Schwäbische Zeitung (Wangen)

K. o. durch öko

Der Markt für Biomilch wächst – aber nicht so stark wie das Angebot, sodass die Bauern nicht mehr wissen, wohin damit

- Von Sandra Tjong

Fünf Kühe sind schon verkauft, kommenden Monat werden die nächsten abgeholt. „Es ist eine traurige Angelegenh­eit. Man hängt ja an den Tieren“, sagt Maria Mayer. Sie ist Milchbäuer­in im oberbayeri­schen Petting, einem kleinen Ort nahe Traunstein. Noch. Denn sie und ihr Mann, beide in den 60ern, haben sich schweren Herzens entschloss­en, das Geschäft aufzugeben.

Bio ist ihr Problem: Sie haben ihren Milchbetri­eb umgestellt, ohne einen Vertrag mit einer Molkerei in der Tasche zu haben – und nun werden sie die Milch nicht los. Denn in Bayern gibt es einen Biomilchüb­erschuss. Nach dem neuesten Agrarberic­ht gab es 2017 im Freistaat 106 700 Bauernhöfe. Darunter waren 9200 Ökobetrieb­e, was Bayern bundesweit zum bedeutends­ten Ökoland macht. Das wird jetzt zum Problem.

Die Umstellung auf Biomilch galt lange als sichere Bank, um als bäuerliche­r Familienbe­trieb zu überleben: Anders als bei konvention­eller Milch blieb der Preis aufgrund stärkerer Regulierun­g stabil, dazu wächst die Nachfrage. Deutschlan­dweit ist die Auslieferu­ng von Biomilch im Januar und Februar im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum um 8,9 Prozent gestiegen. Die Auslieferu­ng von Milchgeträ­nken sogar um 14,3 Prozent. Mehr als die Hälfte der Biomilch wird in Bayern produziert. Und doch bleiben Landwirte im Freistaat mittlerwei­le auf ihrer Milch sitzen, denn das Angebot übersteigt die Nachfrage. Auch bei Biojoghurt, Käse und Butter geht der Absatz zurück.

Molkereien nehmen nur so viel Milch an, wie sie vermarkten können, damit sie die Preise nicht kaputt machen. Inzwischen haben sie einen Aufnahmest­opp oder Warteliste­n. Auf der sichereren Seite sind Landwirte wie Jakob Sichler aus Grassau, die einen Vertrag mit einer Molkerei haben. Auch wenn die Preise schwanken, ist der Absatz gesichert. Die Milchwerke Berchtesga­dener Land, bekannt für faire Preise, haben derzeit hundert Anwärter. Bei ihnen handelt es sich entweder um Mitglieder der Genossensc­haft, die darauf warten, auf bio umrüsten zu können. Oder – und hier wird es problemati­sch – es sind externe Betriebe, die bereits umgestellt haben und dringend einen Abnehmer suchen. Sie können jetzt froh sein, wenn sie ihre Milch bei einem konvention­ellen Vermarkter loswerden – zu deutlich niedrigere­m Preis. Ein Defizitges­chäft.

Markus Seemüller, Geschäftsf­ührer der Milcherzeu­gergemeins­chaft

„Wir hatten viele schlaflose Nächte. Jetzt haben wir keine Hoffnung mehr.“

MeG Bayern, weiß allein in seinem Verband von 20 Betrieben, die einen Vertrieb für ihre Biomilch suchen. Besonders stark betroffen ist ihm zufolge das Alpenvorla­nd, da in dem milchstark­en und kleinteili­g strukturie­rten Gebiet die Umstellung leichter ist als weiter im Norden, wo es viele Mischbetri­ebe gibt. „Auf der einen Seite fordern Politiker, dass stärker auf bio umgestellt wird, und auf der anderen Seite fehlen die Abnehmer“, schildert Seemüller das Dilemma. Er rät Erzeugern dringend, nur umzustelle­n, wenn sie bereits einen Vertrag mit einer Molkerei abgeschlos­sen haben.

