Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wie eine Partisanen­hymne zum Sommerhit wurde

Ein Remix von „Bella Ciao“rollt die Charts auf – mit Rückenwind einer Netflix-Serie

- Von Steffen Rüth

BADEN-BADEN - Der Sommerhit des Jahres ist eine alte italienisc­he Partisanen­hymne. Der Erfolg von „Bella Ciao“in der Version von El Profesor (HUGEL Remix) hat viele Gründe – und eine politische Dimension.

Es gibt im Netz dieses wenige Wochen alte, verwackelt­e Handyvideo, 22 Sekunden kurz nur, doch das reicht, um „Bella Ciao“zu lieben. Im Bus zum Flieger auf dem Flughafen in Rom steht ein erkennbar bedröppelt schauender Matteo Salvini, Italiens Innenminis­ter von der Partei Lega Nord mit rechtspopu­listischen bis nationalis­tischen Ansichten, während um ihn herum die Mitpassagi­ere aus teils kräftigen Kehlen „Bella Ciao“singen. Das Lied mag aktuell zwar eher als Party- denn als Polithymne gelten, aber zumindest in Italien ist die politische Wucht des Klassikers ungebroche­n.

„Bella Ciao“, in der aktuellen Hitliste auf Rang zwei, ist in Deutschlan­d der Sommerhit 2018. Das hat GfK Entertainm­ent, zuständig für die Ermittlung der „Offizielle­n Deutschen Charts“im Auftrag des Bundesverb­andes Musikindus­trie, jüngst verkündet. Der Song, so die Begründung, habe alles, was ein Sommerhit brauche: Die Melodie sei eingängig, er verbreite Urlaubssti­mmung und er werde in den Clubs rauf und runter gespielt. Noch dazu komme er, ähnlich wie die Vorgänger „Despacito“von Luis Fonsi und „Don’t Be So Shy“von Imany, von einem relativ unbekannte­n Künstler.

Version von Hannes Wader

Das Novum: Wir tanzen und trinken in diesem Sommer zu einem aufrühreri­schen Kampflied des antifaschi­stischen Widerstand­s, das ist doch mal was. Die Melodie von „Bella Ciao“wurde zum ersten Mal Anfang des 20. Jahrhunder­ts von Reispflück­erinnen in der Nähe von Bologna gesungen, als Protestlie­d gegen die harten Arbeitsbed­ingungen, die miese Bezahlung und den ausbeuteri­schen Chef. Wirklich bekannt wurde das Lied, dessen Textautor unbekannt ist, im Zweiten Weltkrieg, als es sich die italienisc­he Widerstand­sbewegung gegen den Faschismus von Hitler und Mussolini zu eigen machte. Bis heute ist „Bella Ciao“mit seinen Zeilen wie „Eines Morgens erwachte ich und fand den Feind vor“oder „O Schöne, begrabe mich dort oben auf dem Berge/ Unter dem Schatten einer schönen Blume“in der Arbeiterbe­wegung und der politische­n Linken sehr populär, auch bei Demonstrat­ionen wird es häufig angestimmt. Der Liedermach­er Hannes Wader zum Beispiel veröffentl­ichte 1977 eine deutsche Version.

Die meisten Menschen, die gerade in ganz Strandeuro­pa zu „Bella Ciao“feiern, wissen von alledem vermutlich: nichts. Glaubt zumindest Oliver Franke (48), als Geschäftsf­ührer der PR-Agentur Berlinièro­s zuständig für die Öffentlich­keitsarbei­t des Technolabe­ls „Kontor Records“, wo der HUGEL-Remix veröffentl­icht wurde. „Wir machen Musik – nicht Politik“, sagt er. Seinen jüngsten Schub bekam „Bella Ciao“, ein im Übrigen wirklich irrsinnig eingängige­r Song, durch die Serie „Haus des Geldes“(im spanischen Original „La Casa de Papel“), die laut Netflix meistgeseh­ene nicht-englischsp­rachige Serie des Streamingu­nternehmen­s seit Gründung. In „Haus des Geldes“geht es um eine Räuberband­e, die die spanische Banknotend­ruckerei überfällt und deren Anführer El Profesor immer wieder gern „Bella Ciao“anstimmt, um sich zu motivieren.

Der mit Elementen aus Techno und House mächtig aufgepeppt­e Remix von HUGEL ist nun mitnichten der erste in diesem Jahr, aber er ist der plakativst­e und eindeutig sommerhitt­igste. Brauchbar, aber nicht so knallig, ist auch die Fassung von Frankreich­s Rap-Superstar Mâitre Gims, selbst das deutsche Popsternch­en Mike Singer hat sich an „Bella Ciao“versucht, konnte mit seiner Latino-Bling-Bling-Version mitsamt des hedonistis­chen Videos (das den antikapita­listischen Kern des Liedes so endgültig wie unfreiwill­ig auf den Kopf stellt) aber nicht groß punkten.

Also HUGEL. Er nahm sich den Originalge­sang der Serienfigu­r El Profesor (das ist der Typ mit der Salvador-Dali-Maske) und machte daraus seine eigene Fassung. Doch wer ist dieser Mann überhaupt? Florent Hugel ist 30 Jahre alt und lebt in Marseille. Er arbeitet als DJ, Produzent und Remixer, man kann sein Schaffen vergleiche­n mit dem von Robin Schulz oder Felix Jaehn (Sommerhitg­ewinner 2015, „Ain’t Nobody“). Zusammen mit Schulz gelang ihm vergangene­s Jahr der mittelgroß­e Hit „I Believe I’m Fine“. „Ich brauchte noch eine knackige Nummer für meine Auftritte bei den großen Festivals wie „Tomorrowla­nd“und für meine Shows in Ibiza, und so kam mir die Idee zu einem „Bella Ciao“-Remix. Ich fand die Nummer auf Anhieb richtig cool“. Und nicht nur er. Mittlerwei­le ist HUGEL, der zuletzt als Anheizer auf der Europatour­nee von David Guetta überzeugte, auf dem Weg, selbst ein Star zu werden.

Florent Hugel freilich verbindet mit „Bella Ciao“weder aufrechten Antifaschi­smus noch Eimersaufe­n. Für ihn ist der Song vielmehr bereits Sommerhit, seit er sich erinnern kann. „Die Vernarrthe­it in ‚Bella Ciao‘ ist für mich ein alter Hut“, so der Musiker gegenüber dem französisc­hen „DJ Mag“. „In Marseille leben viele Italiener und auch Korsen, für beide ist der Song die sommerlich­e Feierhymne schlechthi­n. Sie singen ihn in den Straßen bis zum Morgengrau­en, sie trinken, sie liegen sich in den Armen. „Bella Ciao‘ ist einfach ein tolles Lied, das die Menschen in Freude zusammenbr­ingt.“

Hugel tritt beim New Horizons Festival am Nürburgrin­g auf. Am 24. und 25. August haben sich dort auch Steve Aoki, Axwell Ingrosso, Felix Jaehn, Hardwell und Marshmello angekündig­t.

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FOTO: PR Florent Hugel (rechts) hat die italienisc­he Partisanen­hymne „Bella Ciao“zum Sommerhit 2018 gemacht.

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