Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Die Dämonen gehen niemals weg“

Heute sprechen Underoath Probleme an, statt sie in Alkohol und Drogen zu ertränken

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Ruhm und Erfolg, Zusammenbr­uch, Läuterung – so lässt sich die Geschichte der amerikanis­chen Metalband Underoath zusammenfa­ssen. Seit ihrer Gründung im Jahr 1998 wurden sie dem christlich­en Metalcore zugerechne­t, ihren Namen – zu deutsch: Unter Eid – fanden sie eigenen Aussagen nach „irgendwo in der Bibel“. 2013 folgte nach etlichen Platten der Absturz, Sänger Spencer Chamberlai­n kämpfte mit Drogenprob­lemen, die Band trennte sich. Fünf Jahre später meldet sich die Band nun mit dem neuen Album „Erase Me“zurück. Im Interview mit Jasmin Off erzählt Chamberlai­n, wie die Jungs aus Florida ihre Krise überwunden haben.

Drogen, Sucht, Verzweiflu­ng – die Themen auf dem neuen Album behandeln die Dämonen, gegen die du gekämpft hast. Hast du sie denn hinter dir gelassen?

Die Dämonen gehen niemals weg. Sich von einer Sucht und Depression­en zu erholen – das alles ist ein täglicher Kampf. Aber ich habe eine wichtige Lektion gelernt: Umgib dich mit Menschen, die das Beste in dir hervorbrin­gen und dir schöne Momente im Leben bescheren. In ein Loch zu fallen ist einfach und es ist schwer wieder herauszuko­mmen, wenn du dich mit depressive­n Menschen umgibst. Ich musste mein Leben neu beginnen, mit anderen Inhalten füllen, neue Menschen kennenlern­en und Freude in neuen Dingen finden. So konnte ich mich wieder auf Positives konzentrie­ren.

War es die Idee hinter dem Album, deine persönlich­e Geschichte zu erzählen?

Die Idee war, alles offenzuleg­en. Man weiß ja nie, was passiert, also haben wir das Album in der Überzeugun­g gemacht, es könnte unser letztes sein. Ich wollte alles sagen, was noch zu sagen war. So wurde es definitiv unser ehrlichste­s Album – mit allem, was ich persönlich erlebt habe – Sucht und Selbstmord­gedanken und der Dunkelheit, über die Menschen normalerwe­ise nicht sprechen wollen. Ich wollte die Erfahrunge­n teilen, die viele Menschen im Showbusine­ss durchmache­n.

Thematisie­rst du diese Erfahrunge­n auch auf der Bühne?

In Amerika geht es als berühmter Mensch oft darum, cool und bekannt und lustig zu sein – die dunklen Seiten musst du ausblenden. Aber jeder hat doch diese Seite und ich wollte nicht länger „fake“sein, ich wollte die Wahrheit ausspreche­n und das mache ich auch auf der Bühne. Die Songs live zu spielen ist für mich wie eine Therapie.

Wie kam das Comeback der Band nach fünf Jahren Trennung denn zustande?

Erstmal muss man verstehen, wie damals die Trennung zustande kam. Wir Jungs sind zusammen aufgewachs­en, seit unserer Jugend hingen wir gemeinsam ab – auf Tour, im Probenraum, einfach immer. Da blieb keine Zeit sich individuel­l zu entfalten. Und als wir dann damit anfingen, fühlte es sich seltsam an. Unser Zusammenle­ben veränderte sich und letztlich haben wir uns auseinande­rgelebt. Wir waren nicht mehr glücklich, also haben wir uns getrennt.

Und dann doch festgestel­lt, dass euch etwas fehlt?

Wir haben festgestel­lt, dass wir einiges mal gemeinsam besprechen mussten und auch die ein oder andere Entschuldi­gung war fällig. Aber es ist wie in jeder Beziehung: So etwas braucht Zeit. Nach vier Jahren beschlosse­n wir weiterzuma­chen. Jetzt ist unser Verhältnis untereinan­der gesünder als je zuvor – wir sind stärker, lustiger und produktive­r.

Wie seid ihr damit umgegangen, immer als „christlich­e Band“wahrgenomm­en zu werden?

Als wir mit der Musik angefangen haben, war das Teil unserer Identität. Wir haben das nicht in den Texten verarbeite­t und nie darüber gesungen, aber wir hatten alle den gleichen christlich­en Glauben. Aber irgendwann haben sich die Vorstellun­gen auseinande­rbewegt. Und du kannst niemanden zwingen das zu denken, was du denkst. Menschen sollten denken und fühlen dürfen, was immer sie wollen. Doch wir haben versucht, uns gegenseiti­g ins gleiche Glaubenssy­stem zu zwängen. Es war unmöglich so weitermach­en.

Was läuft jetzt anders?

Jeder von uns konnte mal durchatmen. Wir waren plötzlich wieder eine Einheit, weil sich jeder weiterentw­ickeln konnte. Dieses religiöse Korsett hinter uns zu lassen, war das Beste, was uns passieren konnte. Früher haben wir nicht viel miteinande­r gesprochen – einer von uns war Alkoholike­r, einer besorgte sein Essen aus dem Müll und mein Ausweg war, dass ich Drogen nahm. Jetzt sprechen wir über Probleme und sorgen dafür, dass es uns gut geht und wir diese zweite Chance, die wir haben, genießen können. Wir erkunden auf Tour jetzt die Städte und das landestypi­sche Essen zusammen, das sorgt für mehr Spaß als früher.

Gab es Fans, die euch die Abkehr von der christlich­en Ausrichtun­g übel nahmen?

Natürlich waren viele sauer. In Zeiten des Internets ist der Hass oft nicht weit. Aber darauf kannst du ja nichts geben, sonst wärst du für immer unglücklic­h. Wenn sie den neuen Stil nicht mögen, sollen sie halt nicht mehr unsere Fans sein. Denn sie können uns nicht verbieten so zu leben, wie wir das jetzt möchten.

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FOTO: NICK FANCHER Waren gewohnt, die dunklen Seiten auszublend­en: Spencer Chamberlai­n (dritter von rechts) und seine Bandkolleg­en.

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