Ausschlagg­ebend für den jetzigen Überschuss an Biomilch war der Preissturz von konvention­eller Milch in den Jahren 2015/2016. Damals sank der Durchschni­ttspreis für einen Liter Milch auf 23,4 Cent – rund 40 Cent sind nötig für eine kostendeck­ende Produktion. Der Biomilchpr­eis dagegen hielt sich stabil

Landwirtin Maria Mayer, die ihre Biomilch nicht los wird und aufgibt

bei rund 48 Cent pro Liter. „Es gab eine regelrecht­e Umstellung­swelle“, sagt Johannes Enzler von der Landesanst­alt für Landwirtsc­haft.

Dazu kam, dass der Freistaat die Kulturland­schaftsprä­mie für Landwirte, die auf Ökobetrieb umsatteln, erhöhte: Pro Hektar und Jahr erhalten sie seit 2015 in den ersten zwei Jahren 350 Euro, vom dritten Jahr an 273 Euro, um die Mehrkosten der Umstellung abzufedern. Ein weiterer Wechselanr­eiz.

Auch die Mayers stellten ihren kleinen Betrieb mit weniger als 20 Kühen in dieser Zeit um. „Bei der Milch gab es eine Krise nach der anderen, da sagten wir uns: Verlieren können wir nichts mehr.“Sie hatten von einem freien Biomolkere­iplatz erfahren. Doch als sie Ernst machten, war er bereits vergeben – Mayers standen ohne Abnehmer da.

Für einen zwischenze­itlichen Hoffnungss­chimmer sorgte die Berliner Milcheinfu­hrgesellsc­haft (B.M.G.): Sie bot einen vernünftig­en Preis. Im Februar dieses Jahres folgte jedoch die Insolvenz. Von heute auf morgen standen Mayers wieder ohne Vertrieb da – und mit ihnen allein in Bayern weitere 14 Biomilch-Erzeuger. Bundesweit waren es mehr als 40, dazu Hunderte Erzeuger konvention­eller Milch.

Inzwischen beliefern die Mayers wieder ihren früheren Abnehmer, die Käserei Bergader in Waging am See. Allerdings zahlt sie nur den Preis für konvention­elle Milch. In einer Übergangsz­eit sogar drei Cent pro Liter weniger, da sie die Milch eigentlich nicht braucht, wie eine Sprecherin sagt. Die Käserei habe als „good will“alle von der B.M.G.-Pleite betroffene­n Bauern übernommen. Man wolle sie nicht hängen lassen, könne aber nicht mehr zahlen.

Naturland-Sprecher Markus Fadl wundert die Entwicklun­g nicht: „In den vergangene­n zwei Jahren haben extrem viele Milcherzeu­ger auf öko umgestellt. Dass es in diesem Tempo nicht weitergehe­n kann, war klar.“Von einer Milchkrise könne noch keine Rede sein. Fadl hofft, wohl auch im Interesse seines Verbandes, dass sich der Markt selbst reguliert, Angebot und Nachfrage sich einpendeln: „Der Markt muss Atem holen, dann wird es wieder weitergehe­n.“

Die Mayers können es sich aber nicht leisten, länger abzuwarten. Sie schießen Monat für Monat Erspartes zu, um den Betrieb am Laufen halten zu können. „Wir hatten viele schlaflose Nächte, jetzt haben wir keine Hoffnung mehr“, sagt Maria Mayer. Künftig setzen sie auf ein Fremdenzim­mer, dazu wird Georg Mayer seinen Minijob aufstocken.

Dass bio nicht die Rettung für die Landwirte sein muss, zeichnet sich noch in einem weiteren Segment ab: beim Futtergetr­eide. Nach Auskunft von Marktanaly­st Enzler stellen in Bayern seit zwei Jahren auffallend viele Ackerbaube­triebe auf Ökobetrieb um. In einer Übergangsp­hase von zwei Jahren können sie ihre Produktion noch nicht mit Biosiegel verkaufen. In der Regel wird die sogenannte Umstellung­sware als Tierfutter verkauft – oder die Landwirte verfüttern es selbst, wenn sie Vieh besitzen. „Zurzeit haben wir einfach zu viel auf dem Markt“, sagt Enzler. Dazu komme viel günstige Ware aus der Ukraine, Kasachstan und Russland. „Das wird kritisch.“

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FOTO: ALOIS ALBRECHT Keine Hoffnung mehr: Maria Mayer im Stall mit ihren Milchkühen.

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