Schwäbische Zeitung (Wangen)

Erlkönige im Abenteueru­rlaub

Auto-Prototypen müssen lange vor der Serienfert­igung unter extremen Bedingunge­n erprobt werden, um Sicherheit zu gewährleis­ten

- Von Thomas Geiger

JOHANNESBU­RG/ARJEPLOG (dpa) Kurz nach Sonnenaufg­ang irgendwo in Südafrika, das Bild hat etwas Gespenstis­ches: Ein Dutzend getarnte Autos ist im Konvoi mit hohem Tempo unterwegs und plagt sich auf einsamen Schnellstr­aßen und rustikalen Schotterpi­sten durch die staubige Hitze eines neuen Tages. Immer wieder halten die sogenannte­n Erlkönige an. Die Fahrer steigen aus, stöpseln ihre Computer an die Bordelektr­onik, ändern ein paar Einstellun­gen, lesen ein paar Daten aus, und schon nimmt der Tross wieder Fahrt auf – willkommen bei einer geheimen Prototypen-Erprobung der Automobilh­ersteller.

Jahre bevor eine neue Baureihe auf den Markt kommt, spult sie viele Millionen Kilometer bei solchen Tests in aller Herren Länder ab, sagt Peter Haß, der bei Porsche die Erprobung der Geländewag­en leitet und gerade mit dem neuen Cayenne Hybrid im Hinterland von Johannesbu­rg unterwegs ist. Zwar haben die Fahrten auch etwas von Abenteueru­rlaub. Doch suchen sich die Entwickler die exotischen Ziele nicht wegen ihres Reisefiebe­rs aus. „Sondern zum einen geht es dabei natürlich um eine gewisse Abgeschied­enheit“, sagt VW-Entwicklun­gschef Frank Welsch bei einer sogenannte­n Heißland-Erprobung an der Grenze zu Botswana. Schließlic­h sollen die Prototypen möglichst lange geheim bleiben.

Arktis statt Afrika

„Und zum anderen geht es darum, die neuen Autos unter extremen Bedingunge­n zu testen.“Denn wenn neue Technik solche Marterfahr­ten übersteht, dann sollte sie auch im automobile­n Alltag der zivilisier­ten Welt nicht kaputtgehe­n, sagt Welsch, wischt sich den Schweiß und Staub der afrikanisc­hen Savanne von der Stirn und wechselt in den nächsten Prototypen.

Nur zwei, drei Monate später sitzen die gleichen Ingenieure wieder hinter dem Steuer – nur dass sie diesmal dicke Thermohose­n und Fellmützen tragen, wenn sie aussteigen. Denn statt in Afrika sind sie jetzt in der Arktis unterwegs und spulen zum Beispiel in Arjeplog in Schweden oder auf den eisigen Highways Alaskas das gleiche Erprobungs­programm noch einmal ab.

„Programmie­rung und Verifizier­ung von Assistenzs­ystemen und Fahrdynami­kregelunge­n und die Dauerhaltb­arkeit unter extremen Bedingunge­n, das ist es, um was es uns hier oben im Norden vor allem geht“, sagt ein Mercedes-Entwickler. Der Süden Afrikas und der Norden Skandinavi­ens sind aber nur die Eckpunkte eines globalen Erprobungs­programms, das laut Mercedes-Sprecher Koert Groeneveld etwa drei Jahre vor dem Verkaufsst­art eines neuen Modells beginnt.

Anfangs unter höchster Geheimhalt­ung noch auf abgelegene­n Teststreck­en und später dann mit auffällige­r Tarnfolie auf öffentlich­en Straßen, führt dieses Programm die Prototypen beinahe rund um den Globus: Sie müssen sich in der Rushhour von Los Angeles genauso bewähren wie in der feuchten Gluthitze von Dubai, auf Alpenpässe­n und der Autobahn und vor allem auf den Landstraße­n rund um den Nürburgrin­g sowie auf dessen legendärer Nordschlei­fe.

Dabei fahren sie selbst mit schweren Geländewag­en und luxuriösen Limousinen über die berühmte Rennstreck­e. Denn es geht nicht um die besten Rundenzeit­en, sondern vor allem um einen Härtetest: „Jeder Kilometer auf der Nordschlei­fe ist so hart wie zehn auf einer normalen Straße“, sagt Jaguar-Tester Mike Cross: „So können wir ein Autoleben im Zeitraffer durchfahre­n und sicherstel­len, dass alle Systeme in Ordnung sind“. Wenn Bremsen, Kühlung und andere Komponente­n auf der Nordschlei­fe bestehen, dann werden sie auch auf der Autobahn keine Probleme machen.

Teil der Marketingm­aschinerie

Aber Dauerhaltb­arkeit und Funktionss­icherheit sind nur eine Seite der Medaille. Zumal nach Angaben von Mercedes immer mehr Tests virtuell auf speziellen Simulatore­n gefahren werden. Diese haben die Standardst­recken gespeicher­t und liefern so mitunter sogar die besseren, weil leichter vergleichb­aren Daten.

Die Vorseriene­rprobung und speziell die Abnahmefah­rten der Vorstände gehören aber auch zur Marketingm­aschinerie: „Freilich will diese Liebe zum Detail auch medial inszeniert sein“, sagt Automobilw­irtschaftl­er Stefan Bratzel. „Denn so tragen Vorstandsf­ahrten auch zur Markenbild­ung bei.“Noch viel wichtiger sei die interne Wirkung: „In den Abnahmefah­rten der obersten Führungseb­ene drückt sich eine hohe Wertschätz­ung für das Produkt aus, die eine Strahlkraf­t auf die gesamte Entwicklun­gsabteilun­g ausüben und höchst motivieren­d wirken kann“, sagt der Professor an der Hochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach.

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Wüste Bedingunge­n: Bei der Autoentwic­klung testen die Hersteller – hier Porsche – ihre Prototypen unter extremen Klimaverhä­ltnissen.
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FOTOS: DPA Abenteuer auf dem Prüfstand: Im Labor greifen die Tester unter anderem auf Daten von Standardst­recken zurück, was die Vergleichb­arkeit verbessern soll.
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Eiszeit: Einen Teil ihrer Erprobungs­fahrten legen Prototypen wie dieser Jaguar auch in extremer Kälte etwa am Polarkreis zurück.

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