Schwäbische Zeitung (Wangen)

Zwischen Angst und Hobby

Viele Menschen kriegen Panik, andere sind fasziniert von den achtbeinig­en Krabbeltie­ren: Besuch bei einem Stuttgarte­r Vogelspinn­enzüchter

- Von Laura Bernert

STUTTGART (lsw) - 16 Quadratmet­er, überall Terrarien, dazwischen ein Fernseher, in der Mitte ein Bett. So beschreibt Jürgen Kahnt sein damaliges Jugendzimm­er. „Den Kleidersch­rank habe ich in den Gang verlagert.“Begonnen hat bei dem Vogelspinn­enzüchter alles vor ungefähr 15 Jahren. Damals begleitete er einen Freund, der nur kurz seine Spinne füttern wollte. Wenig später habe er im Zoohandel seine erste Vogelspinn­e gekauft. Heute züchtet der 35-Jährige die achtbeinig­en Krabbeltie­re. Damit ist er längst nicht allein.

200 Spinnen sind sein Hauptbesta­nd, wie er sagt. Wenn viele Jungtiere geschlüpft seien, könne der schon mal auf 500 Tiere wachsen. Aus den Eiern seiner Vogelspinn­enarten schlüpfen durchschni­ttlich 80 Tiere, sagt Kahnt. Sobald die Jungtiere größer sind, tauscht er mit anderen Züchtern. Besonders Spinnen aus Indien und Südamerika haben es ihm angetan.

Wirklich gefährlich­e Spinnen besitzt Jürgen Kahnt allerdings nicht. „Es ist wie ein Bienenstic­h. Da passiert nichts, solange man nicht allergisch ist“, erklärt der Vater eines kleinen Sohnes, den er auch langsam an die Tiere heranführt. Schon allein wegen des Zweijährig­en kämen giftigere Spinnen momentan aber nicht infrage. „Wenn er mal groß ist – mal sehen“, sagt der 35-Jährige. Auf die Hand nimmt Kahnt die Spinnen trotzdem nicht. „Das sind einfach keine Schmusetie­re.“Genauso sieht das auch der Vorsitzend­e der Vogelspinn­en-IG Stuttgart/Ludwigsbur­g, Timm Adam. „Man sollte Spinnen nicht vermenschl­ichen.“

Der Deutsche Tierschutz­bund sieht die Haltung der Tiere generell kritisch. „Vogelspinn­en sind nicht an das Leben in nächster Umgebung des Menschen gewöhnt“, sagt Sprecherin Kristina Bergerhaus­en. Die meisten Menschen seien fachlich nicht in der Lage, die Tiere zu halten und zu züchten. Es sei schwer zu erkennen, ob die Spinnen litten oder nicht.

Wie viele Halter und Züchter es in Deutschlan­d gibt, kann der Tierschutz­bund nicht sagen. Allein die Deutsche Arachnolog­ische Gesellscha­ft (DeArGe) – nach eigenen Angaben Europas größter Verein für Vogelspinn­en- und Skorpionha­lter – hat aber mehr als 1300 Mitglieder.

Viele Menschen haben aber Angst vor Spinnen. Dafür sei ein primitives Angstsyste­m, das sich bei unmittelba­rer Gefahr zu Wort melde, verantwort­lich, erklärt Psychother­apeut Borwin Bandelow von der Uni Göttingen. Früher seien diese Ängste überlebens­wichtig gewesen. Einen Teil unseres Angstempfi­ndens bekommen wir demnach vererbt. Woher die andere Hälfte kommt, ist noch nicht geklärt.

Die Tiere zur Therapie für Menschen mit Spinnenang­st zu nutzen, sieht Vogelspinn­enliebhabe­r Timm Adam als Chance. „Nichts ist effektiver als das lebendige Tier.“Auch Bandelow befürworte­t die sogenannte Konfrontat­ionstherap­ie. Häufig könne das Berühren einer Spinne die Angst abbauen.

Volker von Wirth kennt als Vorstand der Deutschen Arachnolog­ischen Gesellscha­ft viele Vogelspinn­enhalter. Einige haben ihm zufolge sogar selbst Angst vor Spinnen. Auch er selbst hat diese Erfahrung gemacht: „Ich bin bei meinen Großeltern nie in den Keller gegangen, weil dort die Spinnen schon von der Decke hingen.“Allerdings ist er sich sicher, dass die Beschäftig­ung mit den Tieren die Angst abbaut. Deshalb seien auch Vereine, über die man Informatio­nen über Vogelspinn­en bekomme, wichtige Organisati­onen. Die Vogelspinn­en-IG Stuttgart/Ludwigsbur­g etwa veranstalt­et zweimal im Jahr eine internatio­nale Vogelspinn­enbörse. Nach eigenen Angaben ist sie mit 170 Metern Ausstellun­gstischen die größte Börse auf europäisch­em Festland. „Da kann ich schon eine Woche vorher nicht schlafen“, sagt Kahnt, der seit sieben Jahren regelmäßig kommt.

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FOTO: DPA Jürgen Kahnts Freude: eine seiner Vogelspinn­en in Pfedelbach.

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