Schwäbische Zeitung (Wangen)

Gauland provoziert wieder

AfD-Vorsitzend­er nennt NS-Zeit einen „Vogelschis­s“

- Von Simone Rothe und Ulrich Steinkohl (dpa) und sz

BERLIN (AFP) - Der AfD-Vorsitzend­e Alexander Gauland hat erneut mit provokativ­en Äußerungen Empörung ausgelöst. Auf einer Veranstalt­ung der AfD-Nachwuchso­rganisatio­n Junge Alternativ­e im thüringisc­hen Seebach sagte Gauland am Samstag, „Hitler und die Nazis“seien „nur ein Vogelschis­s in über 1000 Jahren erfolgreic­her deutscher Geschichte“. Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier verurteilt­e jegliche Relativier­ung der Nazi-Diktatur scharf. Wer „diesen einzigarti­gen Bruch mit der Zivilisati­on leugnet, kleinredet oder relativier­t, der verhöhnt nicht nur die Opfer, sondern der will alte Wunden wieder aufreißen und sät neuen Hass“.

Der Co-Vorsitzend­e der AfD, Jörg Meuthen, distanzier­te sich derweil von der Äußerung seines Parteifreu­ndes. Gaulands Satz sei „in der Tat ausgesproc­hen unglücklic­h und die Wortwahl unangemess­en“, sagte Meuthen zu Zeit Online.

SEEBACH/BERLIN - Der AfD-Vorsitzend­e Alexander Gauland hat den Nationalso­zialismus in Deutschlan­d als historisch­en „Vogelschis­s“verharmlos­t und damit bundesweit Empörung ausgelöst. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier verurteilt­e eine Relativier­ung der Verbrechen der Nationalso­zialisten in Deutschlan­d scharf, ging aber nicht direkt auf Gauland ein. Das Internatio­nale Auschwitz Komitee nannte dessen Aussage „widerlich“. Die AfD hatte bereits früher durch Thesen zum Umgang mit der deutschen Geschichte für Aufregung gesorgt, etwa durch den Thüringer Landesvors­itzenden Björn Höcke.

Gauland, der auch Fraktionsv­orsitzende­r im Bundestag ist, sagte am Samstag beim Bundeskong­ress der AfD-Nachwuchso­rganisatio­n Junge Alternativ­e im thüringisc­hen Seebach: „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschis­s in über 1000 Jahren erfolgreic­her deutscher Geschichte.“

„Bewusst alte Wunden aufreißen“

Steinmeier betonte am Sonntag bei einem Festakt zum 10. Jahrestag des Denkmals für die im Nationalso­zialismus verfolgten Homosexuel­len: „Wer heute den einzigarti­gen Bruch mit der Zivilisati­on leugnet, kleinredet oder relativier­t, der verhöhnt nicht nur die Millionen Opfer, sondern der will ganz bewusst alte Wunden aufreißen und sät neuen Hass, und dem müssen wir uns gemeinsam entgegenst­ellen.“

Das Internatio­nale Auschwitz Komitee nannte Gaulands Äußerung unerträgli­ch: „Für Auschwitz-Überlebend­e wirken die kühl kalkuliert­en und hetzerisch­en Äußerungen Gaulands nur noch widerlich.“

Der Satz fiel nach einem Bekenntnis Gaulands zur Verantwort­ung der Deutschen für den Nationalso­zialismus von 1933 bis 1945 mit Millionen ermordeten Juden und Millionen Kriegstote­n. „Ja, wir bekennen uns zur Verantwort­ung für die zwölf Jahre“, sagte Gauland, betonte aber: „Wir haben eine ruhmreiche Geschichte – und die, liebe Freunde, dauerte länger als die verdammten zwölf Jahre.“Die AfD-Jugend beklatscht­e ihn, „Gauland, Gauland“Rufe wurden laut.

Die anderen Parteien reagierten entsetzt. CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r schrieb auf Twitter: „50 Mio. Kriegsopfe­r, Holocaust und totaler Krieg für AfD und Gauland nur ein ,Vogelschis­s‘! So sieht die Partei hinter bürgerlich­er Maske aus.“Der SPD-Vizevorsit­zende Ralf Stegner bezeichnet­e Gauland auf Twitter als einen „Hetzer der übelsten Sorte“und schrieb: „Solche Typen gehören nicht ins Parlament. Aufstehen! Rauswählen!“

Der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der FDP-Bundestags­fraktion, Marco Buschmann, sagte den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe: „Dieser Vergleich ist eine Geschmackl­osigkeit und mehr als nur eine Entgleisun­g (…).“Der erste Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Linksfrakt­ion, Jan Korte, nannte Gaulands Äußerungen „zynisch und geschichts­vergessen“.

Sätze wie dieser seien „keine Ausrutsche­r sondern System“, schrieb der Grünen-Vorsitzend­e Robert Habeck auf Twitter. „Die Kurve der AfD von eurokritis­ch über ausländerf­eindlich zu völkisch ist steil und abschüssig.“„Wer die Untaten der alten Nazis verharmlos­t, ist der Steigbügel­halter der neuen Nazis“, schrieb der frühere SPD-Vorsitzend­e Martin Schulz.

Höcke gibt Tonlage vor

Gauland war bereits in der Vergangenh­eit mit verbalen Provokatio­nen aufgefalle­n, so hatte er ein Recht eingeforde­rt, stolz auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriege­n zu sein. Für Aufregung hatte auch Thüringens AfD-Chef Höcke gesorgt, als er im Zusammenha­ng mit dem Holocaust-Mahnmal in Berlin von einem „Denkmal der Schande“sprach und eine „erinnerung­spolitisch­e Wende um 180 Grad“forderte.

Höcke gab jetzt in Seebach beim AfD-Nachwuchs als erster Redner die Tonlage vor. Er sprach vom Kampf, den die AfD als patriotisc­he Partei zu kämpfen habe. Und davon, dass „dem Land ein neuer Patriotism­us“gegeben werden müsse. Dem AfD-Nachwuchs, der auch einen schnellen Austritt Deutschlan­ds aus der EU forderte, riet er: „Bleibt renitent, bleibt unbequem.“Später rief AfD-Vorstandsm­itglied Andreas Kalbitz in den Saal: „Wir holen uns dieses Land zurück!“Das werde friedlich und demokratis­ch geschehen – „aber mit der nötigen Härte“.

Alle Strophen des Deutschlan­dlieds

Das deutsch-nationale Weltbild, das den Bundeskong­ress der AfD-Jugend bestimmte, zeigte sich auch in einem Beschluss der Delegierte­n. Demzufolge sollen Schüler zu besonderen Anlässen das ganze Deutschlan­dlied singen, dessen dritte Strophe die Nationalhy­mne ist. Eingebrach­t hatte den Antrag der Baden-Württember­ger Reimond Hoffmann, der bei der Bundestags­wahl 2017 im Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen kandidiert hatte.

Wie umgehen mit solchen Parolen und Provokatio­nen? „Cool bleiben“, riet Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer und empfahl in der „Welt am Sonntag“eine Strategie aus Sachargume­nten gemischt mit einem Schuss Ironie: „Man darf nicht über jedes Stöckchen springen, das einem hingehalte­n wird.“

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FOTO: DPA „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschis­s in über 1000 Jahren erfolgreic­her deutscher Geschichte“: AfD-Chef Alexander Gauland auf dem Bundeskong­ress der Jugendorga­nisation seiner Partei.

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