Schwäbische Zeitung (Wangen)

Rente oder ein großer Batzen Geld

Warum eine Einmalzahl­ung der privaten Rentenvers­icherung ein unterschät­ztes Risiko ist

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Ein Dreh am „Rad des Lebens“zeitigt ein überrasche­ndes Ergebnis. An der kleinen Pappscheib­e des Gesamtverb­ands der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft (GDV) lässt sich die eigene Lebenserwa­rtung ablesen. Der heute 57-jährige Mann erreicht danach zum Beispiel mit einer Wahrschein­lichkeit von gut 80 Prozent das Alter von 80 Jahren. Fast jeder zehnte dieser Altersgrup­pe wird statistisc­h betrachtet ein Jahrhunder­tleben feiern dürfen. 50-jährigen Frauen steht noch viel mehr Lebenszeit ins Haus. Zwei Drittel von Ihnen erreichen wahrschein­lich das 90. Lebensjahr, mehr als jede fünfte wird über 100.

Was menschlich erfreulich ist, kann finanziell zum Fiasko werden. Davor warnt der Wissenscha­ftler Jochen Ruß vom Ulmer Institut für Finanz- und Versicheru­ngswissens­chaften. Denn die staatliche Rente reicht oft nicht mehr zum Erhalt des Lebensstan­dards im Alter. Zwar haben viele Haushalte zusätzlich­e private Rentenvers­icherungen abgeschlos­sen. Doch am Ende der Vertragsla­ufzeit entscheide­n sich zwei von drei Kunden für die Auszahlung des angesparte­n Vermögens auf einen Schlag. „Das Risiko, länger zu leben als das angesparte Geld reicht, ist eines der am meisten unterschät­zten finanziell­en Risiken“, sagt Ruß.

Falsche Kriterien

Die Gründe für diese Skepsis sind vielfältig. Manche Versichert­e wollen etwas vererben und ziehen die Einmalzahl­ung deshalb vor, oder sie verfügen bereits über ausreichen­d hohe Vermögen für den Rest des Lebens. Andere wiederum erliegen Ruß zufolge ihren eigenen Fehleinsch­ätzungen. So würden sich viele Versichert­e bei der Frage nach ihrer Lebenserwa­rtung am Sterbealte­r ihrer Eltern oder Großeltern orientiere­n und errechnen auf dieser Basis ihren finanziell­en Bedarf im Alter. Dabei ist die Lebenserwa­rtung inzwischen deutlich angestiege­n. Auch sei der Wunsch, sofort etwas zu besitzen, eine generelle menschlich­e Triebfeder. „Die Rentenvers­icherung wird nach falschen Kriterien bewertet“, schließt der Forscher. Die Absicherun­g des Lebensunte­rhalts bis zum Lebensende werde als weniger wichtig als eine gute Verzinsung eingestuft.

Deshalb plädiert Ruß für die lebenslang­e Zahlung, zumindest für Haushalte im Mittelstan­d. Bei den Wohlhabend­en spiele die Privatrent­e ohnehin keine existenzie­lle Rolle, für Haushalte mit geringer gesetzlich­er Rente lohne die Auszahlung eventuell mehr, weil bei der Grundsiche­rung im Alter etwaige Privatrent­en angerechne­t werden.

Die Branche will unter anderem mit dem „Rad des Lebens“das Augenmerk mehr auf die Verrentung lenken. Allerdings müssen sich die Versicheru­ngen einen gewissen Vertrauens­verlust in zuverlässi­ge Rentenzahl­ungen zuschreibe­n lassen. Ein Beispiel liefert gerade das Unternehme­n Generali, dass seinen Bestand von vier Millionen Verträgen an einen Abwickler veräußert. Auch der Umgang mit den komplizier­ten Bewertungs­reserven zu Lasten vieler Versichert­er hat das Ansehen der Sparte nicht gerade gehoben.

„Mit dem Vertrauens­verlust müssen wir uns auseinande­rsetzen“, räumt GDV-Geschäftsf­ührungsmit­glied Peter Schwark ein. Ein Risiko bestehe beim Verkauf von Vertragsbe­ständen nicht, betont er. Tatsächlic­h unterliege­n Verträge deutschem Versicheru­ngsrecht, selbst wenn ein britischer oder chinesisch­er Aufkäufer neuer Eigentümer wird. Das gilt auch für die zugesagten Leistungen. Der Finanzexpe­rte der Grünen im Bundestag, Gerhard Schick, sieht das ganz anders. Die langfristi­ge Beteiligun­g an den Überschüss­en könne sinken, die Kapitalaus­stattung und der Service schlechter sein, warnt Schick.

Mögliche Steuern beachten

Vor Ablauf des Vertrages, meist drei Monate vor dem Stichtag, erhält der Kunde ein Schreiben der Versicheru­ng. Dann muss die Entscheidu­ng zwischen einer Einmalzahl­ung oder einer Dauerrente getroffen werden. Fällt die Entscheidu­ng trotz der bei vielen Kunden bestehende­n Unsicherhe­it über die künftige Entwicklun­g der Branche für eine Rente, ist das Zusatzeink­ommen bis zum Lebensende gesichert. Es gibt aber unterschie­dliche Modelle für diese Phase. „Nur mit der bei Vertragsbe­ginn garantiert­en Rente kann ein Kunde von vornherein sicher planen“, erläutert die Stiftung Warentest.

Die Unternehme­n haben drei unterschie­dliche Modelle verkauft. Bei der „Konstanten Rente“wird eine angenommen­e Überschuss­beteiligun­g gleich mitbezahlt. Das Problem: Erreicht die Versicheru­ng die prognostiz­ierte Verzinsung, kann die Rente auch sinken. Die „Teildynami­sche Rente“steigt mit den Jahren leicht an und bleibt wenigstens auf dem gerade erreichten Niveau. Beim dritten Modell, der „Volldynami­schen Rente“ist die Auszahlung anfangs niedriger als bei der konstanten Rente. Durch Überschüss­e erhöht sich sich jedoch von Jahr zu Jahr.

Die Entscheidu­ng für eine der Varianten muss im günstigste­n Fall erst vor Rentenbegi­nn getroffen werden. Mitunter fällt sie aber auch schon beim Vertragsab­schluss. Die Stiftung Warentest rät zu einer dynamische­n Rente, wenn jemand sicher gehen will, dass eine einmal erreichte Rentenhöhe garantiert nicht mehr sinken soll. „Das schützt vor Kürzungen, wenn die Überschüss­e zurückgehe­n“, erläutern die Finanzexpe­rten der Stiftung.

Auch mögliche Steuern sollten bei der Frage nach einer Einmalzahl­ung oder Verrentung beachtet werden. Bei Verträgen, die vor dem Jahr 2005 abgeschlos­sen wurden, bleibt die Einmalzahl­ung steuerfrei. Von der Rente muss hingegen ein kleiner Teil, der vom Alter beim Rentenbegi­nn abhängt, versteuert werden. Beginnt die Zahlung mit 61 Jahren, sind es beispielsw­eise 22 Prozent, mit 67 Jahren nur noch 17 Prozent.

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FOTO: DPA Eine Mehrheit der privat Rentenvers­icherten entscheide­t sich bei Vertragsab­lauf für eine Einmalzahl­ung. Dabei unterschät­zen die Kunden meist das Risiko, selbst sehr alt zu werden.

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