Ein stiller Abschied
Jérôme Boateng trägt ausgerechnet gegen ManU zum womöglich letzten Mal den Dress des FC Bayern
MÜNCHEN - Brütend heiß war es am Sonntagabend in München. Und so wurde das Testspiel der Bayern gegen Manchester United (1:0/Torschütze: Javi Martínez) zu einem Sommerfußball-Kick vor den 75 000 Fans. Die werden davon nicht ihren Enkeln erzählen, höchstens über die schnöde Defensivtaktik von Trainer-Muffel José Mourinho motzen.
Womöglich aber haben die 75 000 Zuschauer doch etwas ganz Besonderes in der Allianz Arena erlebt: Jérôme Boateng (29) zum letzten Mal im Bayern-Trikot, in der zweiten Halbzeit, 45 Minuten lang. Es ist eben Hochsommer, da läuft der Transfermarkt samt seiner Gerüchte und Verhandlungen heiß. Heißer als die Spieler während der Vorbereitung.
Also kann es zu kuriosen Konstellationen kommen wie im Falle des Innenverteidigers. Da spielte also Boateng sein erstes Testspiel seit dem WM-Aus in Russland und dann gegen den Verein, der ihn gerne zeitnah verpflichten möchte. Servus – und hello!
Wer Boateng, seit 2011 in München, nach Spielende beobachtete, konnte eine Prise Wehmut feststellen beim Berliner Kindl, der in seinen sieben Jahren in München zu einem der Publikumslieblinge wurde – mit langem Anlauf. Am Sonntag ging Boateng nach dem 1:0 zu den treuesten Fans herüber in die Südkurve, was der introvertierte Abwehrspieler eher selten gemacht hat. Er applaudierte und wurde beklatscht. Ein stiller Abschied. Aber so ist das Geschäft.
Er darf gehen, das haben die Verantwortlichen, allen voran Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge, bereits vor der WM klargestellt. Der Weltmeister von Brasilien, der Anfang September 30 wird, hat eine gravierende Verletzungshistorie, auch deshalb glaubt man in München nicht mehr, dass der Boateng von 2018 wieder so gut wird wie der Boateng 2014. Kaum einer braucht seinen Körper so sehr für sein Spiel wie er, zu oft aber wurde er von seinem Kapital im Stich gelassen.
Die Bayern haben Boateng auf recht uncharmante Art ins Schaufenster gestellt, trotz seines Vertrages bis 2021. Nun wartet man auf das lukrativste Angebot. Rund 50 Millionen Euro Ablöse – so die Maximalforderung – wollen die Bayern erzielen. Was aber will Boateng?
Ursprünglich hatte er den Plan, sich die Arbeitsweise des neuen Trainers Niko Kovac erst einmal anzuschauen und dann über seinen Verbleib zu entscheiden. Doch nicht immer haben Spieler dies wirklich in der eigenen Hand. „Meines Wissens gibt es nichts Neues“, sagte Kovac, „ich würde mir auch wünschen, dass es weiter nichts Neues geben wird.“Muss er ja sagen. Gehört zum Geschäft.
Nach Informationen von „Bild“und „Sport Bild“haben United-Verantwortliche den Testkick genutzt, um mit den Münchner Bossen über Boateng zu sprechen. Ein Wechsel auf die Insel, wieder auf die Insel – in der Saison 2010/11 spielte er für Uniteds Stadtrivale City – müsste schnell gehen. Das Transferfenster in England schließt bereits am Donnerstag. „Sie wissen doch ganz genau, dass wir darüber nicht reden“, sagte Sportdirektor Hasan Salihamidzic nach der Partie. Klar, gehört auch zum Geschäft, aber ein kategorisches „Nein!“wie bei Robert Lewandowski war es nicht. „Jérôme würde uns natürlich fehlen“, sagte Kapitän Manuel Neuer, der es „natürlich sehr schade“fände, wenn er geht. „Aber ich gehe jetzt mal nicht davon aus.“Boateng selbst sagte nichts. Die Rufe der Reporter wollte er nicht vernehmen. Er trug Kopfhörer, tippte ins Handy. In sich versunken.
Die Bayern wollen Niklas Süle (22), vergangenen Sommer aus Hoffenheim gekommen und im Verein sehr geschätzt, als Mann für die Zukunft aufbauen. Neben Mats Hummels, mit 29 auch nicht mehr der Jüngste.
Und da ist ja noch Benjamin Pavard (22) vom VfB Stuttgart, der französische Weltmeister, der am 13. August aus dem WM-Urlaub zurückerwartet wird.
Oder tritt er dann seinen Dienst gleich in München an? Schließlich soll es eine Vereinbarung für den Beginn der Saison 2019/20 geben – Kostenpunkt 35 Millionen Euro. Ein BoatengAbschied aus München dürfte bedeuten, dass die Bayern ad hoc Bedarf in der Abwehr hätten und dann eben zehn bis maximal 15 Millionen für einen sofortigen Pavard-Transfer drauflegen. Könnte der VfB dann, bisher standhaft, weiter nein sagen? Nein. Denn: So läuft’s Business.