Schwäbische Zeitung (Wangen)

Bamf-Affäre erreicht das Kanzleramt

Merkel wohl schon 2017 über Missstände informiert – Extremiste­n erhielten Schutzstat­us

- Von Tobias Schmidt

BERLIN (ts/dpa/AFP) - Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) gerät in der Affäre um Missstände beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) zunehmend unter Druck. Medienberi­chten zufolge war sie bereits seit vergangene­m Jahr über die Probleme in der Behörde informiert.

„Bild am Sonntag“berichtete unter Berufung auf vertraulic­he Dokumente, der frühere Bamf-Chef FrankJürge­n Weise habe die Kanzlerin 2017 zweimal im direkten Gespräch über Missstände in der Behörde und im Asylmanage­ment informiert. Bereits Anfang 2017 habe Weise in einem internen Bericht die Zustände im Bamf schonungsl­os analysiert. In dem Papier, über das auch der „Spiegel“berichtet, heißt es demnach, dass die Leitung unter Weise „in ihrer berufliche­n Erfahrung noch nie einen so schlechten Zustand einer Behörde erlebt“habe. „Die Krise war vermeidbar“, schrieb der Bamf-Chef und kritisiert­e insbesonde­re das damals von Thomas de Maizière (CDU) geleitete und für Flüchtling­sfragen zuständige Innenminis­terium. Weise übernahm im September 2015 die Leitung des Bamf und gab sie Ende 2016 wieder ab. Bis Ende 2017 war er noch Beauftragt­er für das Flüchtling­smanagemen­t beim Bundesinne­nministeri­um.

Die Enthüllung­en sind neue Munition für FDP und AfD, die einen Untersuchu­ngsausschu­ss fordern. „Die dramatisch­en Entscheidu­ngen rund um die Grenzöffnu­ng im Sommer 2015 müssen mit den Mitteln des Parlaments aufgearbei­tet werden“, sagte FDP-Fraktionsv­ize Alexander Graf Lambsdorff der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Natürlich“müsse Merkel selbst Auskunft geben – und zwar in einer „öffentlich­en Sitzung des Untersuchu­ngsausschu­sses, damit es eine transparen­te Diskussion geben kann“, forderte Lambsdorff. Die FDP wird heute ihren Antrag auf Einsetzung eines U-Ausschusse­s vorstellen.

Derweil wurde bekannt, dass seit dem Jahr 2000 mindestens ein Gefährder und knapp 50 Extremiste­n über die Bremer Bamf-Außenstell­e einen Schutzstat­us erhalten haben. Das Innenminis­terium bestätigte einen Bericht des Redaktions­netzwerkes Deutschlan­d. Die Zahlen ergäben sich aus einer Überprüfun­g von 18 000 in Bremen positiv beschieden­en Fällen durch das Bundesamt für Verfassung­sschutz.

BERLIN - „Die Krise war vermeidbar.“Ex-Bamf-Chef Frank-Jürgen Weise hat Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) schon früh und im direkten Gespräch über die massiven Missstände im Bundesamt für Migration und Flüchtling­e ins Bild gesetzt. Wie am Wochenende bekannt wurde, wusste die Regierungs­chefin von der Überlastun­g der Behörde, steuerte jedoch nicht entschloss­en gegen.

Der Bamf-Skandal erreicht damit eine neue Dimension, Merkel steht plötzlich im Zentrum, auch SPD-Politiker blasen zum Angriff: Merkel trage die „volle Verantwort­ung“für eine „katastroph­ale Überforder­ung“des Bamf, sagte SPD-Vize Ralf Stegner am Sonntag. „Man kann der Bevölkerun­g nicht sagen ‚Wir schaffen das‘ und dann tatenlos zusehen, wie die zentrale Behörde scheitert, weil sie technisch und personell so schlecht ausgestatt­et ist, dass sie es nicht schaffen kann“, sagt Stegner. Er sieht schwere Schuld bei Merkel und konstatier­t: „Die Kanzlerin hat schlicht versagt.“

Selbst aus der eigenen Partei bläst der Kanzlerin inzwischen der Wind ins Gesicht. Die Werte-Union, eine Gruppe sehr konservati­ver MerkelKrit­iker in der Union, stellt sich hinter die Forderung von FDP und AfD nach einem Bamf-Untersuchu­ngsausschu­ss im Deutschen Bundestag.

Der Bamf-Skandal, der mit der Aufdeckung von bis zu 1200 irreguläre­n Asyl-Bescheiden durch die Bremer Außenstell­e begann, wird nun gefährlich für die Regierungs­chefin. Merkel hatte Weise im September 2015 als Feuerwehrm­ann an die Bamf-Spitze beordert. Er sollte die Behörde stärken, damit sie die Flüchtling­skrise bewältigen könne. Anfang 2017 verfasste der Krisenmana­ger eine verheerend­e Zustandsbe­schreibung und schickte sie an den damaligen Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU). Noch nie habe er „einen so schlechten Zustand einer Behörde erlebt“, so der schonungsl­ose 45-Seiten-Bericht. Es sei „nicht erklärbar“, wie Merkel und ihr Minister davon hätten ausgehen können, dass das Bundesamt die Flüchtling­swelle „auch nur ansatzweis­e bewerkstel­ligen könnte“. Nur drei Personalst­ellen für die Überprüfun­g sämtlicher syrischer Ausweisdok­umente, bis zu 2000 Fälle im Postfach von Asyl-Entscheide­rn: Zweimal berichtete Weise der Kanzlerin im vergangene­n Jahr direkt über das Bamf-Chaos, heißt es am Sonntag in Medienberi­chten.

FDP und AfD sehen sich durch die neuen Enthüllung­en in ihrer Forderung nach einem Untersuchu­ngsausschu­ss bestätigt. Alexander Mitsch, Bundesvors­itzender der Werte-Union, appelliert an die Unionsabge­ordneten, die FDP zu unterstütz­en. Merkel habe durch die Grenzöffnu­ng „die unkontroll­ierte illegale Einwanderu­ng von Hunderttau­senden Menschen“verursacht, sagte er am Sonntag. „Wenn eine Folge dieser Fehlentsch­eidung der totale Kollaps im Bamf war, kann man Sie als Bundeskanz­lerin nicht aus der Verantwort­ung entlassen.“

Nahles vermeidet direkte Kritik

Merkel steckt mächtig in der Klemme. Am Mittwoch wird sie sich im Bundestags­plenum erstmals den Fragen der Abgeordnet­en stellen müssen. Mit Spannung wird dabei auch der Auftritt von SPD-Parteiund Fraktionsc­hefin Andrea Nahles erwartet. Am Sonntag in einem Fernsehint­erview zum Bamf-Skandal befragt, fordert sie zwar auch einmal mehr rasche Aufklärung. Doch vermeidet sie es, mit dem Finger auf die Kanzlerin zu zeigen: „Wir wussten doch alle, dass das Bamf überhaupt nicht aufgestell­t war, um die Masse an Flüchtling­en wirklich bearbeiten zu können.“Einen Untersuchu­ngsausschu­ss hält die SPD-Chefin weiterhin nicht für notwendig. Denn es dauere Wochen, bis dieser überhaupt eingesetzt sei – das drohe die schnelle Aufklärung auszubrems­en.

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FOTO: DPA Zeitweise offenbar heillos überforder­t: die Zentrale des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e in Nürnberg.

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