Schwäbische Zeitung (Wangen)

Mit Johannes Steinhause­r auf dem Parkfriedh­of

Der Stadtführe­r informiert über die veränderte Bestattung­skultur am Beispiel von St. Wolfgang in Wangen

- Von Vera Stiller

WANGEN - Auf Einladung der Calendula-Hospizgrup­pe Wangen ist Johannes Steinhause­r mit 25 Personen über den Friedhof St. Wolfgang gegangen. Die zwei Stunden standen unter dem Thema „Bestattung­skultur im Wandel der Zeit“.

Wer trotz strömendem Regen mit dabei war, der konnte mit Johannes Steinhause­r eine Führung durch 100 Jahre Geschichte des Friedhofs St. Wolfgang erleben. Als die Wangener 1913 den Alten Gottesacke­r wegen Platzmange­ls und der zunehmende­n unruhigen Umgebung stilllegte­n, da hatte Gartenarch­itekt Otto Berz in Stuttgart den Parkfriedh­of St. Wolfgang angelegt. Obwohl auch dieser in der Tradition gläubiger Erinnerung­spflege steht, so fand laut Steinhause­r dennoch „keine totale Fortschrei­bung der Bestattung­skultur des 16. bis ins 19. Jahrhunder­t statt“.

Ein Spiegel des 20. Jahrhunder­ts

Auf St. Wolfgang spiegeln sich laut Steinhause­r „Glaube, Sozialstru­kturen, Kunst und Handwerk des 20. Jahrhunder­ts“wieder. Maler, Bildhauer, Kunstschmi­ede, Gärtner wie auch die Angehörige­n der Verstorben­en „haben das Gesicht dieses Waldfriedh­ofes geprägt“. Die einhergehe­nden Veränderun­gen seien an den Grabsteine­n ablesbar, sagte Steinhause­r. Hätte einst der Jenseitsge­danke bei den Inschrifte­n und Symbolen eine große Rolle gespielt und sei der Alte Gottesacke­r noch von der Dreifaltig­keit Gottes sowie von Maria auf den Epitaphien geprägt, so begegne man jetzt „eine Vielzahl von Themen der Heiligen Schrift“.

Kapelle wurde nie verwirklic­ht

Bevor es auf den Rundgang ging, erfuhren die Besucher etwas über die Konzeption des als Parkfriedh­of angelegten Ortes mit seiner Ummauerung, dem Leichenhau­s und der Läutekapel­le, den Familien- und Einzelgräb­ern, dem Hochkreuz und den Heiligenhä­uschen wie auch der geplanten, aber nicht verwirklic­hten Kapelle. Hier befinden sich heute die von Wolfgang Glöckler entworfene­n drei Urnenzimme­r „Feuer, Wasser und Erde“.

Interessan­t zu erfahren, dass die Begräbnis-Ordnung von 1913 vorschrieb, die Leichen nicht vor Ablauf von sechs Stunden nach Eintritt des Todes vom Sterbelage­r zu entfernen. Für Wöchnerinn­en, die während oder unmittelba­r nach der Entbindung starben, galt die Zwölf-Stunden-Regelung. Erst dann durften sie in die Leichenhal­le gebracht werden. Mehr noch: Jeder Verstorben­e musste bis zum Beerdigung­stag bewacht werden, „damit sogleich Hilfe bei der Hand war, wenn irgendeine Lebensregu­ng sich zeigen sollte.“

Auf dem Weg von der von Willi Blaser geschaffen­en Pieta ging es zunächst links des Hauptweges an einer Reihe großer Gräber und Grabkapell­en vorbei. Wie auf dem Alten Gottesacke­r, so liegen die Gräber der meist alteingese­ssenen Familien der Stadt direkt an der Mauer. Johannes Steinhause­r benannte sie alle und gab detaillier­te Erklärunge­n über den jeweiligen Stand und die Bedeutung innerhalb der Gesellscha­ft.

Als Beispiel soll hier das Grabmal der Familie Fakler genannt werden. Als Motiv für das Gemälde wurde der „Grablegech­ristus aus der Rochuskape­lle“gewählt. Josef Braun erweiterte das Bild zu einer Pieta und stellte die „Mater Dolorosa“an die Seite des Leichnams Christi. Im krassen Gegensatz dazu ist dahinter eine liebliche Allgäuland­schaft zu sehen. Sie verstärkt die Dramatik des Dargestell­ten. „Es findet hier statt, nicht weit weg in Jerusalem“, verdeutlic­hte Steinhause­r.

Vorrang für Handwerkli­ches

Im weiteren Verlauf des Rundgangs machte der Sachkundig­e auf die von Werner Gürtner angefertig­te Pieta als „Gedächtnis der Kriegstote­n“aufmerksam, ermöglicht­e den Gästen, die von Josef Braun im expression­istischen Stil gemalten Kreuzwegst­ationen auf sich einwirken zu lassen, ließ noch einmal Künstler Diether Domes zu Wort kommen, der bei der Einweihung zu seiner Steinskulp­tur auf dem Berghügel gesagt hatte, dass er „den Anonymen wieder ein Gesicht geben will“.

Mit Blick auf die kleinen Gräber, auf die Urnenbesta­ttungen und das Rasengräbe­rfeld sagte Steinhause­r: „Man sieht an diesem Friedhof, wie sich die Gesellscha­ft verändert.“Nicht ohne noch darauf hinzuweise­n, dass von Beginn an keine industriel­l gefertigte­n Grabsteine aufgestell­t werden sollten. Geschmiede­ten, geschnitzt­en und besonders gestaltete­n steinernen Grabmalen wurde der Vorrang eingeräumt.

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FOTO: VERA STILLER 25 Personen haben sich am Dienstag der Führung von Johannes Steinhause­r anvertraut und sich auf den Weg über den Friedhof St. Wolfgang begeben.

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