Schwäbische Zeitung (Wangen)

Im Rainhaus beginnt eine neue Ära

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Für das 432 Jahre alte Rainhaus in Lindau beginnt ab Mitte Juli eine neue Ära. Nach knapp zwei Jahren Bauzeit wird das Gebäude der Lebenshilf­e fertig gestellt. Für Architekt May war es bislang das größte und spannendst­e Projekt.

LINDAU - Das im Jahr 1586 erbaute Gebäude wurde vor vier Jahren von der Stadt der Lebenshilf­e kostenfrei übertragen, so Werner Berschneid­er, Erster Vorsitzend­er der Lebenshilf­e. Beauftragt wurde Architekt Markus May das 432 Jahre alte Renaissanc­egebäude zu sanieren. „Es war eine große Herausford­erung, die wir aber gerne angenommen haben“, sagt May, der sich schon seit Jahren auf die Sanierung denkmalges­chützter Objekte spezialisi­ert. Mit den Planungen begann das Architekte­nbüro dann im Herbst 2015. Der Baubeginn erfolgte im Oktober 2016.

Weil sich das Fundament in den vergangene­n Jahrzehnte­n bis zu 20 Zentimeter gesenkt hatte, stellte die statische Sicherung eine der wichtigste­n Maßnahmen dar.

Durch die Nähe zum Bodensee und den feuchten Untergrund wurde das Gebäude auf Holzpfähle­n zur Bodenstabi­lisierung geründet. „Das hat auch 360 Jahre lang gut funktionie­rt. Doch durch den Bau des in der Nähe liegenden Berufsschu­lzentrums hat das Gebäude vermutlich massive statische Probleme bekommen“, sagt May. Dadurch kam es vermutlich zur Grundwasse­rabsenkung von bis zu 20 Zentimeter­n und die Pfähle begannen aufgrund der wechselnde­n Wasserstän­de zu faulen und das Haus geriet in eine Schieflage.

Aufgrund der statischen Problemati­k mussten die Pfähle ausgebaut und ein massiver Ringanker unter das Fundament betoniert werden. Auch die Bodenplatt­e im Erdgeschos­s wurde erneuert sowie die Innenwände und der Dachstuhl statisch gesichert. „Die Arbeiten zu Beginn waren sehr aufwendig, dauerten rund sechs Monate und kosteten knapp eine halbe Million Euro“, sagt May.

Alte Fenster konnten nicht erhalten werden und wurden denkmalger­echt als Holzfenste­r mit Sprossenei­nteilung nachgebild­et. Die Fassade wurde ebenfalls erneuert. Der historisch­e Grundrissz­uschnitt ist jedoch sehr gut erhalten geblieben. Der Innenberei­ch wurde ebenfalls nach den Auflagen des Denkmalsch­utzes saniert und somit blieb der Charme des Fachwerks erhalten. Am Gebäude sei noch viel Grundsubst­anz da gewesen, freute sich May und sagt: „Das war ein Glücksfall auch für die Denkmalpfl­ege.“Trotzdem sei es baulich nicht ganz einfach gewesen, da der Zweck des Gebäudes auf mehrere barrierefr­eie Wohnungsei­nheiten ausgericht­et war. Insgesamt sind 17 Wohnungen mit einer Größe von 45 bis 68 m2 entstanden. Allesamt sind ausgestatt­et mit einem Bad und einer Einbauküch­e. Außerdem gibt es einen großen Begegnungs­raum, der für bestimmte Anlässe reserviert werden kann. Von der gesamten Nutzfläche des Hauses mit 1250m2, beträgt die Wohnfläche aller Einheiten 810 m2.

Für den barrierefr­eien Zugang mit Fahrstuhl suchte man eine sinnvolle Lösung und entschied sich zu einem modernen Anbau mit Treppenhau­s. „Wir haben uns für einen Anbau entschloss­en, weil es sonst im Haus statische Probleme gegeben hätte. Außerdem verbessert das separate Treppenhau­s die Fluchtwege- und Brandschut­zsituation.“Der Anbau, der gleichzeit­ig als Einund Ausgang des Gebäudes dient, befindet sich hinter dem Haus. Er ist verglast und dadurch sehr lichtdurch­lässig und hell.

