Den Markenkern leuchten lassen
Ein Blick in Buchhandlungen und auf Internetportale zeigt: Ratgeber sind gefragt wie nie. Ob für Gesundheitsfragen oder Partnerschaftsprobleme, in Lebenskrisen oder bei Sinnsuchen: Der Bedarf an mehr oder weniger begründeten Tipps scheint gegeben zu sein. Die Kirchen aber melden einen Höchststand bei den Austritten, weniger als zehn Prozent der Katholiken gehen sonntags noch in den Gottesdienst.
Diese Entwicklung stimmt mehr als nachdenklich: Denn der christliche Glaube bietet, was kein Ratgeber bieten kann: den Aufruf zur Nächstenliebe, die Botschaft der Treue Gottes zu den Menschen, Vergebung der Sünden, die Gewissheit der Erlösung und die Erwartung auf ewiges Leben. Markenkerne und Alleinstellungsmerkmale, um die jeder Vertriebsprofi seine Kollegen in den Kirchen beneidet.
Doch die Kirchen wuchern mit diesem Pfund bemerkenswert wenig, wenn sie sich um theologische Fragen zerstreiten, jahrzehntelang um Strukturen ringen, paradoxerweise bei steigenden Kirchensteuereinnahmen über zu wenig Geld jammern und schließlich den verbliebenen Gläubigen durch Kirchenschließungen einerseits und Gründungen unpersönlicher Großpfarreien andererseits ihre geistige Heimat nehmen. Während die immer unübersichtlicheren Weltentwicklungen Werte wie Familie, Freunde, Heimat, Nähe, Zuverlässigkeit neu definieren und einfordern, entfremden sich die Kirchen, die all dies bieten können, stetig von ihrer Basis.
Es geht nicht, auch wenn diese These breite Zustimmung findet, allein um die Sprache, in der die Kirchen sich unverständlich ausdrücken. Diese Antwort greift zu kurz. Es geht um die wieder zu gewinnende Nähe, um Kontakt, Vertrauen, Glaubwürdigkeit. Daher sollten die Theologen schnellstens ihre binnenkirchlichen Schutzräume, Ordinariate und Pfarrhäuser verlassen und das Gespräch suchen, zuhören, ihre Botschaft unters Volk bringen. Wann gab es zuletzt eine Offensive? Der Papst fordert „mutige Vorschläge“. Sich ehrlich um Sorgen und Nöte, Freuden und Hoffnungen zu kümmern: Das wäre ein guter Start, um Neugier auf die Markenkerne zu wecken.