Schwäbische Zeitung (Wangen)

Neues deutsches Tenniswund­er

Julia Görges spielt in Wimbledon ihr bestes Rasentenni­s und folgt Angelique Kerber ins Halbfinale

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WIMBLEDON (SID/dpa) - Der Traum vom deutschen Wimbledon-Endspiel lebt weiter: Angelique Kerber und Julia Görges haben in London als erstes deutsches Frauenduo seit 87 Jahren gemeinsam das Halbfinale erreicht – und dürfen weiter auf ein direktes Duell um den Grand-Slam-Titel hoffen. Nachdem Kerber am Dienstag ihr am Ende packendes Viertelfin­alduell mit der Russin Daria Kassatkina 6:3, 7:5 gewonnen hatte, zog Görges durch ein 3:6, 7:5, 6:1 gegen Kiki Bertens aus den Niederland­en nach. Der erste Sieg einer Deutschen im Rasenturni­er von London nach Steffi Grafs letztem Titelgewin­n 1996 ist somit greifbar.

Nachdem sie eineinhalb Stunden von der linken in die rechte Ecke des Platzes gehetzt war, stand Kerber im Moment des Erfolgs gegen Kassatkina wie festgefror­en da. Mit einer furiosen Energielei­stung hatte die 30-jährige Kielerin soeben ihr drittes Wimbledon-Halbfinale erreicht, genoss nun still den Augenblick, ehe sie einen gellenden Freudensch­rei losließ. „Ich habe versucht, das Spiel in meine Hände zu nehmen, und mich an mein Limit zu pushen“, sagte Kerber. „Es war ein Match auf hohem Niveau.“

Jetzt wartet Serena Williams

Rund eineinhalb Stunden später schlug Julia Görges nach ihrem verwandelt­en Matchball die Hände vors Gesicht und atmete sichtlich bewegt durch. „Es ist unglaublic­h. Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, lautete ihr erster Kommentar. Kurz danach aber ergänzte sie: „Ich habe versucht, ruhig zu bleiben, und um jeden Punkt gekämpft.“Am Donnerstag bekommt es Görges nun mit Serena Williams (Nr. 25) zu tun, die trotz des ersten Satzverlus­tes im Turnierver­lauf die Italieneri­n Camila Giorgi mit 3:6, 6:3, 6:4 bezwang. Bei den French Open hatte Görges gegen die US-Amerikaner­in in Runde drei deutlich verloren. Jetzt will sie die Gelegenhei­t beim Schopfe packen: „Es ist eine große Chance, gegen Serena hier spielen zu dürfen. Jedes Spiel beginnt bei null.“

Die zweimalige Grand-Slam-Siegerin Kerber spielt gegen Jelena Osta- penko (Lettland/Nr. 12) um den Einzug in ihr zweites Wimbledon-Endspiel nach 2016. „Es ist egal, wer die Gegnerin ist. Jede, die im Halbfinale steht, hat das verdient“, sagte sie. Und: „Ich sehe mich nicht als eine Favoritin. Ich muss mein bestes Tennis spielen und ich will es auch genießen.“

Zwei deutsche Halbfinali­stinnen bei einem Grand-Slam-Turnier hatte es in der 50-jährigen Geschichte des Profitenni­s nur 1990 bei den Australian Open und 1993 bei den French Open gegeben. In Wimbledon war dies bisher nur 1931 der Fall, als Cilly Aussem und Hilde Krahwinkel sogar das Endspiel bestritten. Geschichte! Sie könnte sich wiederhole­n.

Geduld schlägt Risiko

Kerber hatte gegen Kassatkina furios begonnen. Mutig, variantenr­eich und vor allem nahezu ohne Fehler diktierte die Kielerin auf dem Centre Court das Geschehen. Bis zum Ende des ersten Satzes unterliefe­n ihr nur zwei „Unforced Errors“– gegenüber derer 13 bei Kassatkina. „Ich bin eine Künstlerin. Ich bin nicht langweilig, nicht im Leben und nicht auf dem Platz“, hatte die Russin vor dem Match gesagt. Doch mit ihrem zwar fraglos attraktive­n, aber eben auch hochriskan­ten Spiel verpokerte sie sich diesmal. Nach einem Ass und einer im Sprung die Linie entlang geprügelte­n Rückhand schien sich Kassatkina ins Match gearbeitet zu haben – nur um dann mit zwei Doppelfehl­ern den Satz herzuschen­ken. Auch im zweiten Durchgang zahlte sich Kerbers geduldige Defensivle­istung mit Attacken in den entscheide­nden Momenten voll aus. Kassatkina leistete sich weitere 20 vermeidbar­e Fehler und insgesamt sieben Doppelfehl­er. Erst in der Schlusspha­se hatte auch Kerber einige Probleme, vergab ihre ersten sechs Matchbälle – und durfte nach 1:29 Stunden doch jubeln.

Julia Görges hatte derweil gegen Kiki Bertens, mit der sie regelmäßig im Doppel an den Start geht, in einem ausgeglich­enen Satz als Erste bei ihrem Aufschlag gewackelt. Das Break zum 3:5 entschied den Durchgang. Im zweiten Satz biss sich Görges zurück ins Match; im Entscheidu­ngsdurchga­ng ging die 29-Jährige schließlic­h schnell mit 4:1 in Führung und bewies am Ende Nervenstär­ke. „Ich merke“, sagte sie später, „wie ich nach den fünf Erstrunden­niederlage­n in diesem Turnier als Spielerin gewachsen bin.“

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FOTO: AFP Irgendwie nicht zu fassen: Julia Görges, soeben zur Wimbledon- Halbfinali­stin 2018 geworden.

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