Das letzte Jahr an der HfG
Ausstellung räumt mit Mythen über das Ende der Ulmer Hochschule für Gestaltung auf
ULM - „Mordanzeige!“war da zu lesen auf einem Flugblatt, mit dem die HfG-Studenten die Ulmer auf das „schamloseste Killingmanöver“im „Gehege lokalpolitischer Interessen“aufmerksam machen wollten. Das Ende der Ulmer Hochschule für Gestaltung ist umrankt von Mythen, Halbwahrheiten und Polemiken. Die HfGler ließen nie einen Zweifel daran, wer Schuld an der „Hinrichtung der HfG“(O-Ton) hatte: Das Land Baden-Württemberg, das eine Weiterfinanzierung verweigerte.
„Wir demonstrieren. Linksbündig bis zuletzt“
Die Wirklichkeit allerdings hat viele Schattierungen. Christiane Wachsmann hat sich der Frage nach den Ursachen des HfG-Endes gestellt und zeigt mit der Ausstellung „Wir demonstrieren. Linksbündig bis zuletzt, Hochschule für Gestaltung 1968“sowie einer umfangreichen Publikation detailliert, was zum Aus der legendären Einrichtung führte. Manche Ursache ist schon im Gründungsmoment zu suchen, etwa in der Heterogenität der Gründungsmitglieder – allen voran Inge Aicher-Scholl, Otl Aicher und Max Bill, deren Visionen der HfG sich unterschiedlich entwickelten. Auch die teils „sehr unterschiedliche Sozialisation“des Lehrpersonals habe immer den Konfliktfunken in sich getragen, so Wachsmann. Dazu kam der schon in den 50er-Jahren hochkochende Richtungsstreit in der Schule: angewandtes Design versus geisteswissenschaftlich-theoretischer Ansatz. Man kennt den Ausgang: Max Bill ging im Zorn, Lucius Burghart, einst HfG-Dozent, verewigte seinen Ärger in bissigen Polemiken gegen die HfG-Produkte. Solche Grabenkämpfe kennt man aus der Geschichte des großen Vorläufers, des Bauhaus, mit dem die HfG sich oft verglichen sah.
Lebenswerk von Inge Aicher-Scholl am Ende
Das Ende kam nicht mit einem Paukenschlag, so Wachsmann, die HfG sei aufgrund vieler Konflikte und massiver finanzieller Unachtsamkeiten „langsam vor sich hin gestorben“. Schon seit 1964 hatte sich keiner mehr ernsthaft um die Finanzen gekümmert. Man sei „davon ausgegangen, dass es immer so weitergehen wird und die Lücken im Budget vom Land gestopft werden“. Rettungsversuche in letzter Minute – die HfG sollte der Ulmer Ingenieurschule angegliedert werden – scheiterten krachend. Die HfGler fühlten sich brüskiert und beschlossen in einer Vollversammlung, diesen letzten Rettungsanker auszuschlagen. Auf einem Foto in der Ausstellung sieht man Inge AicherScholl konstatierte Gui Bonsiepe 1968. müde und abgekämpft im Hintergrund dem Geschehen folgen. Ihr Lebenswerk ist am Ende.
Ansatz zur Verbesserung der Gesellschaft
„Die HfG ist nicht zu messen an dem, was sie erreichte, sondern an dem, was zu erreichen ihr verwehrt blieb“, konstatierte Gui Bonsiepe 1968 mit unüberhörbarer Bitterkeit.
Die HfG aber ist „nicht gescheitert“, wie Kuratorin Wachsmann deutlich macht. Ihre Entwürfe besitzen bis heute Gültigkeit, ihr Ansatz einer „Gestaltung der Umwelt“zur Verbesserung der Gesellschaft hat nichts an Brisanz verloren. Staunend notiert man in der Ausstellung immer wieder, wie durchdacht und teils schlicht genial die HfG an die Umkrempelung überkommener Vorstellungen heranging. findet Museumsleiterin Stefanie Dathe
Interne Konflikte und unsolide Finanzierung
Dass eine auf der höchsten Bugwelle der Avantgarde reitende Institution einmal scheitern musste, wird in Ausstellung und Buch deutlich. Die 68er wollten es bunt, „form follows function“war nicht gefragt. Zu „unlustig“wirkte der aufkommenden Hippiezeit das HfG-Design. Über die „verlorene Strahlkraft“dachten HfGVordenker wie Tomás Maldonado und Gui Bonsiepe schon in den frühen 60ern nach. Da kam schon die Frage nach vernetztem Lernen, nach einer großen Bildungsreform auf – auf die das Land bis heute wartet und wartet.
Gescheitert ist die HfG nicht. Sie starb an internen Konflikten und an unsolider Finanzierung, ein wenig am Unbehagen, das die Bevölkerung den jungen „linksbündigen“Studenten gegenüber empfand und an einer Zeit, die aus dem Staunen und Experimentieren der Wirtschaftswunderzeit hinüberging in eine Phase der Saturiertheit. Die Ulmer hatten den „Unruheherd“HfG wohl satt.
Ein letztes Gruppenfoto, letzte Demonstrationen in Stuttgart zur Bauhaus-Ausstellung – dann ein tieftraurigunbehagliches „Plötzlich Stille“. Die HfG hatte weit über ihre Zeit hinaus gewirkt. Sie ist keinesfalls museal, sondern, so Museumsleiterin Stefanie Dathe, „ein sehr lebendiges Kapitel, mit dem noch mehr gearbeitet, das noch mehr wertgeschätzt werden“müsse. Die Ausstellung im HfG-Archiv ist eine bewegende Reise durch ein bewegtes letztes HfG-Jahr, die Publikation eine kostbare Bereicherung für Designund Geschichtsinteressierte.
Die Ausstellung im Studio HfG, Am Hochsträß 8, läuft noch bis Sonntag, 4. November.
„Die HfG ist nicht zu messen an dem, was sie erreichte, sondern an dem, was zu erreichen ihr verwehrt blieb“,
„Ein sehr lebendiges Kapitel, mit dem noch mehr gearbeitet, das noch mehr wertgeschätzt werden“müsse,