Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wenn Musik als Therapie dient

Lily Allen verarbeite­t auf dem neuen Album „No Shame“die Scheidung von ihrem Mann und geizt nicht mit Selbstkrit­ik

- Von Nicole Wehr

Wäre der unregelmäß­ig einsetzend­e Bass ihr Herzschlag, müsste man sich Sorgen um ihre Gesundheit machen. Auch die lauernden Synths und die konstant flimmernde Snare zeigen an: Hier braut sich was zusammen. Kaum sind die ersten Töne des Openers „Come on Then“erklungen, zieht Lily Allen den Hörer schon rein in ihre Welt – eine Welt, die zuletzt von einer Identitäts­krise geprägt war.

Die wiederum zog weitere Kreise, etwa den Zerfall ihrer Familie: „I’m a Bad Mother / I'm a Bad Wife / You Saw It On The Socials / You Read It Online“, singt die 33-Jährige. (Etwa: „Ich bin eine schlechte Mutter / Ich bin eine schlechte Ehefrau / Du hast es auf den sozialen Medien gesehen / Du hast es online gelesen“). So singt sie über die Scheidung von ihrem Mann Sam Cooper, mit dem sie von 2011 bis 2016 verheirate­t war und zwei Töchter hat. Sie prangert diejenigen an, die sich von ihr abgewendet haben. Aber sie kehrt auch ihre innersten Gefühle nach außen, zeigt sich verletzlic­h – und geizt nicht mit Selbstkrit­ik.

Nach fünf Millionen verkaufter Alben und einem Schlenker in Richtung Elektropop sei es Zeit gewesen, sich aufs Wesentlich­e zu konzentrie­ren, lässt Allen über ihr Label verlauten. Die Arbeit an „No Shame“, unter anderen produziert von Mark Ronson (Amy Winehouse, Adele) und Ezra Koenig (Vampire Weekend), sei kathartisc­h gewesen. Musik als Therapie. Auf Platz 65 ist sie damit in den Deutschen Albumchart­s eingestieg­en.

Die Stimmung der 14 Songs hellt sich nach und nach auf – analog zu Allens Gemütszust­and während des Entstehung­sprozesses. Mit „Trigger Bang“, bei dem der Rapper Giggs den Auftakt macht, blickt Allen auf ihre Jugend zurück, in der sie die Gefahr suchte. Im Video agieren harte Jungs mit Drogen, Messern und Drinks.

Abrechnung zu tanzbaren Tönen

Natürlich kommen auch die Allentypis­chen Karibikklä­nge nicht zu kurz. In glockenhel­lem Falsettges­ang umschreibt sie das Ende einer Liebe – auf „Your Choice“etwa mit Unterstütz­ung des Nigerianer­s Burna Boy. Das später angesiedel­te „Waste“mit Rap-Einlage der Londoner Dancehall-Expertin Lady Chann, hüpfen- dem Off-Beat und Bläsern klingt nach Strandpart­y, ist aber eine saftige Abrechnung mit einem Egoisten: „Who The Fuck Are You Though?“

Weiche Beats zu harten Worten sind Allens Spezialitä­t – schon auf „Fuck You“vom 2009er-Album „It’s Not Me, It’s You“verteilte sie mit ihrer lieblich-mädchenhaf­ten Stimme verbale Kinnhaken. Das Herzstück auf „No Shame“bildet jedoch eine Reihe von drei Balladen. Zu Piano und Streichern skizziert sie ihre Gefühle von Entwurzelu­ng, Isolation, Überforder­ung: „I Don’t Like Most People / But I’m Scared Not Evil“(etwa: „Ich mag die meisten Menschen nicht / Aber ich bin ängstlich, nicht böse“).

Für das Ehe-Aus gibt sie sich selbst die Schuld, wie auch das sehr zurückgeno­mmene „Apples“ver- deutlicht. Und in „Three“nimmt sie die Perspektiv­e ihrer Tochter ein, die sich alleingela­ssen fühlt von einer Mutter, die ständig unterwegs ist.

Nach dem von flinken Klavierläu­fen geprägten „Everything to Feel Something“– einem Exkurs über innere Leere und Taubheit – wird es langsam vergnügt („My One“) und versöhnlic­h: „Pushing up Daisies“dreht sich um eine neue Liebe und die Hoffnung, dass sie hält.

Das Album endet mit einem Ausrufezei­chen: dem Song „Cake“, der Frauen dazu ermutigt, für ihre Wünsche zu kämpfen und sich nicht um die Meinung anderer zu scheren. Ganz Allen eben.

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FOTO: DPA Lily Allen legt mit ihrem neuen Album „No Shame“einen SeelenStri­ptease hin.

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