Wie eine Partisanenhymne zum Sommerhit wurde
Ein Remix von „Bella Ciao“rollt die Charts auf – mit Rückenwind einer Netflix-Serie
BADEN-BADEN - Der Sommerhit des Jahres ist eine alte italienische Partisanenhymne. Der Erfolg von „Bella Ciao“in der Version von El Profesor (HUGEL Remix) hat viele Gründe – und eine politische Dimension.
Es gibt im Netz dieses wenige Wochen alte, verwackelte Handyvideo, 22 Sekunden kurz nur, doch das reicht, um „Bella Ciao“zu lieben. Im Bus zum Flieger auf dem Flughafen in Rom steht ein erkennbar bedröppelt schauender Matteo Salvini, Italiens Innenminister von der Partei Lega Nord mit rechtspopulistischen bis nationalistischen Ansichten, während um ihn herum die Mitpassagiere aus teils kräftigen Kehlen „Bella Ciao“singen. Das Lied mag aktuell zwar eher als Party- denn als Polithymne gelten, aber zumindest in Italien ist die politische Wucht des Klassikers ungebrochen.
„Bella Ciao“, in der aktuellen Hitliste auf Rang zwei, ist in Deutschland der Sommerhit 2018. Das hat GfK Entertainment, zuständig für die Ermittlung der „Offiziellen Deutschen Charts“im Auftrag des Bundesverbandes Musikindustrie, jüngst verkündet. Der Song, so die Begründung, habe alles, was ein Sommerhit brauche: Die Melodie sei eingängig, er verbreite Urlaubsstimmung und er werde in den Clubs rauf und runter gespielt. Noch dazu komme er, ähnlich wie die Vorgänger „Despacito“von Luis Fonsi und „Don’t Be So Shy“von Imany, von einem relativ unbekannten Künstler.
Version von Hannes Wader
Das Novum: Wir tanzen und trinken in diesem Sommer zu einem aufrührerischen Kampflied des antifaschistischen Widerstands, das ist doch mal was. Die Melodie von „Bella Ciao“wurde zum ersten Mal Anfang des 20. Jahrhunderts von Reispflückerinnen in der Nähe von Bologna gesungen, als Protestlied gegen die harten Arbeitsbedingungen, die miese Bezahlung und den ausbeuterischen Chef. Wirklich bekannt wurde das Lied, dessen Textautor unbekannt ist, im Zweiten Weltkrieg, als es sich die italienische Widerstandsbewegung gegen den Faschismus von Hitler und Mussolini zu eigen machte. Bis heute ist „Bella Ciao“mit seinen Zeilen wie „Eines Morgens erwachte ich und fand den Feind vor“oder „O Schöne, begrabe mich dort oben auf dem Berge/ Unter dem Schatten einer schönen Blume“in der Arbeiterbewegung und der politischen Linken sehr populär, auch bei Demonstrationen wird es häufig angestimmt. Der Liedermacher Hannes Wader zum Beispiel veröffentlichte 1977 eine deutsche Version.
Die meisten Menschen, die gerade in ganz Strandeuropa zu „Bella Ciao“feiern, wissen von alledem vermutlich: nichts. Glaubt zumindest Oliver Franke (48), als Geschäftsführer der PR-Agentur Berlinièros zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Technolabels „Kontor Records“, wo der HUGEL-Remix veröffentlicht wurde. „Wir machen Musik – nicht Politik“, sagt er. Seinen jüngsten Schub bekam „Bella Ciao“, ein im Übrigen wirklich irrsinnig eingängiger Song, durch die Serie „Haus des Geldes“(im spanischen Original „La Casa de Papel“), die laut Netflix meistgesehene nicht-englischsprachige Serie des Streamingunternehmens seit Gründung. In „Haus des Geldes“geht es um eine Räuberbande, die die spanische Banknotendruckerei überfällt und deren Anführer El Profesor immer wieder gern „Bella Ciao“anstimmt, um sich zu motivieren.
Der mit Elementen aus Techno und House mächtig aufgepeppte Remix von HUGEL ist nun mitnichten der erste in diesem Jahr, aber er ist der plakativste und eindeutig sommerhittigste. Brauchbar, aber nicht so knallig, ist auch die Fassung von Frankreichs Rap-Superstar Mâitre Gims, selbst das deutsche Popsternchen Mike Singer hat sich an „Bella Ciao“versucht, konnte mit seiner Latino-Bling-Bling-Version mitsamt des hedonistischen Videos (das den antikapitalistischen Kern des Liedes so endgültig wie unfreiwillig auf den Kopf stellt) aber nicht groß punkten.
Also HUGEL. Er nahm sich den Originalgesang der Serienfigur El Profesor (das ist der Typ mit der Salvador-Dali-Maske) und machte daraus seine eigene Fassung. Doch wer ist dieser Mann überhaupt? Florent Hugel ist 30 Jahre alt und lebt in Marseille. Er arbeitet als DJ, Produzent und Remixer, man kann sein Schaffen vergleichen mit dem von Robin Schulz oder Felix Jaehn (Sommerhitgewinner 2015, „Ain’t Nobody“). Zusammen mit Schulz gelang ihm vergangenes Jahr der mittelgroße Hit „I Believe I’m Fine“. „Ich brauchte noch eine knackige Nummer für meine Auftritte bei den großen Festivals wie „Tomorrowland“und für meine Shows in Ibiza, und so kam mir die Idee zu einem „Bella Ciao“-Remix. Ich fand die Nummer auf Anhieb richtig cool“. Und nicht nur er. Mittlerweile ist HUGEL, der zuletzt als Anheizer auf der Europatournee von David Guetta überzeugte, auf dem Weg, selbst ein Star zu werden.
Florent Hugel freilich verbindet mit „Bella Ciao“weder aufrechten Antifaschismus noch Eimersaufen. Für ihn ist der Song vielmehr bereits Sommerhit, seit er sich erinnern kann. „Die Vernarrtheit in ‚Bella Ciao‘ ist für mich ein alter Hut“, so der Musiker gegenüber dem französischen „DJ Mag“. „In Marseille leben viele Italiener und auch Korsen, für beide ist der Song die sommerliche Feierhymne schlechthin. Sie singen ihn in den Straßen bis zum Morgengrauen, sie trinken, sie liegen sich in den Armen. „Bella Ciao‘ ist einfach ein tolles Lied, das die Menschen in Freude zusammenbringt.“
Hugel tritt beim New Horizons Festival am Nürburgring auf. Am 24. und 25. August haben sich dort auch Steve Aoki, Axwell Ingrosso, Felix Jaehn, Hardwell und Marshmello angekündigt.