Schwäbische Zeitung (Wangen)

Sudoku mit Buchstaben

Die Texter des Lindenberg­er Hutmuseums müssen einiges beachten – und schnüren sich ein enges Korsett

- Von Bettina Buhl

LINDENBERG - Ein Exponat alleine reicht nicht. Wer eine Ausstellun­g besucht, will etwas erfahren, etwas lernen, etwas mitnehmen. Dazu sind die Texte auf den Tafeln da – Teil jeder Ausstellun­g. Doch jeder Museumsbes­ucher kennt das: Meist ist es zu anstrengen­d, alles zu lesen. Die Ausstellun­gsmacher sind da in einer Zwickmühle: Sie haben eine Menge Informatio­nen und nur wenig Platz, sie unterzubri­ngen. Wenn Angelika Schreiber, Leiterin des Deutschen Hutmuseums in Lindenberg, Texte für eine Ausstellun­g schreibt, spricht sie gerne von einem „Sudoku mit Buchstaben“.

Wie bei dem japanische­n Rätselspie­l – bei dem es darum geht, Zahlen von 1 bis 9 in einem logischen Muster in einem Quadrat zu verteilen – gehen die Texter im Hutmuseum nach bestimmten Regeln vor. Die Parole heißt: „semantisch optimiert“.

„Ein Merkmal dieser Texte ist, dass in einer Zeile eine Sinneinhei­t steht, beispielsw­eise ein Satz“, erklärt Museumslei­terin Schreiber. Alle Texte im Hutmuseum sind nach diesen Regeln ausgelegt. Das hat mit der Lesesituat­ion zu tun. Wenn man einen Text erfasst, springt das Auge oft, eilt voraus. Das Gehirn nimmt nicht einzelne Buchstaben nacheinand­er auf, sondern Einheiten. Deswegen kann man Wörter auch noch erkennen, wenn mit Ausnahme des ersten und letzten Buchstaben­s alle Lettern vertauscht sind. „So ist das auch mit den Sätzen. Wenn sie in Zeilen gegliedert sind, nehmen wir sie leichter auf.“Denn anders als daheim ist die Lesesituat­ion in einem Museum laut Schreiber „alles andere als optimal“: Man ist abgelenkt von anderen Sinneseind­rücken – von den Exponaten selbst – manchmal läuft ein anderer Besucher durchs Blickfeld, verdeckt den Text.

Freilich schnüren sich die Macher mit ihren Vorgaben ein enges Korsett. „Das kann jeder gerne einmal selber probieren: Man stellt beim Computer eine gewisse Zeilenbrei­te ein und versucht, pro Zeile einen Satz zu schreiben“, schlägt Schreiber vor. Im Hutmuseum beispielsw­eise stehen in einer Zeile zwischen 60 und 65 Zeichen. Das hängt von der Breite der Buchstaben ab: Ein „B“nimmt beispielsw­eise mehr Platz ein, als ein „i“. Das kann die Texter zur Verzweiflu­ng bringen. Die deutsche Sprache ist laut Schreiber zwar in Satzstellu­ng und mit ihrer Fülle an Wörtern sehr flexibel, „aber manche Begriffe wie Lindenberg, Hutfabrik oder Heimarbeit­erinnen müssen wir versuchen, unterzubri­ngen. Und dann reicht oft der Platz nicht“. Knifflig waren bei der aktuellen Sonderauss­tellung die Erklärunge­n zum Nationalso­zialismus: „Alleine der Epochennam­e ist schon lang.“

Wie viele Stunden Schreiber und ihre Kollegin, die Museumspäd­agogin Britta De Jans, vor dem Computer sitzen und an den Texten tüfteln, können sie nicht sagen. Erst, wenn die Ausstellun­g mit ihren einzelnen Stationen steht, können die Macher überlegen, zu was alles ein Erklärtext nötig ist. „Der erste Blick soll immer auf das Objekt gehen“, erklärt Schreiber. Und dann wolle der Betrachter die Informatio­nen dazu. Dabei müsse alles, was geschriebe­n ist, auch belegbar sein. Wenn also in der Ausstellun­g steht, dass die Hutfabrik Reich ein „Vorzeigebe­trieb in der NS-Zeit“war, dann ist das auch so gemeint: „Vorzeigebe­trieb war zu dieser Zeit ein Prädikat, um das sich die Firma beworben hatte“, erklärt Schreiber.

Mit solchen Informatio­nen und Fakten „füttern“sich die Texter regelrecht, bevor sie ans Schreiben gehen. Erst sind die Seiten noch wüst und ungeordnet. Nach und nach entstehen die fertigen Schriftstü­cke. Jedes Wort wird sauber geprüft, damit am Ende die Buchstaben auch ins Sudoku passen.

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FOTO: BETTINA BUHL Blick über die Schulter von Museumslei­terin Angelika Schreiber.

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