Den Tod ins Leben zurückholen
Kinderhospizdienst Amalie startet Projekt „Hospiz macht Schule“für Dritt- und Viertklässler
RAVENSBURG - Der Tod wird in unserer Gesellschaft ziemlich „an den Rand gefahren“, findet Sabine Müllenberg (40) vom ambulanten Kinderund Jugendhospizdienst Amalie. Dabei gehören Leben und Sterben nicht nur untrennbar zusammen – Müllenberg macht auch immer wieder die Erfahrung, dass fast jeder sofort eine Menge zu erzählen hat, wenn das Thema Tod angeschnitten wird. Damit Kinder möglichst gut damit klar kommen und einen offenen Umgang damit lernen, startet Amalie in den Landkreisen Ravensburg und Bodensee nun das Projekt „Hospiz macht Schule“.
Nicht nur Eltern und Lehrer holen sich bei Amalie immer wieder Rat, wie beispielsweise ein stimmiges Abschiedsritual aussehen könnte. Wenn Müllenberg und ihre drei hauptamtlichen Amalie-Kolleginnen an eine Schule kommen, sprudeln die Kinder bei dem Thema Tod und Abschiednehmen regelmäßig über, löchern sie mit Fragen danach, warum bei einer Chemotherapie die Haare ausfallen oder wie der Bestatter das große Loch in den Boden bekommt. In solch einer Runde kommt dann oft auch heraus, dass eine Mama Krebs hat oder kürzlich ein Onkel gestorben ist. Meist sind die Kinder total froh, dass sie endlich mal über all diese Dinge reden können: „Häufig fehlt der Raum für diese Gefühle und der Austausch über Tod und Sterben“, weiß Müllenberg. Denn 70 Prozent der Deutschen sterben hinter den verschlossenen Türen einer Klinik oder eines Pflegeheims.
Dabei sei eben dieser Raum unheimlich wichtig, denn „die Gefühle geben keine Ruhe, bis sie ihren Platz gefunden haben“. Im schlimmsten Fall entlädt sich angestaute Trauer, die weder ausgedrückt noch verarbeitet werden konnte, irgendwann später in Aggression oder Gewalt, wie Studien zeigen. Dabei hätten Kinder häufig noch einen ganz unverkrampften, offenen Umgang mit dem Tod – sofern er denn da sein darf, „mit allen Sinnen erlebt“und gestaltet werden kann, erläutert Sabine Müllenberg. Sei es in einem Brief an den Verstorbenen, durch das Bekleben einer Kerze oder das Anlegen eines Erinnerungsbuches. „Hauptsache“, so die Sozialpädagogin – „das Kind merkt, es bleibt handlungsfähig und versinkt nicht alleine in Ohnmacht und Erstarrung“.
An diesem Punkt setzt das auf fünf Tage angelegte Projekt an, mit dem Ehrenamtliche künftig in dritte und vierte Klassen gehen. „Wir wollen zu dem Thema eine Kultur an den Schulen entwickeln“, erläutert Müllenberg. Eine solche Kultur beginnt damit, über Verlusterfahrungen wie die Scheidung der Eltern, den Wegzug eines Freundes oder den Tod eines Haustieres zu reden. Auch Trauer, Trost und Trösten bekommen neben Krankheit, Leid und Tod ihren Platz in dem Angebot, das sich im Übrigen mit dem Lehrplan verknüpfen lasse, wie Müllenberg betont.
Eine ganze Woche für solche heftige Themen? Die Erfahrung in Nordrhein-Westfalen, wo es „Hospiz macht Schule“schon seit 2015 gibt, spricht offenbar dafür. In dieser Zeit lernten die Kinder nicht nur, „offen und angstfrei“mit dem ganzen Komplex umzugehen, „ihre Erfahrungen zu teilen und verlässliche Ansprechpartner für ihre Fragen zu finden“, so Müllenberg. Die fünf Tage ermöglichen auch, sich im eigenen Tempo zu öffnen. Schließlich „tut sich sozial total viel“, weiß Müllernberg: Denn wenn die Dritt- und Viertklässler mitbekommen, was ihre Mitschüler alles erlebt haben „und welchen Rucksack manche mit sich tragen, stärkt das den Klassenverband ungemein“.
Schulen, die Interesse an dem Angebot haben, können sich mit Sabine Müllenberg, Telefon 07522/ 7952920 oder per Mail an s.muellenberg@kinderhospizdienst-ravensburg.de, in Verbindung setzen.
Warum das Projekt „Hospiz macht Schule“Sinn macht und was dahinter steckt, erläutert die Koordinatorin des ambulanten Kinderund Jugendhospizdienstes Amalie für den Landkreis Ravensburg im Video unter www.schwäbische.de/ schulehospiz