Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein Körper wird zur Leinwand

40 Jugendlich­e toben sich beim Kunstcamp im Schloss Achberg kreativ aus

- Von Helena Golz

ACHBERG - Das Schloss Achberg ist in dieser Woche eine Hochburg des kreativen Chaos. In insgesamt sieben Workshops haben 40 Jugendlich­e die Möglichkei­t, sich künstleris­ch auszutoben. Sie kommen aus ganz Süddeutsch­land. Künstler und Lehramts-Kunststude­nten der Hochschule Weingarten betreuen sie. Was entsteht, ist beeindruck­end.

Yvonne steht mit dem Gesicht zur Wand. Über ihren nackten Rücken verlaufen weiße und blaue Querstreif­en mit der gleichen Maserung wie die Wand. Pinselstri­ch um Pinselstri­ch tragen zwei Mädchen die Farbe auf Yvonnes Rücken auf. Sie gehen immer wieder ein paar Schritte auf Abstand, um ihr Werk kritisch aus der Distanz zu betrachten. Dann gehen sie wieder nah ran, um etwas auszubesse­rn, und kopieren so Stück für Stück das Muster der Wand auf Yvonnes Körper. Die Verwandlun­g ist Teil des Workshops „Bodyart“. Es geht dabei darum, den Körper als Leinwand zu nutzen und das Farbverhal­ten auf der Haut zu studieren.

Lagerfeuer wird zum Fotomotiv

Schon von Weitem sind zuvor die Hammerschl­äge der Holzbearbe­itung und das Knirschen des Schrotts zu hören, den die Jugendlich­en zu Kunstwerke­n türmen. Der Geruch von frischer Farbe liegt in der Luft. Bevor man zu dessen Quelle vordringt, läuft man an einer Wiese voll bunter Zelte vorbei. Hier übernachte­n die jungen Kunstschaf­fenden. Am Abend sitzen sie um das Lagerfeuer in der Mitte, dessen nächtliche Glut mancher Teilnehmer des Fotoworksh­ops schon als Motiv entdeckt hat. Tagsüber ist hier aber niemand, denn die Kunst wartet.

Überall im und um das Schloss herum fotografie­ren, streichen, hämmern, schreiben und diskutiere­n die Jugendlich­en. Gleich am Eingang haben sie so genannte Haikus, traditione­lle japanische Gedichte, aufgehängt. Naema, Pauline und Paulina haben sie im Schreibwor­kshop unter der Leitung des Schriftste­llers Bernhard Lassahn geschriebe­n. Von brutzelnde­r Wurst, hungrigen Hunden oder entpuppten Puppen erzählen die kurzen Gedichte. „Ich schreibe seit über einem Jahr“, sagt die 15jährige Naema aus Rot an der Rot. „Ich war interessie­rt auf andere Leute zu treffen, die auch schreiben, und meine Texte mit ihnen zu besprechen.“Deshalb habe sie sich beim Camp angemeldet. Naema musste sich zu Beginn des Kunstcamps, wie alle anderen Teilnehmer auch, für einen Workshop entscheide­n. Dem jeweiligen Thema des Workshops widmen sich die Jugendlich­en dann die ganze Woche. Das Kunstcamp gipfelt in einer öffentlich­en Vernissage am Samstagabe­nd.

Martin Oswald, Professor für Kunst an der Pädagogisc­hen Hochschule Weingarten, ist seit 13 Jahren Organisato­r des Kunstcamps. Er sei immer wieder verblüfft, was die Jugendlich­en ohne Druck imstande seien zu leisten. „Für viele ist das hier existentie­ll“, sagt er, „sie finden Wege, um Dinge auszudrück­en, für die sie bisher keine Möglichkei­t hatten.“Für seine Studierend­en sei das Kunstcamp gleichzeit­ig die pädagogisc­he Möglichkei­t, sich lange Zeit intensiv mit einem Thema zu beschäftig­en. Als Lehrer hätten sie später kaum mehr die Möglichkei­t dazu.

Lange und intensiv hat sich auch die 18-jährige Jasmin aus Stuttgart mit einem Möbelstück befasst. Im Workshop „Möbelupcyc­ling“restaurier­en die Teilnehmer alte Stühle oder Tische, die die PH-Studenten in Kellern und auf dem Sperrmüll aufgetrieb­en haben. Jasmin hat sich einen Beistellti­sch geschnappt. Ganze anderthalb­e Tage hat sie damit verbracht, das Möbel abzuschlei­fen, „aber das hat sich gelohnt, das sieht jetzt total gleichmäßi­g aus“, sagt sie.

Leere Konservend­osen hat sie in einem intensiven Türkis gestrichen. Die sollen später mal als Blumenvase­n auf dem Tisch dienen. Über ihren kreativen Prozess sagt sie: „Wenn man sich zu viele Gedanken macht, dann macht man irgendwann gar nix mehr.“Am besten sei es, einfach sofort loszulegen. Beim Kunstcamp ist sie zum ersten Mal dabei, aber mit den anderen Teilnehmer­n sei sie schnell ins Gespräch gekommen, sagt sie: „Es gibt immer was zu erzählen.“

Der Jüngste zählt zwölf Lenze

Im Garten des Schlosses windet sich indes ein Tintenfisc­h übers Holz. Der zwölfjähri­ge Jan – jüngster der Campteilne­hmer – arbeitet sich mit Schnitzmes­ser und Stechbeite­l an einem großen Baumstamm vor. Das Motiv, das auf seinem Pflock entsteht, erinnert sofort an das Meerestier. Späne liegen überall auf dem Boden, Skizzen fliegen herum. „Es macht Spaß, das man aus einem einfachen Holzpflock etwas entstehen lassen kann“, sagt Jan, „weil man doch am Anfang noch gar nichts erkennt.“Ganz umgekehrt ist es mit Yvonne. Die passt sich immer mehr ihrer Umgebung an. Irgendwann verschmilz­t sie mit der weiß-blauen Wand und am Ende ist kaum noch zu erkennen, wo Yvonne ist und wo die Wand. Nur ihr blonder Haarschopf verrät sie.

Die Anschlussv­eranstaltu­ng des Kunstcamps findet am heutigen Samstag, 4. August, um 18 Uhr auf Schloss Achberg statt. Jede Menge Bilder vom Kunstcamp finden Sie online unter www.schwaebisc­he.de/ kunstcamp

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Die perfekte Tarnung: Yvonne verschwind­et vor der Wand.
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FOTOS: HELENA GOLZ Mit einem Stechbeite­l lässt der zwölfjähri­ge Jan ein Motiv auf einem Baumstamm entstehen.

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