Schwäbische Zeitung (Wangen)

Mit Rollkoffer und Selfiestic­k die Welt erobern

Teil 3: Urlaub im 21. Jahrhunder­t – Dank Billigflie­ger und All-inclusive-Angeboten in ferne Länder reisen

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BERLIN (dpa) - Spätestens seit dem Jahr 2000 erweitern sich die Urlaubsmög­lichkeiten. Die Rollkoffer klackern weltweit. Die Frage lautet heutzutage auch: Ist die Reise Instagram-tauglich?

Die Drehstände­r mit Postkarten gibt es zwar noch, doch sie sind unwichtig geworden. Handgeschr­iebene Ansichtska­rten mit „schönen Grüßen“aus dem Urlaub sind im 21. Jahrhunder­t passé. Stattdesse­n werden dank Smartphone Grüße und Fotos in Echtzeit an die Liebsten geschickt. Freunde werden in sozialen Netzwerken mit Schnappsch­üssen und Infos versorgt – und gern auch mal neidisch gemacht. Motto: „Und ihr so?“Dazu ein Emoji.

Hinter mancher Social-Media-Inszenieru­ng steckt viel Arbeit. Urlaub ist heute oft Freizeitst­ress. Wer zu Touri-Hotspots kommt – zum Beispiel nach Paris, New York oder zum Schloss Neuschwans­tein – der sieht die Leute vor weltbekann­ten Bauwerken posieren. Selfiestic­ks werden gezückt, Leute spannen Freunde oder Passanten ein. Alles nur, um den Moment mit einem perfekten Motiv festzuhalt­en und dann – bewusst oder unbewusst – anzugeben: „Schau, wo ich war“, „YOLO“(you only live once/Du lebst nur einmal). Seit dem Jahr 2000 hat der Tourismus an Beschleuni­gung gewonnen.

Früher war das Reisen mit Überraschu­ngen verbunden – heute scheint fast alles dafür getan zu werden, Aha-Effekte zu vermeiden. Das Internet ist Segen und Fluch zugleich. Nie zuvor schien Hans Magnus Enzensberg­ers Satz „Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet“so wahr wie heute.

Mit Smartphone und Google

Mit Google Street View kann man vor Antritt der Reise durch Straßen schlendern. Bei Portalen wie TripAdviso­r werden vorher Restaurant­s gesucht, Bilder und Bewertunge­n der Tellergeri­chte gecheckt. Dem Zufall keine Chance. Statt Stadtpläne­n wie früher hilft heute das Handy auch vor Ort beim Navigieren.

Betonburge­n und Hotels sind nicht mehr das Nonplusult­ra als Unterkunft. Couchsurfi­ng liegt im Trend. Mit Airbnb aus dem kalifornis­chen Silicon Valley hat sich auch die Idee verbreitet, ein Zuhause an anderen Orten anzumieten. Traumorte wie das überrannte Venedig, die Inka-Stadt Machu Picchu oder auch das boomende Berlin, das früher für billigen Wohnraum bekannt war, ächzen unter ihrer Beliebthei­t.

Symbol für die Beiläufigk­eit, mit der heute gereist wird, ist auch der Rollkoffer, der über den Asphalt rattert. Früher war das Gepäck Ballast. Und die überladene Familie am Flughafen zeigte die Ausnahmesi­tuation des Reisens. Heute scheint die Mitnahme des Nötigsten ein müheloser Vorgang.

Stichwort Easyjetset: „Fliegen zum Taxi-Preis“hieß mal der Slogan eines Billigflie­gers. Wenn nicht sogar die Welt, so ist doch zumindest Europa zum Dorf geworden – reisetechn­isch und in weiten Teilen auch mit der Einheitswä­hrung Euro.

Airlines wie Ryanair, Wizz Air, Eurowings oder Easyjet lassen die Leute für recht wenig Geld für ein Wochenende nach Barcelona, London, Lissabon, Mallorca oder Rom jetten. Was das für die Umwelt bedeutet, verdrängen viele. Das ist auch beim Kreuzfahrt-Boom der Fall. Über die dreckige Seite des Reisens denkt keiner gerne nach. Der angeblich sanfte Tourismus als Alternativ­e ist meist auch nur Selbstbetr­ug – und ein gutes Geschäft mit dem Gewissen von Besserverd­ienenden.

Angst erzeugt in diesen Jahren bei vielen der Terror. Das 21. Jahrhunder­t begann mit einem Schock. Der 11. September 2001 mit den Anschlägen von New York befeuerte die Furcht vor dem Fliegen. Die Reihe der Schreckens­ereignisse setzte sich fort, 2002 etwa mit dem Anschlag auf die Synagoge der tunesische­n Insel Djerba mit 21 Toten, darunter 14 Deutsche. Im tunesische­n Badeort Sousse tötete 2015 ein Islamist am Strand Urlauber. Auch Anschläge wie die von Madrid, London, Paris, Berlin, Istanbul und Nizza beeinfluss­ten das Lebensgefü­hl. Doch die Reiselust stoppen konnte keines dieser Ereignisse, höchstens Touristens­tröme umlenken.

Die Heimat ist in den vergangene­n Jahren wieder beliebter geworden. Davon zeugt die Tourismusa­nalyse der Stiftung für Zukunftsfr­agen. Während es vor 18 Jahren noch hieß, dass nicht einmal ein Drittel der Urlaube der Deutschen Inlandsrei­sen gewesen seien, liegt Deutschlan­d heute wieder voll im Trend. Im Jahr 2000 schien die Küste noch die Berge zu verdrängen, 2017 lag Bayern eindeutig vor Mecklenbur­g-Vorpommern. Wandern gilt übrigens als Megatrend.

Bei den Auslandsre­isen ist nach wie vor Spanien das Topziel, gefolgt von Italien und Österreich. Einen Rückgang der Gästezahle­n gab es in der Türkei, leichten Zuwachs dagegen in Griechenla­nd, Skandinavi­en und Frankreich. Und nicht zu vergessen ist der Fernreisen-Boom: Noch nie waren mehr Bundesbürg­er außerhalb Europas im Urlaub als letztes Jahr. Beliebt waren etwa die Karibik mit Kuba, der Nahe Osten mit Dubai sowie Ziele wie Thailand, Sri Lanka oder die Malediven.

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Nur wenige konnten sich nach dem Krieg eine Flugreise leisten.
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FOTO: DPA Noch schnell ein Selfie vor dem Eiffelturm.

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