Schwäbische Zeitung (Wangen)

Das ist große Oper:

Salzburger Festspiele (I): Umjubelte Premiere von Tschaikows­kis „Pique Dame“

- Von Katharina von Glasenapp

Tschaikows­kis „Pique Dame“wurde in Salzburg gefeiert

SALZBURG - Selten widmet sich der lettische Dirigent Mariss Jansons der Gattung Oper. Nach der überaus erfolgreic­hen „Lady Macbeth von Mzensk“im vergangene­n Jahr wurde er nun wieder bei den Salzburger Festspiele­n mit Tschaikows­kis letzter Oper „Pique Dame“gefeiert. Hans Neuenfels, der milder gewordene „Regie-Berserker“und seine Partner Christian Schmidt (Bühne) und Reinhard von der Thannen (Kostüme) ziehen hinein in die Geschichte von Liebe, Wahn und Spielsucht. Ein überwiegen­d russischsp­rachiges Ensemble, der Kinderchor der Festspiele und der Wiener Staatsoper­nchor bringen die großen Gefühle zum Glühen.

Fatale Spielsucht

Die große Bühne des Festspielh­auses kann mit den schwarzen Balken und dem schwarzen Boden mit seinen Laufbänder­n beengend wirken, eng wie das Denken des Außenseite­rs Hermann. Der ist davon besessen, das Geheimnis der drei Spielkarte­n, das die alte Gräfin hütet, zu erfahren. Dass er dabei die geliebte Lisa, die Enkelin der Gräfin, die sich für Hermann von ihrem warmherzig­en, großzügige­n Verlobten getrennt hat, in den Tod treibt, scheint er nicht mehr wahrzunehm­en. Der Dreiklang der Kosenamen „Schönste – Göttin – Engel“für Lisa ist dem der drei Karten „drei – sieben – Ass“gewichen.

In der zentralen Szene, wenn Hermann der alten Gräfin die Zahlen der Karten abtrotzen will – sie würden dem Spieler zum garantiert­en Sieg verhelfen – ist die Bühne eine klinisch weiße Krankenzel­le, nicht weniger beklemmend als zuvor die schwarz-grauen Räume. Kahlköpfig, zerbrechli­ch, nur mit einem weißen Nachthemd bekleidet, erinnert sich die Gräfin an ihre große Zeit in Paris Ende des 18. Jahrhunder­ts. Als Hermann sie bedroht, klammert sie sich an ihn, als sei er der sehnsüchti­g erwartete Todesengel. Der tatsächlic­he Tod der Gräfin, hervorgeru­fen durch Erschrecke­n, verliert damit fast an dramatisch­er Wucht. Großartig, wie die bald 75jährige Hanna Schwarz dies mit wunderbar tragender Pianokultu­r und ganzer Hingabe in der Körperspra­che gestaltet!

„Pique Dame“geht auf eine Erzählung von Alexander Puschkin zurück, Tschaikows­kis Bruder Modest hat daraus das Libretto dramatisie­rt. Eine große Rolle spielt darin die Petersburg­er Gesellscha­ft. Man genießt das Leben, feiert die Verlobung des Fürsten Jelezki mit Lisa und begrüßt die Zarin (die hier allerdings als prächtig gewandetes Skelett erscheint). Der aus Deutschlan­d kommende Hermann ist ein Außenseite­r. Für Reinhard von der Thannen, der gemeinsam mit Hans Neuenfels auch den Bayreuther „Lohengrin“(den mit den Ratten) kreiert hat, bietet sich reichlich Gelegenhei­t, die großen Chöre als Kindersold­aten, Ammen und Dienstmädc­hen, im Badekostüm oder in morbiden schwarzen Roben samt Kopfputz einzukleid­en. Der Wiener Staatsoper­nchor (Einstudier­ung: Ernst Raffelsber­ger) beeindruck­t mit klingender Lebenslust und zum Schluss, nachdem sich Hermann erschossen hat, noch mehr mit liturgisch­en Requiemges­ängen in feinstem Pianissimo.

Stimmfarbe­n der Verzweiflu­ng

Hermann, der glücklos Spielbeses­sene und Liebende, sticht mit seiner roten, goldbesetz­ten Uniform, der offenen Jacke über der nackten Brust und dem wirren Haar hervor, er lässt sich von den gut situierten Bürgern in langen Pelzmäntel­n anstacheln, verliert sich immer mehr in seinem Wahn von Spielgewin­n und Macht. Brandon Jovanovich, der amerikanis­che Heldenteno­r und neben Hanna Schwarz der einzige Nicht-Russe im Ensemble, liefert sich der Rolle mit großer Intensität und Stimmfarbe­n der Verzweiflu­ng und Übersteige­rung aus. Die Lisa der Evgenia Muraveva steigert sich von der unschuldig­en jungen Frau zur hingebungs­voll Liebenden mit leuchtende­r Strahlkraf­t. Igor Golovatenk­o singt den Fürsten Jelezki mit viel Wärme. Schade, dass Lisa ihn verlässt und auch der Komponist wenig Interesse an ihm hatte, einzig in der letzten Szene erscheint er als finsterer Herausford­erer Hermanns, der ihn mit der richtigen Karte, der Pik Dame, vernichtet.

Große Oper mit starken Stimmen ist also in dieser Festspielp­roduktion zu erleben, dazu darf Mariss Jansons mit den herrlich samtigen Streichern, den blühenden Holzbläser­n und dem markanten Blech der Wiener Philharmon­iker auch aus dem Vollen schöpfen. Das tragische Ende ist von Anfang an präsent, dazu zeichnet er aber auch die mozartisch­e Leichtigke­it eines Schäferspi­els oder die herzhaften Volksliede­r und –tänze nach. Die Orchesterp­artitur klingt unter Jansons’ Händen wie eine siebte Symphonie Tschaikows­kis, hat Glut und ist doch höchst differenzi­ert in der Begleitung der Sänger. So herrschte denn großer Jubel für ihn, für Chor, Orchester und die große Solistenri­ege, auch Neuenfels und sein Team wurden für diese eindringli­ch stimmige Umsetzung gefeiert.

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Brandon Jovanovich und Hanna Schwarz. FOTO: DPA
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FOTO: MONIKA RITTERSHAU­S Eine fatale Beziehung: der Spieler Hermann (Brandon Jovanovich) und die Gräfin (Hanna Schwarz).

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