Schwäbische Zeitung (Wangen)

27-jähriger Fahrer könnte eine Art „Mafia-Boss“sein

Mordfall Zech: Verschwund­ene Zeugin taucht auf — Hauptangek­lagter versteckt Messer in JVA

- Von Julia Baumann

LINDAU/KEMPTEN - Im Prozess um den Rentnermor­d in Zech wendet sich das Blatt am vierten Prozesstag: Der 27-Jährige, der das Fluchtauto gefahren haben soll, könnte der Kopf der Bettlergru­ppe sein. Er soll Menschen von Rumänien nach Deutschlan­d gebracht, ihnen dort die Pässe abgenommen und sie dann wie Sklaven behandelt haben.

Dies zumindest sagte dessen ehemalige Vermieteri­n vor dem Schwurgeri­cht in Kempten aus. Die Frau ist am Donnerstag wieder aufgetauch­t, nachdem sie zur ersten Vorladung nicht erschienen war. Unklar blieb, ob die Rumänen sie unter Druck gesetzt hatten. Indes gibt es neue Erkenntnis­se über die Gefährlich­keit des Hauptangek­lagten: Er hatte in seiner Zelle zwei Messer versteckt, mit denen er offenbar Wärter attackiere­n wollte.

Die beiden Angeklagte­n hatten um die Tatzeit im Haus der Zeugin im Landkreis Ravensburg gewohnt. Diese hatte bereits seit Längerem Betten an Mitglieder osteuropäi­scher Bettlergru­ppen vermietet. Am 7. März 2017, einen Tag vor der Tatnacht, sei eine Gruppe Erwachsene­r mit einem Kleinkind vor ihrer Tür gestanden und habe um ein Zimmer gebeten. Die beiden Angeklagte­n erkannte die Zeugin am Donnerstag als Teil dieser Gruppe wieder.

Die Polizei geht davon aus, dass die Männer am Tag darauf von diesem Haus aus nach Lindau gelangt sind. Ein 27-Jähriger, soll den 37-jährigen Hauptangek­lagten in seinem Transporte­r zum ehemaligen Bahnwärter­häuschen in Zech gefahren haben. Dort hat dieser wahrschein­lich nach einem missglückt­en Diebstahl den 76-jährigen Bewohner des Hauses getötet und das Haus in Brand gesteckt. Noch unklar ist, ob ein dritter Mann mit am Tatort war.

Der 27-jährige Fahrer soll an diesem Tag noch andere Mitglieder der Gruppe gefahren haben – unter anderem einen älteren Mann, der in Bregenz beim Betteln war. „Er ist eine Art Mafia-Boss“, hatte die Vermieteri­n bei der Polizei ausgesagt. „Er nimmt den anderen die Pässe ab und hält sie wie Sklaven.“Erzählt habe ihr das ein 15-jähriges rumänische­s Mädchen, das ebenfalls bei ihr gewohnt hatte.

Als Richter Gunther Schatz ihr diese Aussage vorhielt, wurde die Zeugin nervös. Sie bestätigte sie zwar, erklärte aber auch, dass sie in Anwesenhei­t der Rumänen nicht weiter darüber reden wolle. Auch ihre genaue Adresse gab sie am Donnerstag nicht preis. Als Richter Schatz fragte, ob sie von der Bettlergru­ppe bedroht worden sei, antwortete sie mit einem ironisch klingenden „Niemals“.

Dazu passt der Eindruck, den ein Ermittler der „Soko Eichwald“gewonnen hatte. Mehrere Male hatten Kriminalpo­lizisten die Bewohner des Hauses, in dem zeitweise zwischen 25 und 30 Osteuropäe­r lebten, befragt. Der Kripo-Beamte glaubt, dass sich die Rumänen eine Geschichte ausgedacht haben, um den 27-jährigen Fahrer zu schützen. Einige von ihnen hatten behauptet, der 37-jährige Hauptangek­lagte sei allein am Bahnwärter­häuschen gewesen. Nach der Tat soll er drei Tage verschwund­en sein. Der 27-jährige Fahrer hingegen sei in der Tatnacht zu Hause gewesen.

Dagegen spricht eine Videoaufze­ichnung aus dem Lindaupark, auf der die beiden Angeklagte­n mit einem dritten Mann ein neues Handy kaufen. „Die Familie hat sich permanent in Widersprüc­he verwickelt. Für eine profession­elle Organisati­on der Bettlergru­ppe spricht auch, dass das ehemalige Bahnwärter­häuschen vor dem Einbruch wahrschein­lich markiert wurde: Ein weiterer Hausbewohn­er, der zur Tatzeit im Urlaub war, erinnerte sich, dass er bereits Monate vor der Tat zwei Kerben in der Hauswand bemerkt hatte.

Wenige Tage nach der Tat sind die beiden Angeklagte­n weitergezo­gen – nach Ulm, wo sie auch zuvor schon auf Betteltour waren. Ein Teil der Gruppe blieb im Haus der Zeugin. „Aber der ganze Clan war ständig übers Handy in Kontakt miteinande­r“, sagte sie aus. Einige dieser Gespräche hatte die Polizei abgehört. In ihnen hatten einige Mitglieder der Bettlergru­ppe ihre Aussagen gegenüber der Polizei abgesproch­en. Unter anderem ging es darum, dass der 37jährige Hauptangek­lagte ruhig für immer im Gefängnis bleiben solle. Und dass es schade sei, dass der 27-jährige Fahrer in die Sache verwickelt sei.

Zu diesem Zeitpunkt war der 37jährige Hauptangek­lagte bereits in Untersuchu­ngshaft. In seiner Zelle hatten Beamte zwei Messer gefunden, die der Angeklagte von Hand geschärft hatte. Einem Mitgefange­nen hatte er erzählt, dass die Gefängnisw­ärter ihn nerven würden, weil er nicht kochen und keinen Sprachkurs besuchen dürfe. Die Messer seien gedacht für den nächsten Bedienstet­en, der ihm auf die Nerven ginge.

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