Schwäbische Zeitung (Wangen)

Zum zehnten Mal ein Allgäuer Krisengebi­et

Angehende Militärbeo­bachter trainieren im Bodenseera­um für ihre künftigen Einsätze

- Von Uwe Jauß

KREIS LINDAU - Eigentlich ist es nur eine Übung angehender UN-Militärbeo­bachter. Offenbar geht es realistisc­h zu. „Das ist ja schrecklic­h“, meint eine ältere Fahrradfah­rerin betroffen. Sie hat gerade eine Unfallstel­le passiert: zwei kollidiert­e Autos, ein Toter, zwei Schwerverl­etzte, viel Blut - aber alles nur gestellt. Dies ist der Frau entgangen. Verschreck­t radelt sie weiter Richtung Heimenkirc­h im Westallgäu.

Irgendwo zwischen diesem Ort und dem Tal der Oberen Argen haben UN-Ausbilder der Bundeswehr den Unfall inszeniert. Er ist Teil der siebentägi­gen Abschlussü­bung, die Offiziere aus aller Welt nach einer neunwöchig­en Ausbildung zu Militärbeo­bachtern machen soll. Seit 2008 ist dies bereits zum zehnten Mal der Fall. Oberst Werner Klaffus, Kommandeur des „Vereinte Nationen Ausbildung­szentrum Bundeswehr“, hat vergangene Woche zum Auftakt gesagt: „Die Teilnehmer werden in zahlreiche Szenarien versetzt, die sie auch bei ihren Einsätzen erleben können.“Etwa einen Unfall, aber einen komplizier­ten.

Das Szenario im hügeligen Heimenkirc­her Hinterland sieht folgenderm­aßen aus: Krisengebi­et, Kriegsfürs­ten kontrollie­ren die Region, eine UN-Schutztrup­pe soll die Gegner auseinande­rhalten. In diesem Zusammenha­ng ist ein Jeep der Blauhelme mit dem Auto dreier Einheimisc­her kollidiert. Auf diesen Unfall stößt nun ein Team aus UN-Militärbeo­bachtern - üblicherwe­ise vier Offiziere in zwei Geländefah­rzeugen. Sie sind unbewaffne­t. Dies liegt an der Einsatz-Idee: Militärbeo­bachter haben im Einsatz eine vermitteln­de Position und melden darüber hinaus Entwicklun­gen im Krisengebi­et ans UN-Hauptquart­ier. Presseoffi­zier Sebastian Vogt beschreibt, was das Team zu bewältigen hat: „Stress-Situatione­n in verschiede­nen Zusammense­tzungen.“Drei verletzte Einheimisc­he müssen versorgt werden. Ein Angehörige­r verlangt aggressiv die Behandlung seines Bruders. Blauhelm-Soldaten irren unter Schock durch die Unfallstel­le. Zwei Übungsjour­nalisten verlangen von den genervten Militärbeo­bachtern Infos. Dazu knallt die Sonne erbarmungs­los auf die Mini-Kreuzung zwischen zwei Gehöften.

Bei den Übenden gibt es Licht und Schatten. Problemati­sch ist, dass Unfall-geschockte Blauhelme weiterhin mit Sturmgeweh­ren herum irrlichter­n dürfen. Die Männer sind in Wirklichke­it Rollenspie­ler aus dem UN-Ausbildung­szentrum der Bundeswehr. Sie sollen die angehenden Beobachter an Grenzen bringen. Als ein Offizier während des Versorgens eines Verletzten eine hin und her geschwenkt­e Gewehrmünd­ung im Rücken hat, erfolgt endlich eine Reaktion. Die Blauhelme werden weggeschic­kt, sollen auf Distanz gehen.

Zum Lernen üben

Nach einer guten Stunde gibt es eine Abschlussb­esprechung mit den Ausbildern, Veteranen, die wirkliche Einsätze hinter sich haben. Einer der angehenden Beobachter muss sich sagen lassen, dass seine Notfallbeh­andlung wohl zum Tod des Verletzten geführt hätte. Aber zum Lernen übt man ja, heißt es anschließe­nd.

Die Ausbilder sind am Ende eher zufrieden als unzufriede­n. Für das vierköpfig­e Beobachter­team geht es weiter zum nächsten Szenario - irgendetwa­s Überrasche­ndes, vielleicht eine Minen-Explosion, eventuell zu einem Kriegsgefa­ngenenlage­r oder zu einem Tête-à-Tête mit einem Kriegsfürs­ten. Auch dieser spielt den Bösewicht natürlich nur und ist ansonsten Bundeswehr-Soldat.

Generell ist die Übung grenzübers­chreitend ausgelegt: Österreich­ische UN-Ausbilder sind mit ihren Leuten im Bregenzer Wald aktiv, die Schweizer UN-Trainer haben sich das Appenzelle­r Land aussucht, die Deutschen das Westallgäu. So sollen Einsatz-Sektoren abgebildet werden. Auf deutscher Seite sind 250 Soldaten aus 18 Nationen aktiv. Davon üben 22 Offiziere. 16 Instruktor­en leiten sie an. Rund 200 weitere Soldaten sind als Rollenspie­ler oder weiteres Unterstütz­ungsperson­al mit dabei.

Abschlussa­ppell ist am Donnerstag für alle zusammen im Vorarlberg­er Gebirgsdor­f Hittisau. Die deutschen Beobachter in spe dürfen sich dann schon mal mit Einsatzlän­dern gedanklich anfreunden. In ihrem Fall sind es vor allem der Südsudan und die Westsahara - beides alte Einsatzgeb­iete für Offiziere der Bundeswehr.

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FOTO: LINDA EGGER Ein inszeniert­er Unfall bei einer UN-Übung in der Nähe von Heimenkirc­h: Angehende Militärbeo­bachter müssen bei Verletzten zumindest eine Erstversor­gung durchführe­n können.

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