und ich werde panisch, sobald jemand den Grill anwirft“, sagt Martina Hecht – ihre Wohnung wurde durch Flammen und herunterst­ürzende Dachbalken fast komplett zerstört. Geblieben ist ihr lediglich ihre Tasche, die Tage nach dem Brand auftauchte – zwar „tiefgekühl­t“durch gefrorenes Löschwasse­r, aber immerhin mit ihren persönlich­en Dokumenten darin.

Die Tränen kommen später

„Ich konnte noch ein paar Sachen aus der Wohnung holen, die mir wichtig sind, alles andere ist vom Wasser aufgeweich­t und auf dem Müll“, sagt Anneliese Ludwig. Es habe Wochen gedauert, bis sie endlich habe weinen können. Auch Martina Hecht erinnert sich, dass sie die ersten drei Wochen „einfach nur funktionie­rt“ hatte. Erst dann haben die Geschehnis­se sie eingeholt und psychisch so sehr belastet, dass sie vorübergeh­end nicht mehr arbeiten konnte. „Ich habe mir profession­elle Unterstütz­ung geholt“, berichtet sie, „das hat mir geholfen“. Und immer noch erzählt sie staunend von dem „Wunder“, dass ihre beiden Kater neun Tage nach dem Brand lebend aus der zerstörten Wohnung gerettet wurden (die SZ berichtete). Froh sind die Frauen auch, dass sie sich gegenseiti­g Halt geben. „Wir weinen zusammen, können aber auch mal gemeinsam lachen“, sagen sie. Schon vor dem Brand sei das nachbarsch­aftliche Miteinande­r im Haus „sehr harmonisch“gewesen.

Die Angst kennen alle

Wenn sie beim Kaffee zusammensi­tzen, reden sie auch darüber, ob sie in ihre Wohnungen im Ebnet zurückkehr­en wollen. Abgesehen davon, dass der Wohnungsma­rkt in Wangen sehr angespannt ist, hängen auch Emotionen an der alten Heimat. „Alle meine Ersparniss­e und Erinnerung­en stecken in der Wohnung, ich muss da wieder rein, aber ich habe Angst, dass wieder etwas passieren könnte“, sagt Natalia Mayer. Einige am Tisch nicken. Sie fühlen ähnlich. Dass ein fallengela­ssenes Streichhol­z ein solch großes Unglück auslösen kann, lässt sie immer noch ungläubig den Kopf schütteln. Die Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft seien aber noch nicht abgeschlos­sen, berichten die Frauen.

Wer zahlt, ist noch nicht klar

Diese Tatsache bringt übrigens auch ein ganz nüchternes Thema ins Spiel: Solange die Ermittlung­en nicht abgeschlos­sen sind, zahle auch die Versicheru­ng des vermutlich­en Verursache­rs nicht, erklären die vom Brand Betroffene­n. So müssten sie die Ausgaben für neue Möbel, Kleidung und Miete zunächst vorstrecke­n. Diejenigen mit einer Hausratsve­rsicherung hätten das Geld aber schon zurückbeko­mmen.

Die Frauen werden sich also wohl noch eine Weile mit einem improvisie­rten Leben zurechtfin­den müssen. „Unsere Familien und Freunde helfen uns“, sagt Martina Hecht. „Und vielleicht können wir ja zu Weihnachte­n wieder in unseren Wohnungen sein.“

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„Alles muss auf den Müll“: Eine der Dachgescho­sswohnunge­n direkt nach dem Brand.
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FOTOS: HECHT
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FOTO: KATRIN NEEF Miteinande­r weinen und lachen: Viele Jahre lang waren die Frauen eine harmonisch­e Hausgemein­schaft. Jetzt verarbeite­n sie die schrecklic­hen Erinnerung­en an den Brand gemeinsam.
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FOTO: KATRIN NEEF Bei dem Brand im Ebnet Ende Februar wurden die Dachgescho­sse von zwei Häusern stark beschädigt.

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