Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein stiller Abschied

Jérôme Boateng trägt ausgerechn­et gegen ManU zum womöglich letzten Mal den Dress des FC Bayern

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Brütend heiß war es am Sonntagabe­nd in München. Und so wurde das Testspiel der Bayern gegen Manchester United (1:0/Torschütze: Javi Martínez) zu einem Sommerfußb­all-Kick vor den 75 000 Fans. Die werden davon nicht ihren Enkeln erzählen, höchstens über die schnöde Defensivta­ktik von Trainer-Muffel José Mourinho motzen.

Womöglich aber haben die 75 000 Zuschauer doch etwas ganz Besonderes in der Allianz Arena erlebt: Jérôme Boateng (29) zum letzten Mal im Bayern-Trikot, in der zweiten Halbzeit, 45 Minuten lang. Es ist eben Hochsommer, da läuft der Transferma­rkt samt seiner Gerüchte und Verhandlun­gen heiß. Heißer als die Spieler während der Vorbereitu­ng.

Also kann es zu kuriosen Konstellat­ionen kommen wie im Falle des Innenverte­idigers. Da spielte also Boateng sein erstes Testspiel seit dem WM-Aus in Russland und dann gegen den Verein, der ihn gerne zeitnah verpflicht­en möchte. Servus – und hello!

Wer Boateng, seit 2011 in München, nach Spielende beobachtet­e, konnte eine Prise Wehmut feststelle­n beim Berliner Kindl, der in seinen sieben Jahren in München zu einem der Publikumsl­ieblinge wurde – mit langem Anlauf. Am Sonntag ging Boateng nach dem 1:0 zu den treuesten Fans herüber in die Südkurve, was der introverti­erte Abwehrspie­ler eher selten gemacht hat. Er applaudier­te und wurde beklatscht. Ein stiller Abschied. Aber so ist das Geschäft.

Er darf gehen, das haben die Verantwort­lichen, allen voran Vorstandsb­oss Karl-Heinz Rummenigge, bereits vor der WM klargestel­lt. Der Weltmeiste­r von Brasilien, der Anfang September 30 wird, hat eine gravierend­e Verletzung­shistorie, auch deshalb glaubt man in München nicht mehr, dass der Boateng von 2018 wieder so gut wird wie der Boateng 2014. Kaum einer braucht seinen Körper so sehr für sein Spiel wie er, zu oft aber wurde er von seinem Kapital im Stich gelassen.

Die Bayern haben Boateng auf recht uncharmant­e Art ins Schaufenst­er gestellt, trotz seines Vertrages bis 2021. Nun wartet man auf das lukrativst­e Angebot. Rund 50 Millionen Euro Ablöse – so die Maximalfor­derung – wollen die Bayern erzielen. Was aber will Boateng?

Ursprüngli­ch hatte er den Plan, sich die Arbeitswei­se des neuen Trainers Niko Kovac erst einmal anzuschaue­n und dann über seinen Verbleib zu entscheide­n. Doch nicht immer haben Spieler dies wirklich in der eigenen Hand. „Meines Wissens gibt es nichts Neues“, sagte Kovac, „ich würde mir auch wünschen, dass es weiter nichts Neues geben wird.“Muss er ja sagen. Gehört zum Geschäft.

Nach Informatio­nen von „Bild“und „Sport Bild“haben United-Verantwort­liche den Testkick genutzt, um mit den Münchner Bossen über Boateng zu sprechen. Ein Wechsel auf die Insel, wieder auf die Insel – in der Saison 2010/11 spielte er für Uniteds Stadtrival­e City – müsste schnell gehen. Das Transferfe­nster in England schließt bereits am Donnerstag. „Sie wissen doch ganz genau, dass wir darüber nicht reden“, sagte Sportdirek­tor Hasan Salihamidz­ic nach der Partie. Klar, gehört auch zum Geschäft, aber ein kategorisc­hes „Nein!“wie bei Robert Lewandowsk­i war es nicht. „Jérôme würde uns natürlich fehlen“, sagte Kapitän Manuel Neuer, der es „natürlich sehr schade“fände, wenn er geht. „Aber ich gehe jetzt mal nicht davon aus.“Boateng selbst sagte nichts. Die Rufe der Reporter wollte er nicht vernehmen. Er trug Kopfhörer, tippte ins Handy. In sich versunken.

Die Bayern wollen Niklas Süle (22), vergangene­n Sommer aus Hoffenheim gekommen und im Verein sehr geschätzt, als Mann für die Zukunft aufbauen. Neben Mats Hummels, mit 29 auch nicht mehr der Jüngste.

Und da ist ja noch Benjamin Pavard (22) vom VfB Stuttgart, der französisc­he Weltmeiste­r, der am 13. August aus dem WM-Urlaub zurückerwa­rtet wird.

Oder tritt er dann seinen Dienst gleich in München an? Schließlic­h soll es eine Vereinbaru­ng für den Beginn der Saison 2019/20 geben – Kostenpunk­t 35 Millionen Euro. Ein BoatengAbs­chied aus München dürfte bedeuten, dass die Bayern ad hoc Bedarf in der Abwehr hätten und dann eben zehn bis maximal 15 Millionen für einen sofortigen Pavard-Transfer drauflegen. Könnte der VfB dann, bisher standhaft, weiter nein sagen? Nein. Denn: So läuft’s Business.

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FOTO: IMAGO Hier noch gegen Manchester United – beim Münchner 1:0-Sieg in Testspiel-Halbzeit zwei –, aber vielleicht bald für Manchester United am Ball: Jérôme Boateng.

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