„Frau Merkel war nie wirklich Klimakanzlerin“
Klimaforscher Mojib Latif wirft der Regierung Versagen beim Kampf gegen die Erderwärmung vor
BERLIN - Die Hitzewelle dieser Tage ist außergewöhnlich, sagt der Klimaforscher Mojib Latif im Gespräch mit Andreas Herholz. Die Entwicklung der Durchschnittstemperaturen zeige, dass der Klimawandel voranschreite. Der Bundesregierung stellt er ein schlechtes Zeugnis aus: Bundeskanzlerin Merkel (CDU) habe sich nie ausreichend für den Klimaschutz eingesetzt – und sich eher für die deutsche Autoindustrie stark gemacht.
Herr Latif, erleben wir nur einen sehr sonnigen und trockenen Sommer, oder ist die Hitzewelle schon Folge des Klimawandels?
In Deutschland wird es allmählich wärmer. Seit Beginn der Messungen hat sich die durchschnittliche Temperatur um 1,4 Grad erhöht. Das ist mehr als im globalen Durchschnitt. Die Sommerhitze nimmt zu. Wir erleben immer mehr Hitzetage mit 30 Grad oder mehr. Zugleich nimmt die Zahl der Tropennächte zu, in denen die Temperatur nicht mehr unter 20 Grad fällt. Und die Frosttage in Deutschland nehmen immer weiter ab. Das ist ein offensichtlicher Trend. Diese Hitzewelle ist außergewöhnlich, weil sie schon so lange anhält. Es bestätigt sich mehr und mehr, was wir Klimaforscher lange vorausgesagt haben.
Wie lässt sich diese Entwicklung noch stoppen?
Kurzfristig lässt sich diese Entwicklung nicht aufhalten. Die internationale Politik tut zu wenig, steuert nicht konsequent um. Der weltweite CO2-Ausstoß steigt immer weiter an, die Erderwärmung nimmt immer weiter zu. Die Bundesregierung tut auch zu wenig und wird ihrer Verantwortung nicht gerecht. Die Selbstverpflichtungen zum Klimaschutz und zum Schadstoffausstoß beispielsweise hat die Automobilindustrie nie eingehalten. Für den Abgasund Dieselskandal fehlen einem nur noch die Worte. Wir sehen hier aber auch die Ergebnisse einer völlig verfehlten Mobilitäts- und Verkehrspolitik. Wir brauchen dringend eine Mobilitätswende und benötigen andere Verkehrskonzepte. Autos etwa stehen zu 90 Prozent der Zeit nur rum, verbrauchen aber enorme Ressourcen bei der Herstellung. Elektromobilität und autonomes vernetztes Fahren ist die Zukunft. Aber noch ist das gegenwärtige Modell mit dem Verkauf von Verbrennungsmotoren so lukrativ, dass man davon nicht lassen wird. Immer mehr große Geländewagen mit hohem Verbrauch – was für ein Wahnsinn. Diese kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen dominieren die langfristigen Interessen der Umwelt und des Landes. Je länger wir zögern und nichts tun, desto gefährlicher wird es.
Deutschland wollte stets Vorreiter beim Klimaschutz sein. Hat die Klimakanzlerin abgedankt?
Frau Merkel hat die Rolle der Klimakanzlerin nie richtig ausgefüllt, sondern sich immer nur mit diesem Etikett geschmückt. In Brüssel hat sie sich stets dafür eingesetzt, dass die Interessen der deutschen Automobilindustrie durchgesetzt wurden. Der Braunkohletagebau muss gestoppt, die schmutzigsten Kraftwerke müssen vom Netz genommen werden. Das würde die Energieversorgung hierzulande nicht gefährden.
Immer stärkere Hitze und Trockenheit, aber auch immer heftigere Unwetter – müssen wir uns auf Dauer auf solch ein Extremwetter einstellen?
Auf der einen Seite erleben wir Hitze und Trockenheit, auf der anderen Seite häufen sich extreme Wettersituationen wie Unwetter, mit Starkregen und heftigen Stürmen. Das gehört zusammen. Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Wir müssen uns besser auf diese Veränderungen vorbereiten. Für die Landwirtschaft ist es extrem schwierig, sich auf solche Veränderungen durch den Klimawandel einzustellen. ist