Kritischer Blick auf Spahns Pflegemillionen
Johannes Weindel, Chef des Medizin CampusBodensee, zweifelt an solchen Programmen:
TETTNANG/FRIEDRICHSHAFEN/ WEINGARTEN - 650 Millionen Euro hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn jüngst für die Pflege versprochen. Johannes Weindel, Geschäftsführer des Medizin Campus Bodensee (MCB), zu dem auch das 14 Nothelfer in Weingarten gehört, sagt zu diesem und früheren, ähnlichen Programmen: „Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein.“Auch, wenn er nicht undankbar sein wolle: Es gelte einfach generell, dass die Krankenhäuser unterfinanziert seien.
Die drei Krankenhäuser des Medizin Campus Bodensee in Weingarten, Friedrichshafen und Tettnang seien in der Lage, ihrem gesetzlichen Auftrag nachzukommen, eine ausreichende und zweckmäßige Krankenversorgung zu leisten. Dennoch, so Weindel: „Selbstverständlich könnten wir mehr Kräfte und Stellen in verschiedenen Bereichen, nicht nur in der Pflege, gut gebrauchen. Diese könnten wir sinnvoll einsetzen und den Patienten zugutekommen lassen.“Dies gelte etwa für Spitzenzeiten.
„Wir haben Maximalbelegungszeiten. Das ist das Winterhalbjahr“, sagt Weindel. Zwar ist die Überstundenbilanz aufs Jahr gesehen ausgeglichen, doch, so Weindel: „In den Spitzenzeiten haben wir enorm viel Stress.“Hinzu kämen in einzelnen Abteilungen auch zusätzliche Härten durch Krankheit oder offene Stellen, die ausgeglichen werden müssten. Die Unzufriedenheit in der Belegschaft steige in diesen Monaten natürlich. Doch es gebe saisonale Schwankungen. Im belegungsschwachen Sommer sei Überstundenabbau angesagt: „Dann werden Stationen auch zusammengelegt.“Das geschehe beispielsweise, wenn wichtige Chirurgen im Urlaub seien.
In Spitzenzeiten gebe es manchmal auch die Möglichkeit, zwischen den Standorten Personal auszutauschen, sagt Weindel. „Tettnanger Mitarbeiter arbeiten teils freiwillig in Weingarten und umgekehrt.“Allerdings stünde das den jeweiligen Personen frei: „Manche wollen das gar nicht.“
Derzeit sind in der Pflege elf der etwa 660 Stellen im gesamten Klinikverbund unbesetzt. Wobei Weindel darauf hinweist, dass diese teils bewusst offen bleiben: „Manchmal hebt man auch freie Stellen für Auszubildende auf, die hier ihre Ausbil- dung machen und nach ihrem Examen innerhalb des Medizin Campus Bodensee arbeiten wollen.“Hinzu komme der Fachkräftemangel. Deswegen lege die Klinik auch viel Wert auf die Ausbildung im eigenen Unternehmen. Das Angebot werde zunehmend ausgeweitet, ergänzt Kliniksprecherin Susann Ganzert.
Der Altersmix in den Abteilungen sei dementsprechend wie in der Gesellschaft, sagt Johannes Weindel. Wobei hier durchaus auch generationsbedingt unterschiedliche Vorstellungen bezüglich Pflege aufeinandertreffen können. Ein Grund: Die Liegezeiten werden immer kürzer. Das liegt zum einen an der Abrechnung über die Fallpauschale, zum anderen aber auch an Fortschritten der Medizin. Die älteren Mitarbeiter haben teils noch die Zeit erlebt, in der Patienten jeweils für längere Phasen in der Klinik gelegen haben. Patienten mit Oberschenkelhalsbruch etwa konnten da schon mal drei Monate im Streckverband im Krankenhaus verbringen. Da kannte das Stationspersonal dann bald das ganze Umfeld samt Angehörigen und Freunden.
„Das war unheimlich familiär. Aber medizinisch wollte ich nicht mehr in dieser Zeit leben“, sagt Weindel. Aus den drei Monaten damals sind heutzutage bei gleicher Diagnose etwa fünf Tage geworden, mit anschließender Reha. Das hat auch Auswirkungen auf Mitarbeiter: „Sie haben heute teils gar keine Zeit mehr, die Patienten richtig kennenzulernen. Alles wird anonymer, auch durch die Kürze der Zeit.“Das sei für Pfleger und Patient eine enorme Herausforderung. Mancher Kranke habe das Gefühl steten Wechsels beim Personal, und Mitarbeiter würden manche Patienten bei freien Tagen oder Krankheit gar nicht erst zu Gesicht bekommen.
Niedrige Arztquote in Weingarten
Was die Qualität der Pflege anbelangt, mag Weindel keinen Quotienten nennen. Es gibt in der Forschung die Nurse-to-Patient-Ratio, die besagt, wie viele Patienten auf eine Krankenschwester kommen. Hier verweist der Klinikchef auf die Schwierigkeit bei der Ermittlung solcher Zahlen, da nicht klar sei, ob hier beispielsweise auch Hilfskräfte gemeint seien. Ein Beispiel, das er im späteren Verlauf des Gesprächs für Schwierigkeiten bei Berechnungen dieser Art nennt, ist die niedrige Arztquote am Standort Weingarten: Die Belegärzte werden unter Materialkosten verbucht, zählen in der Abrechnung also gar nicht als Ärzte.
Sprecherin Susann Ganzert verweist auf die ganzen Krankenhausserien, die ein anderes Bild vermitteln: „Da hat jeder Zeit, in aller Ruhe neben dem Patienten zu sitzen und ihn zu trösten.“Im Gegensatz dazu stünde der echte Alltag: „Natürlich ist das, was der Patient im Krankenhaus erlebt, durch die kurze Liegezeit extrem gepresst.“Das enttäusche manchen. Solche Fälle landen immer wieder im Beschwerdemanagement des Hauses. Teils gibt es auch unterschiedliche Ansichten von Patienten und Angehörigen. Etwa wenn der Patient nicht gewaschen werden wolle, die Ehefrau das aber anders sehe. „Es gibt eine große Dokumentationsverpflichtung in der Klinik“, sagt Ganzert. In solchen Fällen könne nachgewiesen werden, dass Leistungen erbracht worden seien.
Hausgemachte Probleme
Wobei Weindel nicht den Eindruck der heilen Welt erwecken möchte: „Natürlich gibt es immer wieder auch hausgemachte Probleme in den Krankenhäusern. Und nicht jeder Mitarbeiter ist an jedem Tag gleich gut drauf, auch wenn wir uns das wünschen würden.“Den Beschwerden gehe die Klinik immer nach und versuche, das Problem zu lösen. Manchmal gelinge es, einen Prozess zu ändern, manchmal nicht.
Für Fälle, in denen eine Klinik in einem Bereich gut sei, könne sich dabei sogar ein struktureller Wettbewerbsnachteil ergeben, dem aber alle Kliniken unterliegen würden, sagt Weindel. „Andere Unternehmen können ihren Marktanteil über Innovation steigern“, sagt Weindel, „das ist bei Krankenhäusern anders.“Als Beispiel nennt er Abschlagszahlungen, wenn Patienten bei einer Klinik mehr Leistungen anfragen als für das Jahr vereinbart sind, etwa wegen besonders gefragter Chirurgen. Der Medizin Campus Bodensee etwa müsse wegen Mehrleistungen derzeit 1,8 Millionen Euro zahlen: „Das ist eine ungerechte Entwicklung.“