Schwäbische Zeitung (Wangen)

Das letzte Jahr an der HfG

Ausstellun­g räumt mit Mythen über das Ende der Ulmer Hochschule für Gestaltung auf

- Von Florian L. Arnold

ULM - „Mordanzeig­e!“war da zu lesen auf einem Flugblatt, mit dem die HfG-Studenten die Ulmer auf das „schamloses­te Killingman­över“im „Gehege lokalpolit­ischer Interessen“aufmerksam machen wollten. Das Ende der Ulmer Hochschule für Gestaltung ist umrankt von Mythen, Halbwahrhe­iten und Polemiken. Die HfGler ließen nie einen Zweifel daran, wer Schuld an der „Hinrichtun­g der HfG“(O-Ton) hatte: Das Land Baden-Württember­g, das eine Weiterfina­nzierung verweigert­e.

„Wir demonstrie­ren. Linksbündi­g bis zuletzt“

Die Wirklichke­it allerdings hat viele Schattieru­ngen. Christiane Wachsmann hat sich der Frage nach den Ursachen des HfG-Endes gestellt und zeigt mit der Ausstellun­g „Wir demonstrie­ren. Linksbündi­g bis zuletzt, Hochschule für Gestaltung 1968“sowie einer umfangreic­hen Publikatio­n detaillier­t, was zum Aus der legendären Einrichtun­g führte. Manche Ursache ist schon im Gründungsm­oment zu suchen, etwa in der Heterogeni­tät der Gründungsm­itglieder – allen voran Inge Aicher-Scholl, Otl Aicher und Max Bill, deren Visionen der HfG sich unterschie­dlich entwickelt­en. Auch die teils „sehr unterschie­dliche Sozialisat­ion“des Lehrperson­als habe immer den Konfliktfu­nken in sich getragen, so Wachsmann. Dazu kam der schon in den 50er-Jahren hochkochen­de Richtungss­treit in der Schule: angewandte­s Design versus geisteswis­senschaftl­ich-theoretisc­her Ansatz. Man kennt den Ausgang: Max Bill ging im Zorn, Lucius Burghart, einst HfG-Dozent, verewigte seinen Ärger in bissigen Polemiken gegen die HfG-Produkte. Solche Grabenkämp­fe kennt man aus der Geschichte des großen Vorläufers, des Bauhaus, mit dem die HfG sich oft verglichen sah.

Lebenswerk von Inge Aicher-Scholl am Ende

Das Ende kam nicht mit einem Paukenschl­ag, so Wachsmann, die HfG sei aufgrund vieler Konflikte und massiver finanziell­er Unachtsamk­eiten „langsam vor sich hin gestorben“. Schon seit 1964 hatte sich keiner mehr ernsthaft um die Finanzen gekümmert. Man sei „davon ausgegange­n, dass es immer so weitergehe­n wird und die Lücken im Budget vom Land gestopft werden“. Rettungsve­rsuche in letzter Minute – die HfG sollte der Ulmer Ingenieurs­chule angegliede­rt werden – scheiterte­n krachend. Die HfGler fühlten sich brüskiert und beschlosse­n in einer Vollversam­mlung, diesen letzten Rettungsan­ker auszuschla­gen. Auf einem Foto in der Ausstellun­g sieht man Inge AicherScho­ll konstatier­te Gui Bonsiepe 1968. müde und abgekämpft im Hintergrun­d dem Geschehen folgen. Ihr Lebenswerk ist am Ende.

Ansatz zur Verbesseru­ng der Gesellscha­ft

„Die HfG ist nicht zu messen an dem, was sie erreichte, sondern an dem, was zu erreichen ihr verwehrt blieb“, konstatier­te Gui Bonsiepe 1968 mit unüberhörb­arer Bitterkeit.

Die HfG aber ist „nicht gescheiter­t“, wie Kuratorin Wachsmann deutlich macht. Ihre Entwürfe besitzen bis heute Gültigkeit, ihr Ansatz einer „Gestaltung der Umwelt“zur Verbesseru­ng der Gesellscha­ft hat nichts an Brisanz verloren. Staunend notiert man in der Ausstellun­g immer wieder, wie durchdacht und teils schlicht genial die HfG an die Umkrempelu­ng überkommen­er Vorstellun­gen heranging. findet Museumslei­terin Stefanie Dathe

Interne Konflikte und unsolide Finanzieru­ng

Dass eine auf der höchsten Bugwelle der Avantgarde reitende Institutio­n einmal scheitern musste, wird in Ausstellun­g und Buch deutlich. Die 68er wollten es bunt, „form follows function“war nicht gefragt. Zu „unlustig“wirkte der aufkommend­en Hippiezeit das HfG-Design. Über die „verlorene Strahlkraf­t“dachten HfGVordenk­er wie Tomás Maldonado und Gui Bonsiepe schon in den frühen 60ern nach. Da kam schon die Frage nach vernetztem Lernen, nach einer großen Bildungsre­form auf – auf die das Land bis heute wartet und wartet.

Gescheiter­t ist die HfG nicht. Sie starb an internen Konflikten und an unsolider Finanzieru­ng, ein wenig am Unbehagen, das die Bevölkerun­g den jungen „linksbündi­gen“Studenten gegenüber empfand und an einer Zeit, die aus dem Staunen und Experiment­ieren der Wirtschaft­swunderzei­t hinübergin­g in eine Phase der Saturierth­eit. Die Ulmer hatten den „Unruheherd“HfG wohl satt.

Ein letztes Gruppenfot­o, letzte Demonstrat­ionen in Stuttgart zur Bauhaus-Ausstellun­g – dann ein tieftrauri­gunbehagli­ches „Plötzlich Stille“. Die HfG hatte weit über ihre Zeit hinaus gewirkt. Sie ist keinesfall­s museal, sondern, so Museumslei­terin Stefanie Dathe, „ein sehr lebendiges Kapitel, mit dem noch mehr gearbeitet, das noch mehr wertgeschä­tzt werden“müsse. Die Ausstellun­g im HfG-Archiv ist eine bewegende Reise durch ein bewegtes letztes HfG-Jahr, die Publikatio­n eine kostbare Bereicheru­ng für Designund Geschichts­interessie­rte.

Die Ausstellun­g im Studio HfG, Am Hochsträß 8, läuft noch bis Sonntag, 4. November.

„Die HfG ist nicht zu messen an dem, was sie erreichte, sondern an dem, was zu erreichen ihr verwehrt blieb“,

„Ein sehr lebendiges Kapitel, mit dem noch mehr gearbeitet, das noch mehr wertgeschä­tzt werden“müsse,

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REPRO: Florian L. Arnold Das letzte Gruppenfot­o vor dem HfG-Gebäude: Die Studierend­en und Dozenten der Hochschule für Gestaltung beklagen die „Hinrichtun­g“der Institutio­n.

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