Wie ein Altenheim digital wird
Virtuelle Besuche in der bayerischen Heimat: Auch Seniorenheime experimentieren mit den neuen Technologien
KÖLN (dpa) - Maria Hertwig sitzt mehr als 450 Kilometer Luftlinie entfernt von Schloss Neuschwanstein in einem Sessel. Ein Urteil über den Prachtbau von Ludwig II. kann sie aber trotz der immensen Distanz abgeben. „Die haben gute Leute gehabt“, meint sie. Es sei ja schier unglaublich, wie man all das Material herangeschafft habe. Ihr Fazit: „Dat is' schon schön!“Hertwig, 93 Jahre alt und Bewohnerin des Caritas-Al- tenzentrums St. Maternus in Köln, sieht das Märchenschloss in diesem Moment tatsächlich vor sich – dank einer Virtual-Reality-Brille. Das Gerät ermöglicht es, den Blick in einer digital erzeugten Umwelt – einer virtuellen Realität – frei schweifen zu lassen. Schaut Maria Hertwig geradeaus, sieht sie das Schloss. Dreht sie den Kopf, kann sie über die grünen Wiesen des Allgäus blicken. „Alles reiche Bauern“, merkt sie an. Viel Land, wenige Häuser.
Das Caritas-Altenzentrum ist ein Haus, das mit den Errungenschaften der modernen Technikwelt herumexperimentiert. Etwa mit Videospielen und Lautsprechern, die mit dem Internet verbunden sind. Bewohner können zum Beispiel fragen, ob sie heute einen Termin haben. Und die Virtual-Reality-Brille wurde angeschafft. Sie hilft bei der sogenannten Biografie-Arbeit, also dabei, in die eigene Geschichte nochmal einzutauchen. Maria Hertwig zum Beispiel war als Kind in Bayern, sie liebt die Gegend. Daher Neuschwanstein.
Das Altenzentrum ist ein Beleg dafür, in welche Winkel der Gesellschaft die neuen Digitaltechnologien mittlerweile vorgedrungen sind, wenn auch mitunter recht langsam. Und welche Hoffnungen damit verbunden werden. „Virtual Reality ist eine Möglichkeit, den Erlebnishorizont zu erweitern. Das ist wichtig, wenn man etwa selbst nicht mehr in der Lage ist, rauszugehen“, sagt der Altersforscher Uwe Kleinemas. „Wir wissen auch, dass der Verlauf von Demenzerkrankungen durch geisti- ge Anforderungen günstig beeinflusst werden kann.“
Nach Einschätzung von Kleinemas stecken Themen wie Virtual Reality und Videospiele in Seniorenheimen aber noch in den Anfängen. Es gebe nicht genügend belastbare Studien über positive Effekte. „Grundsätzlich ist der Einsatz derartiger elektronischer Medien aber positiv zu beurteilen, denn er kann die Möglichkeiten vergrößern, physische oder psychische Einschränkungen zu kompensieren.“
Herbert Mauel, Geschäftsführer des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste, betont, dass sich neue Angebote daran messen lassen müssten, ob sie vorhandene Fähigkeiten erhalten oder sogar verbessern. „Eine Virtual-Reality-Brille allein erfüllt diese Aufgabe nicht.“In den vergangenen Jahren seien aber einige vielversprechende interaktive Instrumente entwickelt worden, die Aufmerksamkeit und Beweglichkeit trainieren. Ob das dauerhafte Erfolge bedeutet, müsse man abwarten.