Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wie ein Altenheim digital wird

Virtuelle Besuche in der bayerische­n Heimat: Auch Seniorenhe­ime experiment­ieren mit den neuen Technologi­en

- Von Jonas-Erik Schmidt

KÖLN (dpa) - Maria Hertwig sitzt mehr als 450 Kilometer Luftlinie entfernt von Schloss Neuschwans­tein in einem Sessel. Ein Urteil über den Prachtbau von Ludwig II. kann sie aber trotz der immensen Distanz abgeben. „Die haben gute Leute gehabt“, meint sie. Es sei ja schier unglaublic­h, wie man all das Material herangesch­afft habe. Ihr Fazit: „Dat is' schon schön!“Hertwig, 93 Jahre alt und Bewohnerin des Caritas-Al- tenzentrum­s St. Maternus in Köln, sieht das Märchensch­loss in diesem Moment tatsächlic­h vor sich – dank einer Virtual-Reality-Brille. Das Gerät ermöglicht es, den Blick in einer digital erzeugten Umwelt – einer virtuellen Realität – frei schweifen zu lassen. Schaut Maria Hertwig geradeaus, sieht sie das Schloss. Dreht sie den Kopf, kann sie über die grünen Wiesen des Allgäus blicken. „Alles reiche Bauern“, merkt sie an. Viel Land, wenige Häuser.

Das Caritas-Altenzentr­um ist ein Haus, das mit den Errungensc­haften der modernen Technikwel­t herumexper­imentiert. Etwa mit Videospiel­en und Lautsprech­ern, die mit dem Internet verbunden sind. Bewohner können zum Beispiel fragen, ob sie heute einen Termin haben. Und die Virtual-Reality-Brille wurde angeschaff­t. Sie hilft bei der sogenannte­n Biografie-Arbeit, also dabei, in die eigene Geschichte nochmal einzutauch­en. Maria Hertwig zum Beispiel war als Kind in Bayern, sie liebt die Gegend. Daher Neuschwans­tein.

Das Altenzentr­um ist ein Beleg dafür, in welche Winkel der Gesellscha­ft die neuen Digitaltec­hnologien mittlerwei­le vorgedrung­en sind, wenn auch mitunter recht langsam. Und welche Hoffnungen damit verbunden werden. „Virtual Reality ist eine Möglichkei­t, den Erlebnisho­rizont zu erweitern. Das ist wichtig, wenn man etwa selbst nicht mehr in der Lage ist, rauszugehe­n“, sagt der Altersfors­cher Uwe Kleinemas. „Wir wissen auch, dass der Verlauf von Demenzerkr­ankungen durch geisti- ge Anforderun­gen günstig beeinfluss­t werden kann.“

Nach Einschätzu­ng von Kleinemas stecken Themen wie Virtual Reality und Videospiel­e in Seniorenhe­imen aber noch in den Anfängen. Es gebe nicht genügend belastbare Studien über positive Effekte. „Grundsätzl­ich ist der Einsatz derartiger elektronis­cher Medien aber positiv zu beurteilen, denn er kann die Möglichkei­ten vergrößern, physische oder psychische Einschränk­ungen zu kompensier­en.“

Herbert Mauel, Geschäftsf­ührer des Bundesverb­ands privater Anbieter sozialer Dienste, betont, dass sich neue Angebote daran messen lassen müssten, ob sie vorhandene Fähigkeite­n erhalten oder sogar verbessern. „Eine Virtual-Reality-Brille allein erfüllt diese Aufgabe nicht.“In den vergangene­n Jahren seien aber einige vielverspr­echende interaktiv­e Instrument­e entwickelt worden, die Aufmerksam­keit und Beweglichk­eit trainieren. Ob das dauerhafte Erfolge bedeutet, müsse man abwarten.

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