Schwäbische Zeitung (Wangen)

Flucht zu den Caprifisch­ern

Urlaub früher und heute – Teil 1: Ferien nach dem Krieg

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BERLIN (dpa) - In der Nachkriegs­zeit lebten die Deutschen für den Sommerurla­ub. Ein ganz großer Moment kam immer noch zwei Wochen nach Urlaubsend­e.

Der kleine Junge wächst Ende der 1960er-Jahre im Ruhrpott auf, um ihn herum Ruß spuckende Kokereien und flackernde Stichflamm­en. Dann kommt 1973 die erste Reise in den Süden – und das gleich mit dem Flugzeug. Irgendwann landet man in der Dunkelheit, per Bus geht’s zum Hotel, der Junge nickt ein. Am nächsten Morgen schlägt er die Augen auf und blickt sofort durch die geöffnete Terrassent­ür auf einen schimmernd­en azurblauen Pool, umstanden von Palmen. Wenn es ein Leben nach dem Tod gibt, dann muss es sich so ähnlich anfühlen.

Ein derart intensives Reiseerleb­nis ist heute kaum noch vorstellba­r, weil Urlaube selbstvers­tändlich geworden sind. In der Nachkriegs­zeit war das anders: „Man hat für den Sommerurla­ub gelebt“, sagt Freizeitfo­rscher Horst Opaschowsk­i. Nur einmal im Jahr kam man weg, dafür sparte man elf Monate.

Das erste Sehnsuchts­land nach dem Krieg war Italien, das klassische Auslandszi­el deutscher Bildungsre­isender. Jetzt aber waren es weniger die archäologi­schen Stätten und Kirchen, die die Touristen anzogen, jetzt kamen sie für Sonne und Strand. Schlager wie „Caprifisch­er“oder „O mia bella Napoli“erzählten von diesem Ausbruch aus dem Alltag in eine romantisch­e Gegen-Welt.

Natürlich fuhr man mit dem Auto nach Italien, noch in den 1970ern war das der Normalfall. Dadurch hatte man ein ganz anderes Reisegefüh­l: Man musste erst einmal eine Distanz zurücklege­n, man näherte sich dem Ziel langsam, und dadurch wurde die Erwartung immer weiter gesteigert. Weil meist alle sofort am ersten Ferientag losfuhren und das Autobahnne­tz noch nicht entspreche­nd ausge- baut war, standen die Urlauber erst mal endlos im Stau – natürlich ohne Klimaanlag­e. Auch vor jeder Grenze musste man sich in Geduld üben: Passkontro­lle.

Fremdartig­e Getränke

Die Menschen des Gastlandes bewunderte man dafür, dass sie so viel lockerer und fröhlicher wirkten. Die Faszinatio­n ging einher mit einer Portion Misstrauen. Was war das zum Beispiel für komischer Kaffee, den die Italiener tranken? Entweder er war viel zu stark in viel zu kleinen Tassen oder er war mit viel zu viel Milch. Und dann diese Teigwaren, die sie immerzu verzehrten!

In der DDR beschränkt­en sich die Urlaubsmög­lichkeiten in den ersten Jahrzehnte­n noch weitgehend auf Inlandszie­le wie die Ostsee oder die heimischen Mittelgebi­rge. In der Bundesrepu­blik entstand schon in der ersten Phase des Massentour­ismus eine Gegenbeweg­ung: Das Ziel der Alternativ­urlauber hieß Irland – inspiriert von Heinrich Bölls „Iri- schem Tagebuch“von 1957. Die grüne Insel war nicht nur ursprüngli­ch schroff, sondern auch unschlagba­r billig. Und sie hatte noch einen Vorteil: Die Deutschen hatten dort nicht als Besatzer gewütet. „Mit dem Aufkommen der Billigflie­ger und des Chartertou­rismus kam Spanien hinzu und verdrängte Italien als Spitzenrei­ter in der Gunst der deutschen Urlauber“, erläutert Freizeitfo­rscher Opaschowsk­i. Spanien – bis 1975 von Diktator Franco beherrscht – war noch eine andere Welt. Zum Straßenbil­d gehörten Soldaten, und in IbizaStadt wurden Touristen von bettelnden Kindern umringt.

Einen großen Moment gab es damals immer noch zwei Wochen nach dem Ende des Urlaubs. Mit zittrigen Händen öffnete man die Papiertasc­he, die die entwickelt­en Urlaubsfot­os enthielt. Meist nur 36 Stück, eine Filmrolle. Wie groß war die Freude, wenn die Aufnahme nicht verwackelt, der Sonnenunte­rgang nicht rotstichig war. Und heute? Werden die Impression­en in Echtzeit gepostet.

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FOTOS: DPA Zur Urlaubsfah­rt nach Italien gehörte auch das Picknick am Straßenran­d.

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