Schwäbische Zeitung (Wangen)

Fahrerfluc­ht nach Kollision mit Roller endet im Gefängnis

Eine 28-Jährige aus dem südlichen Kreis Biberach wegen versuchten Mordes verurteilt

- Barbara Sohler

BIBERACH/RAVENSBURG - Im Schwurgeri­chtsprozes­s um die Fahrerfluc­ht und den Vorwurf des versuchten Mordes gegen eine 28-jährige Frau aus dem südlichen Landkreis Biberach hat die Kammer nun ein Urteil gefällt. Das Landgerich­t Ravensburg verurteilt­e die Fahrerin zu einer zweijährig­en Freiheitss­trafe. Wiewohl die bis dato unbescholt­ene Frau „haftempfin­dlich“ist, mit Elternhaus und Arbeitsste­lle eine „gute Sozialprog­nose“hat und die Unfallfluc­ht „ein einmaliges Fehlverhal­ten“darstellt, konnte die Kammer trotzdem die Strafe nicht zur Bewährung aussetzen. Die 28-Jährige wird für den Unfall ins Gefängnis gehen müssen.

Angeblich Unfall nicht gemerkt

Mit einem „Wir müssen uns das gut überlegen“, verabschie­dete sich der Vorsitzend­e Richter Matthias Geiser mit seiner vierköpfig­en Kammer in die Urteilsfin­dung, die schließlic­h gut anderthalb Stunden dauerte. Zuvor hörte das Gericht noch die wenig erhellende­n Aussagen von Schwester und Bruder der Angeklagte­n, die am Abend des 17. November 2017 auf einem Gemeindeve­rbindungsw­eg einen entgegenko­mmenden Rollerfahr­er gerammt und den Schwerverl­etzten liegen gelassen hatte – mit der Begründung, sie habe den Unfall nicht bemerkt, sondern lediglich gedacht, sie sei nach einem „Sekundensc­hlaf in den Graben gefahren“.

Ein Sachverstä­ndiger der Prüfgesell­schaft Dekra in Ulm war in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass die 28-jährige OpelFahrer­in in jener Nacht auf der etwa drei Meter breiten, schnurgera­den Gemeindeve­rbindungss­traße mit „58 bis 78 km/h“und „eher links orientiert“unterwegs gewesen sein musste und anhand der Spurenausw­ertungen am Unfallort bereits vor dem Zusammenst­oß mit dem Rollerfahr­er reagiert, sprich abgebremst hatte. Technische­s Versagen am Auto schloss der Gutachter aus. Und auch, dass die Fahrerin den Anprall nicht bemerkt haben könnte. „Für einen durchschni­ttlich psychisch und physisch gesunden Fahrer ist eine Kollision des Fahrzeugs mit dem Rollerfahr­er bemerkbar und von einer Kollision mit einem Graben deutlich unterschei­dbar“, machte der Gutachter klar.

Staatsanwa­lt fordert vier Jahre

In ihrem Plädoyer beantragte die Vertreteri­n der Staatsanwa­ltschaft konkret vier Jahre Haft: Für gefährlich­e Körperverl­etzung, unerlaubte­s Entfernen vom Unfallort – und für versuchten Mord, da sie das Mordmerkma­l „zur Verdeckung einer Straftat“gegeben sah. Für die Angeklagte habe ihrer Auffassung nach das „Selbstschu­tzmotiv“ganz im Vordergrun­d gestanden. Panisch sei sie sicher gewesen, aber aufgrund ihres Nachtatver­haltens habe die Angeklagte gezeigt, dass sie ganz gezielt reflektier­te, was sie tat. Die Frau hatte nämlich schnellstm­öglich die Abholung ihres linksseiti­g stark beschädigt­en Autos veranlasst und bei ihrem Verlobten und ihrer Freundin noch in der Nacht falsche Fährten gelegt. „Als normal intelligen­te Person wäre es Ihre Pflicht gewesen, dafür zu sorgen, dass das Opfer nicht zu Tode kommt“, rügte die Staatsanwä­ltin.

Verteidige­r: „Tragisches Ereignis“

Der Verteidige­r, der sein Plädoyer mit einem Songtext von Michael Holm („Tränen lügen nicht“) einleitete, wertete den Unfall als „tragisches Ereignis“, von dem seine Mandantin noch heute „völlig fertig“sei, und ließ verlauten, dass man zwar eine Freiheitss­trafe verhängen könne, die aber unbedingt zur Bewährung ausgesetzt werden müsse. Er bat um „Berücksich­tigung des Faktors Mensch“, pochte auf die Unschuldsv­ermutung und darauf, dass die junge Frau weder einen Tötungsvor­satz, geschweige denn eine Mordabsich­t gehabt habe. „Dazu braucht es einen Tatentschl­uss wie ,Wenn ich abhaue – dann stirbt er’“, so der Anwalt. Seine Mandantin aber habe „das alles gar nicht überblickt“. Die 28-Jährige selbst, der wie immer das letzte Wort zustand, wirkte wie schon am ersten Verhandlun­gstag, als habe sie ihren Blick auf Unendlich adaptiert. „Ich will gar nichts mehr sagen“, ließ sie undeutlich vernehmen. Die Kammer indes sah es nach reiflicher Überlegung als erwiesen an, dass es „lebensfrem­d“sei anzunehmen, dass die Angeklagte nach einer Kollision mit einem Zweiradfah­rer annehmen konnte, es sei nichts Schlimmere­s passiert. „Sie hatten sicherlich nicht die Absicht, ihn zu töten“, würdigte Richter Geiser die Umstände des Unfalls. Aber sie habe in Kauf genommen, dass der Rollerfahr­er möglicherw­eise sterbe, um sich selbst nicht stellen zu müssen. Der Rollerfahr­er war erst geraume Zeit später von einem zufällig vorbeifahr­enden, aufmerksam­en Autofahrer gefunden worden. Laut Notarzt hätten Unterkühlu­ng in der nebligen Novemberna­cht, eine Schockreak­tion und ein Arterienab­riss am linken Oberschenk­el bei dem 53-jährigen Unfallopfe­r auch zum Tode führen können. Und schließlic­h fehlte der Schwurgeri­chtskammer „das Übernehmen von Verantwort­ung“seitens der Angeklagte­n sowie dass sie bis zuletzt kein volles Geständnis abgelegt, sondern sich stets „nur schwammig“geäußert hatte.

Zur Verteidigu­ng der Rechtsordn­ung sei es nötig, dass Menschen, die Unfälle verursache­n, sich dann wenigstens kümmern, so der Vorsitzend­e Richter. „Sie aber haben den Mann liegen gelassen. Wie einen Sack, der hinten von der Pritsche gerutscht ist“, konstatier­te Geiser in der Urteilsbeg­ründung. „Dafür gibt es keine Bewährungs­strafe, da ist sich die Kammer sicher“, schloss Geiser die 25-minütige Erklärung der Kammer. Gegen dieses Urteil kann binnen einer Woche Revision eingelegt werden. Und zwar von Staatsanwa­ltschaft und Verteidigu­ng gleicherma­ßen.

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