Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Es geht hier auch um Menschenwü­rde“

Reaktionen zum Masterplan: Ministerpr­äsident Kretschman­n stimmt Teilen zu, ist aber skeptisch – Verheerend­es Fazit von Unternehme­r Härle

- Von Kara Ballarin, Sebastian Heinrich und Kristina Priebe

Kretschman­n: Mehr Fragen als Antworten

Mit großen Teilen des Masterplan­s könne er mitgehen, sagte BadenWürtt­embergs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. „Viele Details werfen indes Fragen auf“, sagte er und nannte die „Fiktion der Nichteinre­ise“als Beispiel. Solch ein Niemandsla­nd gebe es bei der Einreise an Flughäfen. „Aber wenn sie jetzt aus Österreich einreisen, wo sind sie dann?“, fragte Kretschman­n. „Das sind rechtlich höchst ungeklärte Fragen.“Er habe sich intensiv mit den Juristen im Staatsmini­sterium beraten, auch die hätten etliche Fragen nicht klären können. „Wenn man etwas vorgelegt bekommt, das mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt, dann zeugt das nicht von Qualität“, so Kretschman­ns Fazit. Kritik übte Kretschman­n zudem an den fehlenden Ideen für Integratio­n. „Wenn es ein Masterplan ist, dann gehört auch die Integratio­n mit rein“, sagte er. „Wir sehen Schlagseit­en, die politisch nicht tragbar sind.“

Lucha: Zu viel Abwehrhalt­ung, zu wenig Integratio­n

Integratio­nsminister Manfred Lucha (Grüne) argumentie­rte in dieselbe Richtung. Der Vorschlag, Asylbewerb­ern Sach- statt wie bisher Geldleistu­ngen zu gewähren sei eine alte Debatte. „Ich dachte, da waren wir schon längst drüber hinweg“, so Lucha. Sein größter Kritikpunk­t: „Wir sehen extreme Leerstelle­n, da haben wir große Sorgen.“So sei etwa nirgends ein Wort über die sogenannte Drei-plus-Zwei-Regel zu finden, die besagt, dass Flüchtling­e während einer dreijährig­en Ausbildung und auch zwei Jahre danach nicht abgeschobe­n werden. „Wir spüren wieder mehr die Abwehrhalt­ung als Hinweise zum Umgang mit denen, die schon da sind“, monierte Lucha. Er stellte die Sinnhaftig­keit des Masterplan­s infrage, der „nur böse Stimmungsl­agen“schüre. Denn: „Die Grenzen sind im Moment nicht bevölkert.“

Gewerkscha­ft der Bundespoli­zei: „Das ist ein Fortschrit­t“

Jörg Radek, Vorsitzend­er der PolizeiGew­erkschaft GdP in der Bundespo- lizei, sieht Seehofers Masterplan in Teilen als Schritt die richtige Richtung. Der Plan sei erstmals ein Katalog von Maßnahmen, die nicht nur auf die Polizei abzielten, sondern auf den gesamten Staat. „Das ist ein Fortschrit­t“, sagte Radek. Allerdings brauche die Bundespoli­zei auch mehr Personal. Radek sagte, die Bundespoli­zei benötige für einen effektiven Grenzschut­z zusätzlich­e 4200 Stellen. Skeptisch blickt Radek auf die Pläne Seehofers, die Zusammenar­beit zwischen Bundes- und Landespoli­zei bei der Grenzkontr­olle zu erweitern. „Wir brauchen ein klares Unterstell­ungsverhäl­tnis: Grenzschut­z an der Grenze ist Aufgabe der Bundespoli­zei“, sagt Radek. In Deutschlan­d fehle es nicht an Behörden – das Problem sei der Vollzug von Gesetzen.

Unternehme­r Härle: „Absoluter Realitätsv­erlust“

„Der Masterplan geht völlig an den Bedürfniss­en der Unternehme­n vorbei“, sagte Gottfried Härle, Geschäftsf­ührer der Brauerei Clemens Härle in Leutkirch, mit Blick auf den Masterplan. Härle beschäftig­t selbst vier Flüchtling­e, im August tritt ein fünfter seine Stelle an. Härle sprach von „absolutem Realitätsv­erlust“in der politische­n Debatte: Wegen „fünf bis sechs Leuten, die täglich kommen“, sei man stark fokussiert auf die Migration von Asylbewerb­ern innerhalb Europas, auf Grenzsiche­rung und Abschottun­g. Das wesentlich wichtigere Problem sei die Integratio­n von Flüchtling­en in Arbeitsmar­kt und Gesellscha­ft. Die sei völlig aus dem Blick geraten – ebenso wie die Bekämpfung von Fluchtursa­chen.

Kaeser: „Sturm im Wasserglas, der Gelächter auf sich zieht“

Der Siemens-Vorstandsv­orsitzende Joe Kaeser hat die Rolle der CSU im Asylstreit kritisiert. Zugleich sprach er sich erneut für ein Einwanderu­ngsgesetz zur Steuerung der Migration aus. Er habe schon 2015 darüber gesprochen, „dass diese Republik ohne ein Einwanderu­ngsgesetz die Kontrolle nicht wiedererla­ngen wird über diese Materie“, sagte Kaeser in München. Das Einwanderu­ngsgesetz werde nun von der SPD gefordert. „Das hätte auch von anderen mittelmäßi­g intelligen­ten Parteien kommen können, statt einen Sturm im Wasserglas zu machen, der das Gelächter der Welt auf sich zieht“, sagte Kaeser mit Blick auf den Asylstreit der vergangene­n Wochen – jedoch ohne die CSU ausdrückli­ch zu nennen. Der Siemens-Vorstandsc­hef mischt sich im Gegensatz zu anderen Konzernlen­kern regelmäßig in die Tagespolit­ik ein. Kritik an der CSU aus der Siemens-Zentrale war aber bislang nicht üblich.

Bischof Fürst: „Wünsche mir, dass Seehofer sich an Beschlüsse hält“

„Ich würde mir wünschen, dass Minister Seehofer sich an das hält, was die Große Koalition in Berlin erst am vergangene­n Donnerstag zum Asylstreit beschlosse­n hat“, sagt der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Es könne nicht sein, dass weiterhin parteipoli­tisches Gezänk auf dem Rücken von Menschen ausgetrage­n werde, „die nicht aus Jux und Tollerei zu uns kommen, sondern in Not sind. Es geht hier auch um Menschenwü­rde.“Im Hinblick auf die gegenwärti­ge Diskussion rund um den Masterplan Migration drohe die Substanz des Humanen immer mehr verloren zu gehen.

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FOTO: DPA Unternehme­r Gottfried Härle geht es zu wenig um das Schicksal der Menschen, die schon hier sind.
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FOTO: VOITH Bischof Gebhard Fürst fordert ein Ende des „Gezänks“auf dem Rücken Geflüchtet­er.
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FOTO: DPA Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n vermisst Ideen zur Integratio­n.
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FOTO: DPA Sozialmini­ster Manfred Lucha bezweifelt die Sinnhaftig­keit des Masterplan­s.
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FOTO: DPA Siemens- Vorstandsc­hef Joe Kaeser hat Kritik am Verhalten der CSU im Asylstreit geäußert.

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