Experte rät zu psychotherapeutischer Erster Hilfe
MÜNSTER/BERLIN (dpa) - Nichts zu essen, nichts zu trinken und die Todesangst war immer mit im Raum: Beim thailändischen Höhlendrama haben zwölf Kinder eine extreme Grenzerfahrung erlebt. Der Kinder- und Jugendpsychiater Georg Romer (Foto: Universität Münster), Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Professor an der Universität Münster, erläutert im Interview mit Arne Beckmann und Anja Sokolow, was das für die Kinder bedeutet.
Was bedeutet es für ein Kind, so lange in einer Höhle eingeschlossen zu sein?
Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass das für diese betroffenen Kinder eine extreme Grenzerfahrung darstellt. Die wissen seit vielen Tagen nicht, ob sie da lebendig wieder rauskommen, und werden damit in ihrer psychischen Verfassung auch extrem erschüttert sein. Wobei es ganz individuell unterschiedlich sein kann, ob davon im Nachklang eine dauerhafte seelische Traumatisierung zurückbleibt oder nicht.
Welche Faktoren wiegen am schwersten?
Alles wirkt zusammen. Es ist ein fremder Ort. Er ist dunkel, er ist kalt. Es gibt nichts zu essen und nichts zu trinken. Alle Vitalbedürfnisse des Körpers sind bedroht und in Frage gestellt. Das alles überschattet natürlich die Todesdrohung, die Angst da nicht mehr lebend rauszukommen.
Wovon hängt es ab, wie sehr ein Kind durch so eine Erfahrung belastet wird?
Das hängt damit zusammen, wie die Verarbeitung gelingt. Die Grundausstattung im Sinne des Nervenkostüms jedes einzelnen Kindes spielt eine Rolle. Wichtig ist, wie stark das Fundament des Grundvertrauens in die Welt ist. Danach spielen die Umstände der Rettung und wie schnell man wieder in ruhige, geordnete Bahnen kommt, eine Rolle. Alles spielt zusammen.
Wie unterscheiden sich Kinder hier von Erwachsenen?
Selbstverständlich sind erwachsene Menschen, die vielleicht schon die eine oder andere erschütternde Krise in ihrem Leben gemeistert haben, allein durch diese Erfahrung schon etwas stärker aufgestellt. Auf der anderen Seite können Kinder und Jugendliche noch mit einem so gesunden Schuss Urvertrauen in die Welt ausgestattet sein, das sie gerade stark macht. Alles kann in die eine oder andere Richtung unterschiedlich sein.
Was ist direkt nach der Rettung besonders wichtig?
Dass sie sofort in geordneten Verhältnissen sind und sie ihre nahen Bindungspersonen so schnell wie möglich wieder bei sich haben, kann ganz entscheidend sein für die rasche Erholung der Seele.
Worum sollte es bei der psychotherapeutischen Ersten Hilfe gehen?
Zum frühestmöglichen Zeitpunkt sollte durch geschultes Personal mit den Kindern gesprochen werden, damit sie ins Reden kommen und in einer Kurzfassung eine erste Orientierung für sich sortieren können: Was ist passiert? Wie ist es abgelaufen und wo bin ich angekommen? Damit sich gleich mit Sprache eine Ordnung in die Verarbeitung des Geschehens einfädeln lässt.