„Wir laufen auf den Abgrund zu“
Wolfgang Niedecken verrät, was ihm schlaflose Nächte bereitet
KEMPTEN - Ja, es gibt BAP noch. Die Kultband aus Köln, gegründet 1976, startet Ende Mai eine Tournee mit 40 Konzerten im deutschsprachigen Raum. Um die Stücke zu proben, kommt die Truppe um Wolfgang Niedecken ins Allgäu: In der Kemptener Bigbox bezieht sie für ein paar Tage ein Trainingslager und gibt am 29. Mai ein sogenanntes Warm-UpKonzert. Klaus-Peter Mayr sprach mit Niedecken darüber und auch, warum er sich politisch engagiert.
Herr Niedecken, warum haben Sie die Bigbox zum Proben ausgesucht? Kempten ist ja weit weg von Köln.
Wir haben uns gefragt, wo wir eine Woche vor dem Tourneestart proben können und kamen auf die Bigbox. Die wäre ideal, hieß es. Das passte mir, denn ich habe sehr angenehme Erinnerungen an einen SoloAuftritt in Kempten. Die Stadt hat eine tolle Atmosphäre.
Die Halle wird Ihr Trainingslager.
So kann man das sagen. Aber die Musiker müssen gut vorbereitet anreisen, wir können ja nicht bei Adam und Eva anfangen. Wir werden in Kempten auch entscheiden, welche Stücke wir auf der Tour spielen. Und natürlich arbeiten wir am Sound, am Lichtdesign und an der Dramaturgie der Show.
Was werden Sie Ihren Fans bieten?
Ich habe 2017 in New Orleans ein Soloalbum aufgenommen unter dem Titel „Familienalbum“. Davon werden wir bestimmt einiges bringen. Ansonsten spielen wir einen Querschnitt durch die 40-jährige Bandgeschichte von BAP. Erstmals werden drei Bläser dabei sein.
Ihnen macht es immer noch Spaß mit BAP – nach 42 Jahren?
Ja. Das Wesentliche ist ja, auf Tour zu gehen und mit den Fans diese Feste zu feiern. Tonträger sind nicht unser Hauptgeschäft. Wir nehmen Platten auf, damit die Leute sich auf die Konzerte vorbereiten können. Natürlich auch um das Repertoire zu erweitern und den Leuten was Neues zu bieten. Als Künstler will man sich weiterentwickeln.
Sie sind 67. In diesem Alter sind viele in der Rente. Denken Sie manchmal auch ans Aufhören?
Ich habe das große Privileg, dass mein Hobby auch mein Beruf ist. Das erleichtert einiges. Wenn ich ein anstrengendes Handwerk ausgeübt hätte, würde ich mich vielleicht danach sehnen, irgendwann mal die Füße hochzulegen. Bei mir ist das nicht so. Ich mache Musik mit einer großen Leidenschaft, und Konzerte sind das Wichtigste.
Werden Konzerte nicht irgendwann auch langweilig?
Nein. Wir stehen ja nicht vor einer Wand. Wir stehen vor Menschen, die Reaktionen zeigen. Die teilweise sehr emotional auf das reagieren, was wir spielen. Wenn die Leute gut drauf sind, dann bringt das uns auch gut drauf. Eine sehr schöne Wechselwirkung.
Halten Sie manchmal inne und wundern sich im Rückblick über Ihr Leben, den Erfolg, die 42 Jahre mit BAP?
Ja! (lacht) Es ist unfassbar, unglaublich! Wir haben nicht im Entferntesten mit solch einem Erfolg gerechnet. Als wir anfingen, war BAP eine Amateurband ohne Karriereplan. Dann sagte jemand, wir sollten mal eine Platte machen. Dass daraus vier Jahrzehnte würden, daran hat keiner im Traum gedacht. Ist schon irre. Das ist der Wahnsinn.
Ihre Texte sind ja auch gesellschaftskritisch. Verzweifeln Sie manchmal angesichts der Kriege und Vertreibungen auf dieser Welt, der Trumps und Putins, der Populisten und Rechtsradikalen, der Klimakatastrophe?
Das bereitet mir manchmal schlaflose Nächte. Besorgniserregend ist der Vormarsch der Populisten – bei uns, und in ganz Europa. Das hat damit zu tun, wie wir mit der Globalisierung und dem Kapitalismus umgehen. Sorgen machen mir auch die Fake News, die Lügen, die verbreitet werden. Die Welt wird tatsächlich immer noch komplizierter. Das wird so deutlich, weil wir dermaßen vernetzt sind durch das Internet, durch die Digitalisierung. Es ist schwer für uns Menschen, dies alles zu verkraften. Das stellt den Einzelnen vor große Herausforderungen. Dadurch wird bei vielen Menschen, etwa in Afrika, der Wunsch geweckt, wegzugehen, sich zu verwirklichen, sein Glück woanders zu machen.
Sie können nachvollziehen, warum sich so viele Menschen auf den Weg nach Europa machen?
Ich verstehe das sehr gut, in bin ja oft genug in Afrika gewesen. Dort kann man sehen, wie gnadenlos immer noch Kolonialismus betrieben wird. Indem man beispielsweise Bodenschätze illegal abbaut und damit die Menschen um ihr Eigentum prellt; wie die Meere vor Afrika leergefischt werden von internationalen Fischerei-Trawlern. Es geht nicht gerecht zu in Afrika. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Leute weggehen und mit ihren Fähigkeiten in Europa ihren Clan ernähren wollen.
Wird sich dieses ungerechte Weltsystem irgendwann ändern?
Man muss halt dranbleiben! Im Moment bringt die Welt unglaublich viele Einzelkämpfer hervor. Jeder gegen Jeden. Damit laufen wir natürlich auf einen Abgrund zu.
Was können Sie als Musiker gegen die politischen Verwerfungen tun?
Ich möchte mit meinen Songs die Menschen vor dem Verhärten bewahren. Mitgefühl ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Kultur. Wenn nur noch der Darwinismus entscheidet, wird’s schlimm.
Neben BAP haben Sie auch ein Solo-Projekt. Die jüngste CD heißt „Familienalbum“. Was bedeutet Ihnen Ihre Familie?
Es ist jedem zu wünschen, dass er sich in einer Familie aufgehoben fühlt, dass er weiß, wo er herkommt und wo er hingehört. Jeder sollte sich irgendwo zuhause fühlen, und eine Familie ist das Zuhause schlechthin. Ich bin ein Familienmensch. Ohne sie wäre ich vollkommen aufgeschmissen. Ich würde zum absoluten Einzelgänger. (zögert) Ich würde verzweifeln.
Das BAP-Konzert findet am Dienstag, 29. Mai (20 Uhr), in der Big Box in Kempten statt. Karten gibt es bei der Bigbox, Telefon 0831/ 570 55 1000.