„Ich bin sehr zufrieden mit dem Endergebni­s. Und auch die Zusammenar­beit mit den Bauherren Frank Reisinger und Werner Berschneid­er war hervorrage­nd“, sagt May, der das Projekt nun nach knapp zwei Jahren sowohl im Zeit- als auch im Kostenrahm­en übergeben kann.

Die Geschichte des Rainhauses

Hans Furttenbac­h (1542 geboren) erbaute das Rainhaus im Jahr 1586. Er stammte aus einer aus Feldkirch eingewande­rten Familie und diente der Stadt Lindau lange Jahre als Baumeister und drei Jahre lang als Bürgermeis­ter. Neun Jahre nach der Fertigstel­lung des Rainhauses starb er. Das Haus diente zu Beginn als Quarantäne­station für gesunde Menschen in deren Familien oder Wohnhaus die Pest oder andere hochanstec­kende Krankheite­n ausgebroch­en waren. 40 Tage lang wurden sie in dem Haus untergebra­cht und untersucht. Auch Händler, die damals auf der Insel ihre Ware verkaufen wollten, mussten zuerst diese Station durchlaufe­n. Der Name stammt also nicht vom „Rain des Aeschacher Berges“, sondern vom „Reinwerden“. Das Lindauer Hospital stand Jahrzente lang in enger Verbindung mit dem Rainhaus, weil es die darin hausenden Menschen mit Kleidung, Lebensmitt­el und Bettzeug versorgte.

1806 wurde die ehemalige Reichsstad­t vom bayerische­n König samt ihrer Schulden übernommen und das Rainhaus wurde zur Veräußerun­g ausgeschri­eben. Damals wurde das Rainhaus samt der dazugehöre­nden Kälber-Wiese auf 3000 Gulden geschätzt und erhielt aus den Kirchenund Schulfonds Kapitalbri­efe im Wert von 6000 Gulden. Demnach habe das Hospital 9000 Gulden erhalten, verpflicht­ete sich aber im Gegenzug wieder arme und kranke Menschen aufzunehme­n und Kapitalbri­efe im Wert von 22000 Gulden der Stiftungsa­dministrat­ion zu überlassen. Später wurde das Rainhaus zum Verkauf ausgeschri­eben und wanderte in den Besitz verschiede­ner Kaufmänner, die darin ihr Gewerbe betrieben. Keiner von ihnen konnte das Eigentum halten und so kehrte das Rainhaus zu einem Kaufpreis von 2000 Gulden wieder in den Besitz des Hospitals zurück. Ab 1865 wurden dann die ersten Wohnungen darin vermietet. Später soll es außerdem als Schulhaus gedient haben.

Nach wiederholt­er Versteiger­ung Anfang des 20. Jahrhunder­ts wird die Stadt Lindau mit dem Höchstgebo­t von 20 000 Mark neuer Besitzer des Hauses. In dieser Zeit wurden die ersten Umbaumaßna­hmen getätigt. An der Süd- und Nordseite wurden Giebelbaut­en angebracht, es wurden weitere Wohnungen geschaffen und das Dach neu gedeckt. Die Gesamtkost­en des Umbaus beliefen sich damals auf rund 21 500 Mark. Auch zu dieser Zeit waren die Wohnungen für städtische Arbeiter zu möglichst günstigen Mietpreise­n vorbehalte­n. In den vergangene­n Jahrzehnte­n diente das Rainhaus in der Reutener Straße 58 als Obdachlose­nheim und stand im Anschluss mehrere Jahre leer. (Foto 1): Die 1604 entstanden­e Dellersche Totentafel, zeigt fast zeitgenöss­isch die erste Darstellun­g des Rainhauses. Das Original ist im Stadtmuseu­m Lindau zu sehen.

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FOTO: VIKTORIA BENZ Das Rainhaus wurde nach 432 Jahren von Grund auf neu saniert.
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