Das ist große Oper:
Salzburger Festspiele (I): Umjubelte Premiere von Tschaikowskis „Pique Dame“
Tschaikowskis „Pique Dame“wurde in Salzburg gefeiert
SALZBURG - Selten widmet sich der lettische Dirigent Mariss Jansons der Gattung Oper. Nach der überaus erfolgreichen „Lady Macbeth von Mzensk“im vergangenen Jahr wurde er nun wieder bei den Salzburger Festspielen mit Tschaikowskis letzter Oper „Pique Dame“gefeiert. Hans Neuenfels, der milder gewordene „Regie-Berserker“und seine Partner Christian Schmidt (Bühne) und Reinhard von der Thannen (Kostüme) ziehen hinein in die Geschichte von Liebe, Wahn und Spielsucht. Ein überwiegend russischsprachiges Ensemble, der Kinderchor der Festspiele und der Wiener Staatsopernchor bringen die großen Gefühle zum Glühen.
Fatale Spielsucht
Die große Bühne des Festspielhauses kann mit den schwarzen Balken und dem schwarzen Boden mit seinen Laufbändern beengend wirken, eng wie das Denken des Außenseiters Hermann. Der ist davon besessen, das Geheimnis der drei Spielkarten, das die alte Gräfin hütet, zu erfahren. Dass er dabei die geliebte Lisa, die Enkelin der Gräfin, die sich für Hermann von ihrem warmherzigen, großzügigen Verlobten getrennt hat, in den Tod treibt, scheint er nicht mehr wahrzunehmen. Der Dreiklang der Kosenamen „Schönste – Göttin – Engel“für Lisa ist dem der drei Karten „drei – sieben – Ass“gewichen.
In der zentralen Szene, wenn Hermann der alten Gräfin die Zahlen der Karten abtrotzen will – sie würden dem Spieler zum garantierten Sieg verhelfen – ist die Bühne eine klinisch weiße Krankenzelle, nicht weniger beklemmend als zuvor die schwarz-grauen Räume. Kahlköpfig, zerbrechlich, nur mit einem weißen Nachthemd bekleidet, erinnert sich die Gräfin an ihre große Zeit in Paris Ende des 18. Jahrhunderts. Als Hermann sie bedroht, klammert sie sich an ihn, als sei er der sehnsüchtig erwartete Todesengel. Der tatsächliche Tod der Gräfin, hervorgerufen durch Erschrecken, verliert damit fast an dramatischer Wucht. Großartig, wie die bald 75jährige Hanna Schwarz dies mit wunderbar tragender Pianokultur und ganzer Hingabe in der Körpersprache gestaltet!
„Pique Dame“geht auf eine Erzählung von Alexander Puschkin zurück, Tschaikowskis Bruder Modest hat daraus das Libretto dramatisiert. Eine große Rolle spielt darin die Petersburger Gesellschaft. Man genießt das Leben, feiert die Verlobung des Fürsten Jelezki mit Lisa und begrüßt die Zarin (die hier allerdings als prächtig gewandetes Skelett erscheint). Der aus Deutschland kommende Hermann ist ein Außenseiter. Für Reinhard von der Thannen, der gemeinsam mit Hans Neuenfels auch den Bayreuther „Lohengrin“(den mit den Ratten) kreiert hat, bietet sich reichlich Gelegenheit, die großen Chöre als Kindersoldaten, Ammen und Dienstmädchen, im Badekostüm oder in morbiden schwarzen Roben samt Kopfputz einzukleiden. Der Wiener Staatsopernchor (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) beeindruckt mit klingender Lebenslust und zum Schluss, nachdem sich Hermann erschossen hat, noch mehr mit liturgischen Requiemgesängen in feinstem Pianissimo.
Stimmfarben der Verzweiflung
Hermann, der glücklos Spielbesessene und Liebende, sticht mit seiner roten, goldbesetzten Uniform, der offenen Jacke über der nackten Brust und dem wirren Haar hervor, er lässt sich von den gut situierten Bürgern in langen Pelzmänteln anstacheln, verliert sich immer mehr in seinem Wahn von Spielgewinn und Macht. Brandon Jovanovich, der amerikanische Heldentenor und neben Hanna Schwarz der einzige Nicht-Russe im Ensemble, liefert sich der Rolle mit großer Intensität und Stimmfarben der Verzweiflung und Übersteigerung aus. Die Lisa der Evgenia Muraveva steigert sich von der unschuldigen jungen Frau zur hingebungsvoll Liebenden mit leuchtender Strahlkraft. Igor Golovatenko singt den Fürsten Jelezki mit viel Wärme. Schade, dass Lisa ihn verlässt und auch der Komponist wenig Interesse an ihm hatte, einzig in der letzten Szene erscheint er als finsterer Herausforderer Hermanns, der ihn mit der richtigen Karte, der Pik Dame, vernichtet.
Große Oper mit starken Stimmen ist also in dieser Festspielproduktion zu erleben, dazu darf Mariss Jansons mit den herrlich samtigen Streichern, den blühenden Holzbläsern und dem markanten Blech der Wiener Philharmoniker auch aus dem Vollen schöpfen. Das tragische Ende ist von Anfang an präsent, dazu zeichnet er aber auch die mozartische Leichtigkeit eines Schäferspiels oder die herzhaften Volkslieder und –tänze nach. Die Orchesterpartitur klingt unter Jansons’ Händen wie eine siebte Symphonie Tschaikowskis, hat Glut und ist doch höchst differenziert in der Begleitung der Sänger. So herrschte denn großer Jubel für ihn, für Chor, Orchester und die große Solistenriege, auch Neuenfels und sein Team wurden für diese eindringlich stimmige Umsetzung gefeiert.