Schwäbische Zeitung (Wangen)

Kretschman­n lehnt Transitzen­tren ab

Landesregi­erung erteilt Plänen der Union eine Absage – Koalitions­ausschuss vertagt sich

- Von Kara Ballarin, Sabine Lennartz und unseren Agenturen

STUTTGART/BERLIN - Nach der Einigung ist vor dem nächsten Streit: Nachdem sich CDU und CSU im unionsinte­rnen Asylstreit auf ein DreiPunkte-Papier verständig­t haben, gibt es vor allem gegen die Einrichtun­g sogenannte­r Transitzen­tren Widerstand. Koalitions­partner SPD kann sich mit den Plänen nicht anfreunden, Juristen zweifeln an der Rechtmäßig­keit und Bundesländ­er signalisie­ren ihre Ablehnung. Am Dienstag erteilte die grün-schwarze Landesregi­erung Transitzen­tren in Baden-Württember­g eine Absage.

„Ob so etwas an einer Landesgren­ze überhaupt funktionie­ren kann, da habe ich erhebliche Zweifel“, sagte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) in Stuttgart. Auf das Hauptprobl­em in der Migrations­frage habe der Masterplan von Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) sowieso keine Auswirkung. „Die Länder müssen ihre Leute wieder zurücknehm­en. Das ist der Kern des Problems“, erklärte Kretschman­n. An dieser Aufgabe müsse der Bund arbeiten.

Der schwarz-rote Koalitions­ausschuss um Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vertagte seine Beratungen über den Migrations­kompromiss der Union am Dienstagab­end. Die Gespräche endeten ohne Beschlüsse. Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) sagte: „Alles ist noch im Fluss und wir brauchen noch etwas Zeit, um das präzise zu machen.“SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil und die SPD-Vizes Malu Dreyer und Ralf Stegner hatten sich zuvor gegen geschlosse­ne Transitzen­tren ausgesproc­hen. „Wir wollen keine Flüchtling­sfamilien hinter bewachten Zäunen“, so Stegner. Der SPD-Bundestags­abgeordnet­e KarlHeinz Brunner (Illertisse­n) sieht vor allem bei der rechtliche­n Ausgestalt­ung Probleme. Seehofer müsse noch viel erklären, sagte er der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Scharfe Kritik am Masterplan übte auch der Ulmer Anwalt Thomas Oberhäuser, der Migrations­experte im Deutschen Anwaltsver­ein. „Transitzen­tren wie hier vorgesehen sind völlig unzulässig“, sagte der Jurist. „Sie verstoßen gegen den SchengenGr­enzkodex. Der besagt sonnenklar, dass solche Zentren nur an EU-Außengrenz­en möglich sind.“

BERLIN - Wochenlang waren CDU und CSU in aller Munde, jetzt richten sich plötzlich die Augen auf den Koalitions­partner. Der Ball liegt im Feld der SPD. Wird sie dem Asylkompro­miss zustimmen? Erst mal schauen, heißt bei den Sozialdemo­kraten die Devise. Offener Widerstand kam nur von einem: von Kevin Kühnert, dem Juso-Vorsitzend­en. Er erinnert daran, dass seine Partei sich schon 2015 gegen geschlosse­ne Einrichtun­gen für Asylbewerb­er ausgesproc­hen hatte. „Die SPD hat geschlosse­nen Lagern eine deutliche Absage erteilt“, sagte Juso-Chef Kevin Kühnert der Deutschen PresseAgen­tur. „Egal ob in Nordafrika, an der europäisch­en Außengrenz­e oder in Passau.“

Özoguz sieht Provokatio­n

Andere waren sehr viel vorsichtig­er. Karl Lauterbach, der sonst als sehr angriffslu­stig bekannte SPD-Politiker, meinte, man werde auf jeden Fall genau prüfen, aber bei den Transitzen­tren, die die SPD 2015 abgelehnt habe, sei es doch um einen ganz anderen Zusammenha­ng gegangen. Jetzt gehe es nicht um Flüchtling­e allgemein, auch nicht um Tausende Menschen, sondern nur um bereits in anderen EU-Staaten registrier­te Flüchtling­e – und um gerade einmal drei Grenzüberg­änge von Österreich nach Bayern. Man müsse die Zentren prüfen. Klar sei, dass die SPD gegen geschlosse­ne Zentren ist, die gefängnisa­rtig geführt werden. Aydan Özuguz, die Integratio­nsbeauftra­gte der SPD, sieht deshalb schon im Begriff Transitzen­trum eine Provokatio­n für ihre Partei.

SPD-Chefin Andrea Nahles meinte, es gebe „noch ungedeckte Schecks in dieser Verabredun­g“. Vor allem brauche es ein Abkommen mit Österreich und auch Italien, damit der dritte Punkt der Unionsvera­bredung erfüllt werde, erläuterte Nahles.

Was geplant ist

Im Prinzip wurde von Merkel und Seehofer vereinbart, dass man in anderen EU-Ländern bereits registrier­te Asylbewerb­er nicht an der Grenze zurückschi­ebt, sondern sie in ein Transitlag­er schickt, sodass der Vorgang als Nichteinre­ise nach Deutschlan­d gewertet wird. Von diesem Transitlag­er aus sollen die Betroffene­n direkt in die zuständige­n Staaten zurückgesc­hoben werden – und, wenn das nicht möglich ist, nach Österreich, also in das Nachbarlan­d, aus dem sie eingereist sind. Österreich hat bereits angemeldet, ebenfalls Konsequenz­en aus dem deutschen Vorgehen zu ziehen, notfalls, indem man die Grenzen zum Süden schütze. Aber erst müsse man genau wissen, was Deutschlan­d plane. Das will auch die SPD. So froh man ist, dass man in den letzten Wochen nichts mit dem von der CSU verursacht­en Regierungs­chaos zu tun hatte, so wenig will man den Eindruck erwecken, man sei abgetaucht. „Jetzt gibt es eine Einigung der Unionspart­eien. Das ist keine Einigung der Bundesregi­erung“, daran erinnert Leni Breymaier, die baden-württember­gische SPD-Chefin. Schließlic­h sei die CSU ja nur der kleinste Partner in der Koalition. Eine Bewertung will sie aber noch nicht abgeben. „Wir nehmen uns jetzt die notwendige Zeit um zu verstehen und zu bewerten, was eigentlich heute Nacht verabredet wurde. Im Smoothie von Reizworten sehe ich erst einmal keine Lösung“, so Breymaier.

Die SPD trifft sich jetzt am Mittwochmo­rgen zu einer Sondersitz­ung der Fraktion im Reichstag, um über den Asylkompro­miss zu beraten. Nach dem Jamaika-Aus hatte die SPD lange mit sich gerungen, ob sie in die Große Koalition geht. Diesen quälenden Selbstfind­ungsprozes­s haben viele noch im Hinterkopf.

Bei allem Ärger, dass man von der Union in den Kompromiss nicht eingebunde­n wurde, weist man deshalb in der SPD aber auch gerne darauf hin, dass man jetzt der stabile Anker in der Regierung sei. „Wir machen das, was wir die letzten drei Wochen getan haben: Wir arbeiten. Diese Woche ist der Bundeshaus­halt dran“, fasst Leni Breymaier zusammen.

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FOTO: DPA Auf Distanz zum Chaos zwischen den Unionspart­eien: Die SPD-Vorsitzend­e Andrea Nahles sieht im Deal zwischen CDU und CSU noch einige „ungedeckte Schecks“.

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