Erdogan setzt wieder verstärkt auf Europa
Ein heftiger Streit mit den USA lässt die Türkei nun wieder die Nähe zu Russland und Europa suchen. Am 7. September sollen sich Spitzenvertreter der Türkei, Russlands, Deutschlands und Frankreichs unter Ausschluss der USA in Istanbul treffen, um über die Zukunft Syriens zu reden. Das kündigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Sonntag an. Gleichzeitig eskaliert eine Konfrontation Erdogans mit US-Präsident Donald Trump. Laut Medienberichten bereitet Erdogan zudem für September einen Staatsbesuch in der Bundesrepublik vor. Es wäre der erste seit 2014.
Syrien-Gipfel ohne die USA
In Syrien gilt die unmittelbare Sorge Ankaras der Provinz Idlib an der türkischen Südgrenze. Dort hatten sich in den vergangenen Monaten Zehntausende islamistische Kämpfer mit ihren Familien in Sicherheit gebracht, nachdem sie von Russland und syrischen Regierungstruppen aus anderen Landesteilen vertrieben worden waren. Nach der jüngsten Regierungsoffensive im Südwesten Syriens befürchtet Erdogans Regierung einen baldigen Angriff in Idlib – was nach Einschätzung Ankaras eine neue Fluchtwelle von bis zu 3,5 Millionen Menschen Richtung Türkei auslösen könnte.
Erdogan hatte zuletzt in Südafrika am Rande eines Gipfeltreffens der sogenannten Brics-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – mit Russlands Präsident Wladimir Putin gesprochen. Er wolle im September in Istanbul mit Spitzenvertretern Russlands, Deutschlands und Frankreichs zusammenkommen, um über weitere Schritte zu beraten, sagte Erdogan danach.
Der Istanbuler Gipfel soll laut Berichten regierungsnaher Medien in der Türkei neue Friedensbemühungen für Syrien einleiten, die parallel zur türkischen Zusammenarbeit mit Russland und dem Iran im sogenannten Astana-Prozess laufen sollen. Dass Erdogan hierbei die USA außen vor lässt, zeigt zum einen den Bedeutungsverlust der Amerikaner im Syrien-Konflikt. Zum anderen demonstriert Erdogan mit der Gipfel-Initiative seine Distanz zu den USA.
Die Distanz besteht nicht nur in der Syrien-Politik. Unter anderem lehnt der türkische Präsident die amerikanische Forderung nach einer wirtschaftlichen Isolierung des türkischen Nachbarn Iran ab. Die Türkei werde auch weiterhin iranisches Erdgas importieren, betonte Erdogan. Das habe er Trump auch gesagt.
Der offenbar geplante Deutschland-Besuch Erdogans gehört ebenfalls zu dieser außenpolitischen Neuausrichtung. Erdogan hatte im vergangenen Jahr am G20-Gipfel in Hamburg teilgenommen und beim Nato-Treffen Mitte des Monats in Brüssel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gesprochen, doch sein letzter Besuch in Berlin liegt Jahre zurück. Die Bundesregierung hatte zuletzt mit der Lockerung der Reisehinweise für die Türkei und einem Ende wirtschaftlicher Sanktionen ihre Bereitschaft zu einer vorsichtigen Normalisierung der Beziehungen zu Ankara signalisiert.
Streit mit Trump um einen Pastor
Ursprünglich hatte Erdogan gehofft, sich auch mit Trump arrangieren zu können. Der Fall des US-Pastors Andrew Brunson, der in der Türkei wegen angeblicher staatsfeindlicher Aktivitäten vor Gericht steht, hat die Bemühungen jedoch torpediert. Per Twitter hatte Donald Trump der Türkei zuletzt mit harten Sanktionen gedroht, falls Brunson nicht freigelassen werde.
Der Pastor war vorige Woche nach fast zweijähriger Untersuchungshaft unter Hausarrest gestellt worden, darf aber weiterhin nicht ausreisen. Auch Trumps Vizepräsident Mike Pence, der besonders auf christlich-fundamentalistische Wähler in den USA achtet, kritisierte die Türkei wegen Brunson. Auch im Kongress in Washington wächst der Ruf nach wirtschaftlichen Strafen gegen den Nato-Partner Türkei.
Erdogan zeigte sich unbeeindruckt. „Mit Sanktionen werdet ihr die Türkei nicht zu Zugeständnissen bewegen können“, sagte er über die Amerikaner. Der Präsident wies Berichte zurück, wonach die Türkei den amerikanischen Pastor als Geisel benutzen wolle. Im vergangenen Jahr hatte Erdogan allerdings angedeutet, dass die Türkei den US-Geistlichen in die USA reisen lassen würde, wenn Washington im Gegenzug den islamischen Prediger und mutmaßlichen Putschführer Fethullah Gülen an Ankara überstelle.
Der Streit um Brunson verschärft ohnehin bestehende Meinungsverschiedenheiten zwischen den USA und der Türkei, etwa wegen der amerikanischen Unterstützung für eine Kurdenmiliz in Syrien. Amerika laufe Gefahr, die Türkei als starken Partner zu verlieren, warnte Erdogan.