Denkmal für einen Mutigen
Die „Ich-Ich-Ich-Literatur“, wie er sie gerne nennt, war noch nie seine Sache. Seit 30 Jahren schreibt der Österreicher Erich Hackl über Menschen, die von der Geschichtsschreibung vergessen worden sind. Beispielsweise das Romamädchen Sidonie Adlersburg, das 1943 im KZ Auschwitz-Birkenau getötet wurde. Hackls Erzählung „Abschied von Sidonie“(1989) ist in seinem Heimatland heute Schullektüre. Immer wieder hat der 1954 in Steyr geborene Schriftsteller in seinen Dokumentarerzählungen über wahre Schicksale geschrieben. Sein aktuelles Buch „Am Seil“, dem er den Untertitel „Eine Heldengeschichte“gegeben hat, macht da keine Ausnahme.
Die Anregung kam von einer Fremden. Sie fragte Hackl, ob er nicht über Reinhold Duschka (19001993) schreiben wolle. Ein ganz normaler Mann. Gürtler und Kunstschmied mit einer Leidenschaft fürs Bergsteigen. Für vier Jahre aber wurde er zum Helden, als er während des Zweiten Weltkrieges in seiner Werkstatt die Jüdin Regina Steinig und deren Tochter Lucia versteckte. Er rettete sie vor Deportation und Tod, weil er als passionierter Kletterer verinnerlicht hatte, dass ein Mensch sich auf einen anderen in einer Notsituation verlassen können muss. Wie bei all seinen Büchern hat Hackl in Archiven recherchiert, Gespräche mit Angehörigen und Zeitzeugen geführt. Entstanden ist eine lakonische Erzählung, die sich vor allem auf die Erinnerungen von Lucia Steinig stützt.
Dem Vergessen entrissen
Da ist zu lesen, wie die Stadtverwaltung in Wien der Mutter gleich nach dem Anschluss ans Reich 1938 kündigt, weil sie Jüdin ist. Wie das Dienstmädchen von einem Tag auf den anderen wegbleibt, weil es ihr nicht zuzumuten sei, in einem „jüdischen Haushalt“zu arbeiten. Oder wie der Ehemann Fritz sich ein Untermietzimmer sucht, um nicht wegen „Rassenschande“angezeigt zu werden. Reinhold Duschka wird für Regina und Lucia zum Retter. In seiner abgedunkelten Werkstatt helfen sie ihm bei der Arbeit und verstecken sich in einem Verschlag, wenn es an der Tür klopft. Als Reinhold eingezogen werden soll, hilft Regina ihm, ein Attest zu bekommen, um nicht an die Front zu müssen. Wer sollte sonst das Essen für sie und ihr Kind besorgen?
Nach dem Krieg trennen sich die Lebenswege von Regina und Reinhold. Ihre Geschichte wäre mit dem Tod der Protagonisten in Vergessenheit geraten. Wenn Erich Hackl sie nicht aufgeschrieben und bewahrt hätte. Welf Grombacher
Erich Hackl: Am Seil. Eine Heldengeschichte. Diogenes Verlag, 128 S., 20 Euro.