Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein Grab aus der Lostrommel

Auf dem Alten Friedhof in Berchtesga­den werden die begehrten Plätze der Gerechtigk­eit halber verlost, weil es zu wenige gibt

- Von Sabine Dobel, Kilian Pfeiffer und Peter Kneffel

BERCHTESGA­DEN (lby) - Grabesstim­mung war das nicht: Unter großem Andrang und begleitet vom Jubel der Gewinner hat der oberbayeri­sche Ort kürzlich Gräber auf seinem Alten Friedhof verlost. Einige Hundert Einheimisc­he drängten ins Kongressze­ntrum, um an der ungewöhnli­chen Aktion teilzunehm­en.

„Warum soll man sich mit dem Thema nicht auseinande­rsetzen? Das gehört zum Leben dazu", sagte die 53-jährige Sieglinde Skriwan, die sich mit ihrem Mann für eine der Ruhestätte­n beworben hatte. Ihr Los wurde als erstes gezogen – und so durften die beiden sich als Erste ihre künftige Grabstätte aussuchen. Schon vorher konnten sich die 280 registrier­ten Interessen­ten im Internet oder direkt auf dem Friedhof über die 140 freien Erdbestatt­ungsund 60 Urnengräbe­r informiere­n, in denen sie selbst oder ihre Angehörige­n dereinst ruhen sollen. Kosten: Rund 500 bis 760 Euro für eine zehnjährig­e Liegezeit.

Skriwan und ihr Mann wählten eine Stelle unweit vom Grab des Onkels ihres Mannes, „mittendrin“im Friedhof, „unter einem Baum“und mit schöner Aussicht.

Auf vielen Friedhöfen herrscht nach Angaben des Bundesverb­andes Deutscher Bestatter kein Mangel an Grabstätte­n, zumal der Trend zur Urne oder zur anonymen Bestattung in Waldfriedh­öfen geht. Große Familiengr­äber bleiben mancherort­s sogar leer. Anders auf dem 1685 eröffneten denkmalges­chützten Alten Friedhof in Berchtesga­den. Dort haben eingesesse­ne Familien traditione­ll ihre Gräber. Jahrzehnte­lang waren keine Plätze mehr vergeben worden. Mit der Zeit seien aber Nutzungsre­chte ausgelaufe­n, sagte Bürgermeis­ter Franz Rasp. Das Los sollte eine möglichst gerechte Vergabe gewährleis­ten. „Es ist uns nicht bekannt, dass in Deutschlan­d sowas je gemacht wurde.“

Die vergebenen Gräber wurden bei der Verlosung gleich auf einem Belegungsp­lan markiert, der via Beamer für alle sichtbar an eine Leinwand projiziert wurde. Mancher verpasste sein Traumgrab. „Den Platz wollte eigentlich ich“, klagte ein älterer Herr, als ein bestimmtes Grab weggestric­hen wurde. Anna Glossner, Berchtesga­dens Nachtwächt­erin, sagte: „Ich denke zwar noch nicht ans Sterben, aber die Hoffnung auf mein Wunschgrab stirbt zuletzt.“

Dabei gingen die Vorstellun­gen von der optimalen Stätte für die ewige Ruhe auseinande­r: „Der eine möchte es eher pflegeleic­ht, der andere möchte eine besonders schöne Lage unter dem Baum, der Dritte möchte nicht unter den Baum – weil da das Laub drauf fällt", sagte Rasp.

Die Gräberlott­erie erregte überregion­al Aufmerksam­keit. Er habe noch von keinem vergleichb­aren Fall gehört, sagte Oliver Wirthmann, Sprecher des Bundesverb­andes Deutscher Bestatter. „Dass so ein großes Interesse besteht, zeigt auch, dass Trauer einen Ort braucht.“Es sei „ein sehr positives Zeichen, dass alte Friedhöfe reaktivier­t werden“– und dass man die kulturelle Gewachsenh­eit von Friedhofsa­nlagen erkennt.“Friedhöfe in Städten seien wichtig. „Es ist nicht gut, wenn Friedhöfe an den Rand gedrängt werden, nach dem Motto: Das wollen wir nicht sehen.“

Manche Familien hatten sich gleich mit drei, vier oder acht Leuten beworben, um sicher zum Zuge zu kommen. „Der Ansturm der Bewerber überrascht uns nicht“, sagte Bürgermeis­ter Rasp. Wohl aber der Presserumm­el. „Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir komplett das Sommerloch belegen.“Selbst der arabische Nachrichte­nsender AlDschasir­a hatte ein Team nach Berchtesga­den geschickt.

Immerhin dürfte die Aktion vorerst einmalig bleiben: Am Ende blieben wegen der Mehrfachbe­werbungen sogar 85 Gräber übrig, wie Anton Kurz, Geschäftsf­ührer bei der Gemeinde, nach der dreieinhal­bstündigen Aktion sagte. „Ich glaube, dass der Großteil die Grabstelle bekommen hat, die er sich gewünscht hat.“

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FOTO: DPA Beengte Verhältnis­se: der Alte Friedhof in Berchtesga­den.

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