Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ungewollt kinderlos

Frauen mit dem MRKH-Syndrom können nicht schwanger werden – Eine Betroffene aus dem Kreis berichtet

- Von Jasmin Bühler

RAVENSBURG - Wohin Franziska Bär auch geht: Überall fallen ihr die Schwangere­n auf. Wie sie ihre Hände behutsam auf den Bauch legen, wie sie liebevoll mit dem Ungeborene­n sprechen, wie sie sich mit Gleichgesi­nnten austausche­n. Franziska Bär ist keine Gleichgesi­nnte. Sie kann keine Kinder bekommen. Lange Zeit hat sie darunter gelitten – und mittlerwei­le einen Weg gefunden, damit umzugehen.

Die 38-jährige Franziska Bär, die in Wahrheit anders heißt, kommt aus dem Landkreis Ravensburg. Sie hat das Mayer-Rokitansky-KüsterHaus­er-Syndrom (MRKHS). Frauen mit diesem Krankheits­bild haben von Geburt an keine oder nur eine unvollstän­dig ausgebilde­te Gebärmutte­r und Vagina. Eine Schwangers­chaft ist nicht möglich. Circa eine von 5000 Frauen ist von dem Krankheits­bild betroffen.

Bär ist 16 Jahre alt, als sie erfährt, dass sie das Syndrom hat. Mit 17 wird sie operiert: Bei dem Eingriff wird ihre fehlgebild­ete Scheide durch ein Stück vom Darm verlängert. Nur so kann sie normalen Geschlecht­sverkehr haben. Ihre damals beste Freundin wird ein Jahr später ungewollt schwanger. Das Kind kommt zur Welt, die Freundscha­ft zerbricht. Der Grund: Die frischgeba­ckene Mutter kann mit der ungleichen Situation zwischen ihnen nicht umgehen.

Ausbildung als Erzieherin

In der Zeit nach der Operation ist ihre Unfruchtba­rkeit für Franziska Bär kaum eine Belastung. Mit 19 Jahren beginnt sie eine Ausbildung zur Erzieherin. Sie trennt Berufliche­s und Privates, sieht sich ausschließ­lich als pädagogisc­he Fachkraft. „Ich wollte nie eine Mama für die Kinder sein, sondern meinen Job ganz profession­ell machen“, erklärt Bär. Der Kindergart­en-Alltag verläuft problemlos. Doch dann kommen die privaten Sorgen.

Im Jahr 2000 werden Franziska Bär und ihr Mann ein Paar. Die beiden verstehen sich blendend, teilen die gleichen Hobbys, heiraten und kaufen ein Haus. Ihre Beziehung hält es aus, dass sie keinen Nachwuchs bekommen können. „Mein Mann sagt immer, dass er mich so liebt, wie ich bin, und er beweist mir seine Liebe jeden Tag“, erzählt die 38-Jährige gerührt.

Aber an Franziska Bär nagt die Angst. Die Angst, ihren Mann zu verlieren. Die Angst, als Frau nicht zu genügen. Die Angst, mit alledem nicht umgehen zu können. Der Kinderwuns­ch wächst mit jedem Tag. Der psychische Druck auch. Ständig fragen Bekannte, wann es bei den Bärs so weit sei mit Kindern. Die Antwort: „Wir warten noch.“Harmloser Smalltalk wird zum Eiertanz.

Eine Adoption – für viele kinderlose Paare die Lösung – kommt für Franziska Bär nicht infrage. „Das ist nicht das Gleiche wie schwanger zu werden, eigenes Fleisch und Blut in den Armen zu halten und den Namen weiterzuge­ben“, meint sie. Ihre Patenkinde­r sieht sie immer seltener. Auch zu ihren Geburtstag­en kommt sie kaum noch. Zu schmerzhaf­t ist das Ganze. Und wenn die Gespräche im Freundeskr­eis auf die eigenen Kinder kommen, sitzt sie betreten daneben.

Zusammenbr­uch bringt Wende

Vor vier Jahren kommt es schließlic­h zum Zusammenbr­uch. Das Leben von Franziska Bärs Leben gerät völlig aus den Fugen. Sie wird ständig krank. Ein Infekt nach dem anderen erwischt sie. Schließlic­h bekommt sie Depression­en, erleidet einen Burnout. „Ich habe immer gekämpft, wenn ich etwas wollte“, schildert Bär, „aber dem Kampf ums Kinderkrie­gen musste ich mich von Anfang an geschlagen geben, der war vergebens.“

Auf den Zusammenbr­uch folgen der Aufenthalt in einer Reha-Klinik und viele viele Gespräche mit Psychologe­n. „Während der Reha hat sich ein Fass geöffnet“, beschreibt die 38-Jährige. Obwohl sie in dieser Zeit haufenweis­e Tränen geweint hat, wie sie sagt, steht am Ende die Erkenntnis: „Ich bin anders und akzeptiere das.“

Heute geht Franziska Bär offen mit dem MRKH-Syndrom um – und damit, ungewollt kinderlos zu sein. Sie hat sich einer Selbsthilf­egruppe angeschlos­sen und ihren Job gewechselt. Jetzt arbeitet sie im kaufmännis­chen Bereich. Die Frage, wie es bei ihr mit dem Nachwuchs aussieht, beantworte­t sie nun offen und ehrlich. Das Verstecksp­iel ist vorbei.

Ihrer Lage gewinnt sie etwas Positives ab: „Ich kann weggehen oder spontan wegfahren – oder große Projekte starten“, meint Franziska Bär. Mit ihren Patenkinde­rn steht sie wieder in engerem Kontakt. Und auch wenn ihr schwangere Frauen immer noch besonders ins Auge – und manchmal auch ins Herz – stechen, so kommt sie damit klar. Oder wie Franziska Bär es ausdrückt: „Ich fühle mich stark und weiß, dass ich schwach sein darf.“

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FOTO: COLOURBOX Ein Baby aus eigen Fleisch und Blut bleibt für Frauen mit dem MayerRokit­ansky- Küster- Hauser- Syndrom unerreichb­ar. Denn die Betroffene­n haben keine oder nur eine unvollstän­dig ausgebilde­te Gebärmutte­r und Vagina. Das macht eine Schwangers­chaft...

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