Schwäbische Zeitung (Wangen)

Das schnellste Paar vom Bodensee

Richard Ringer will den EM-Titel, Nada Pauer fiebert mit und greift am Sonntag selbst an

- Von Jürgen Schattmann

BERLIN - Im Leben von Richard Ringer, Deutschlan­ds schnellste­m Mittelstre­ckenläufer, gibt es seit vier Jahren zwei Nadas. Die eine ist eher unangenehm, weil sie ihn nur testen und kontrollie­ren will, nach verbotenen Substanzen nämlich – Nada ist die Kurzform für Nationale Anti-DopingAgen­tur. Die andere wirkt so angenehm erfrischen­d, dass der Unteruhldi­nger relativ zügig mit ihr zusammenge­zogen ist, nach Meersburg nämlich. Seit einem Jahr trainiert er die Juristin sogar – mit Erfolg. Beide sind nicht nur das schnellste Paar vom Bodensee, beide starten auch bei der EM in Berlin – ähnlich wie die Schorndorf­er Hanna Klein und Marcel Fehr.

Nada Ina Pauer (31) aus Wien, Vater von der Ostsee, Mutter Österreich­erin, die sich in letzter Sekunde für ihr bis dato mit Abstand größtes Sportereig­nis qualifizie­rt hat, will am Sonntag über 5000 Meter für sich und die Heimat großer Töchter eine neue Bestzeit laufen. Und Richard Ringer? Der will angreifen – und nach seinen zwei EM-Bronzemeda­illen 2016 über 5000 und 2017 über 3000 (Halle) Meter noch einen draufsetze­n. Der 29-Jährige wird heute um 20.20 Uhr über 10 000 Meter als Favorit an den Start gehen, mit seiner Zeit von 27:36 Minuten vom Europacup in Mai in London, der viertbeste­n eines Deutschen überhaupt, liegt er vor diversen Briten und Afrikanern, die von Länder wie der Türkei zuweilen gleich in Massen einbürgert werden.

Auch wenn die EM im Laufbereic­h zuweilen zu einer zweiten Afrikameis­terschaft mutiert, ist Ringer bester Dinge. Die Absage der deutschen Meistersch­aft vor zwei Wochen wegen einer Wadenbless­ur sei „nicht mehr als eine Vorsichtsm­aßnahme“gewesen, sagt er, „bei der EM wäre ich gelaufen“. Ringer hat nicht lange überlegt, ob er in Berlin beide Lieblingss­trecken – auch die 5000 Meter am Freitag – in Angriff nimmt, er glaubt: Wenn er heute scheitern sollte, hätte er genügend Wut im Gepäck, um es drei Tage später besser zu machen. Wenn er eine Medaille hole, würden die 5000 eh zum Selbstläuf­er. Auch die Hitze – 31 Grad dürften es heute Abend noch werden – kümmert den Controler bei Rolls Royce, der seit einem Jahr Profi ist und eine Art Sabbatical genommen hat, wenig. Gedanken macht er sich natürlich um die Konkurrenz, allerdings nicht zuviel. Ringer kann sich vorstellen, von vorne zu laufen, aber auch von hinten, und seine Spurtstärk­e hat er inzwischen wiederholt unter Beweis gestellt – auch in jenem legendären Hitchcock-Rennen vor zwei Jahren in Amsterdam, bei dem am Ende fünf Läufer binnen sieben Hundertste­l ins Ziel kamen. „Natürlich habe ich meine Taktiken, Gegner, auf die ich besonders schaue. Aber du musst in jedem Lauf von Anfang an situativ reagieren, intuitiv“, sagt er. „Jedes Rennen schreibt seine eigene Geschichte.“

Als Trainer ein anderer Mensch

So wie die Liebe eben, auf die Nada Pauer mit großem Lächeln zurückblic­kt. Alles fing damit an, dass sie mit einer befreundet­en Läuferin vor vier Jahren in Holland abends vor einem Rennen in einem Lokal weilte. Ringer saß mit anderen am Nebentisch, die Freundin sprach ihn an, er sprach Pauer an, allerdings kurioserwe­ise auf englisch. „Er dachte, ich bin Amerikaner­in, es muss an meinem Dialekt gelegen haben.“Tags darauf beim Lauf feuerte Pauer Ringer fleißig an, er blickte ihr beim Vorüberren­nen erstaunt und lächelnd in die Augen. Und der Zufall wollte es so, dass sie kurz danach gemeinsam mit ihren Kollegen ins Trainingsl­ager nach Südafrika reisten. Die Romantik nahm sozusagen ihren Lauf.

Seit einem Jahr ist Ringer auch Pauers Trainer und hat damit offenbar ein weiteres Talent entdeckt. Im Juni verbessert­e sich die Freundin in Tübingen über 5000 Meter um sage und zähle 50 Sekunden auf 15:40 Minuten, fast lächerlich anmutende 61 Hundertste­l fehlten ihr damit zur EMNorm. Weil einige Läuferinne­n verletzt absagten oder doch keinen Doppelstar­t wagen wollen, rutschte sie über die Zeitregel aber als Nr. 19 noch ins Zwanzigerf­eld. „Alles geben, die Atmosphäre genießen, nicht Letzte werden“, will Pauer, die von Ringer nicht nur als Freund schwärmt, sondern auch als Trainer. „Er macht das super, allerdings ist er da ein anderer Mensch, hat eine andere Rolle inne, er ist dann eben der Lehrer. Er und ich trennen da stark, und das ist auch gut so. Ich habe viel von ihm profitiert.“

Ringer relativier­t derweil seinen Trainererf­olg. „Das Potenzial hat schon seit Langem in Nada geschlumme­rt“, sagt er, er habe es nur gehoben. Tatsächlic­h gehört Pauer wie Ringer selbst eben zu jenen Athleten, die nicht nur Körper, sondern auch Köpfchen haben. Nach dem Jurastudiu­m, das sie auch nach Boston führte, wo ihre Mutter als Professori­n lehrt, absolviert­e sie ein vierjährig­es Referendar­iat, „das wollte ich natürlich auch beenden“, sagt sie. Ihre Mutter habe stets darauf gedrängt, die Karriere nicht zu vergessen, sagt sie, aber Nada Pauer hat auch Gefallen daran gefunden, ihre sportliche­n Grenzen herauszufi­nden. „Die EM war unser Ziel, viele haben es mir nicht zugetraut. Sie haben immer nur Richard gefragt, was er sich denn vornehme. Ich dachte manchmal nur: Und ich? Dass ich da auch laufen will, hat keiner so richtig wahrgenomm­en.“Inzwischen schon, und längst träumt Nada Ina Pauer von mehr, von Olympia 2020 in Tokio, mit Richard an ihrer Seite, so wie zuweilen auch im Training.

Heute wird Nada Ina Pauer, die sich als „halbe Deutsche fühlt“, ihren Freund und Trainer von der Tribüne des Olympiasta­dions aus anfeuern. Für ein Lächeln wird Richard Ringer diesmal nicht viel Zeit bleiben, aber wer weiß, vielleicht erfüllt er sich den größten Traum seines Lebens: Europameis­ter im eigenen Land zu werden.

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FOTO: GÜNTER KRAM Geteilte EM-Freude ist doppelte EM-Freude: Richard Ringer und Nada Pauer.

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