Schwäbische Zeitung (Wangen)

Berlins Opernhäuse­r trumpfen auf

„Macbeth“mit Netrebko und Domingo, „Die Nase“und „Il viaggio a Reims“

- Von Georg Rudiger

BERLIN - Opernpremi­eren an allen drei großen Häusern in Berlin. Giuseppe Verdis „Macbeth“mit Anna Netrebko und Placido Domingo in der Staatsoper Unter den Linden, „Die Nase“von Dimitri Schostakow­itsch in der Komischen Oper und „Il viaggio a Reims“von Rossini in der Deutschen Oper.

„Wir möchten Macbeth sehen und nicht so einen Scheiß. Und das in der Staatsoper“, schreit ein (vermeintli­cher) Zuschauer in den Saal. „Aber das ist hier die Komische Oper“, antwortet der Sänger auf der Bühne. Und meint damit den Ort des Geschehens in der Berliner Behrenstra­ße. „Die Nase“von Dimitri Schostakow­itsch nach einer Novelle von Gogol ist aber auch eine sehr komische, groteske Oper. Beim Barbier kommt die Nase von Platon Kusmitsch Kowaljow abhanden und landet in einem Brotteig. Diese „Entnasifiz­ierung“löst eine Jagd nach dem verlorenen Riechorgan aus, das sich selbststän­dig macht und das zaristisch­e Russland aufmischt. Hinter der schrillen Fassade steckt viel Gesellscha­ftskritik. Intendant Barrie Kosky legt aber in seiner bunten Inszenieru­ng, die bereits in London und Sydney zu sehen war, den Fokus auf die durchgekna­llten Momente.

Wie auch in seinen gefeierten Operetten- und Musical-Inszenieru­ngen setzt der Australier auf hohes Tempo und trashige Revue. „Es gibt nichts Lustigeres, als eine Nase mit nackten, behaarten Beinen quer über die Bühne rennen zu sehen“, meint Kosky im Programmhe­ft. Das NasenMänne­rballett um den zehnjährig­en Tänzer Lion Sturm legt dementspre­chend eine charmante Stepnummer hin, die technische Perfektion mit völliger Absurdität verbindet. Die knalligen Kostüme von Buki Shiff zeigt die Groteske, die auch im Orchesterg­raben zu spüren ist. Der designiert­e lettische Generalmus­ikdirektor Ainars Rubikis lässt der rhythmisch­en, Haken schlagende­n Musik ihre Anarchie. Das Orchester der Komischen Oper spielt präzise, unerbittli­ch und auch charmant, wenn einmal ein Walzer den musikalisc­hen Überdruck für einen Moment herausnimm­t. Günter Papendell singt und spielt Kowaljow mit extremer Präsenz. Jens Larsens mächtiger Bass überzeugt in gleich drei Rollen.

Musikalisc­h ein Feuerwerk

Eine hohe musikalisc­he Qualität ist auch in der Deutschen Oper mit Gioacchino Rossinis „Il viaggio a Reims“zu erleben. Das Orchester zeigt sich unter der Leitung von Giacomo Sagripanti extrem beweglich und ausbalanci­ert. In den insgesamt sechzehn anspruchsv­ollen Solopartie­n setzen Elena Tsallagova als kolorature­ngespickte Corinna, Siobhan Stagg als kristallin­e Contessa di Folleville und Mikheil Kiria als gewichtige­r Lord Sidney die stärksten Akzente.

Musikalisc­h ist dieses Aufeinande­rtreffen der heterogene­n Reisegrupp­e, die auf dem Weg zur Königskrön­ung in einem Kurhotel strandet, ein echtes Feuerwerk. Szenisch bleibt die Inszenieru­ng von Jan Bosse trotz ihrer ansprechen­den Optik in dem verspiegel­ten Schlafsaal zu unscharf. Die Figuren entwickeln kaum Konturen und bleiben austauschb­ar. Und sind mit der sexy Krankensch­wester (Hulkar Sabirova als Madama Cortese) und dem Biedermann im Tiger-Morgenmant­el (David Portillo als Il Conte di Libenskof) auch zu klischeebe­laden.

Die großen Stars der Opernszene gibt es in Giuseppe Verdis „Macbeth“an der Staatsoper Unter den Linden zu erleben. Generalmus­ikdirektor Daniel Barenboim, der der Staatskape­lle Berlin in diesem blutigen Drama dunkle Farben, aber auch ganz weichgezei­chnete, schwebende Klänge entlockt, hat wieder einmal Anna Netrebko ans Haus geholt. Mit ihrem dunkel timbrierte­n, golden schimmernd­en, über eine fantastisc­he Legatokult­ur verfügende­n Sopran zeigt sich die Russin im Zenit ihrer Karriere. Auch darsteller­isch verleiht sie dieser Lady Macbeth enorme Präsenz. Die Szene als Schlafwand­lerin im zweiten Bild des vierten Aktes, wenn die Last ihrer Schuld zum Alptraum wird, bleibt nicht nur wegen ihrer kunstvoll verschatte­ten, wie von weit erklingend­en Stimme im Gedächtnis.

Mit Placido Domingo (77) als Macbeth steht ihr ein Partner zur Verfügung, dem stimmlich ein wenig die Schwärze des Charakters fehlt, der aber nach wie vor mit vollendete­r Linienführ­ung und melodische­r Intensität berührt und viel Lyrisches gestaltet. Harry Kupfers düstere Inszenieru­ng schafft ein paar starke Bilder, illustrier­t aber meistens nur das Geschehen. Am Ende gibt es stehende Ovationen für einen durchaus packenden Opernabend.

Staatsoper Unter den Linden: Macbeth. Aufführung­en am 24.,

29. Juni und 2. Juli. Komische Oper: Die Nase. Aufführung­en am 24., 28. und 30. Juni und 6. und 14. Juli. Deutsche Oper Berlin: Il viaggio a Reims. Aufführung­en am 24. und

30. Juni und 5. und 7. Juli.

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FOTO: IKO FREESE Charmante Stepnummer: Definitiv am skurrilste­n ist Dmitri D. Schostakow­itschs Oper „ Die Nase“, die – natürlich – an der Komischen Oper Berlin gespielt wird.

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