125 Jahre evangelische Stadtkirche: ein historischer Abriss
Der Bau der evangelischen Stadtkirche hat vor allem mit der wachsenden Zahl in der Stadt lebender Protestanten zu tun. Wie der Stadtchronik von Stadtarchivar Rainer Jensch zu entnehmen ist, lebten bis 1802 in der katholischen Reichsstadt keine Bürger mit evangelischem Bekenntnis. Das änderte sich sukzessive, nachdem Wangen 1810 Württemberg angegliedert wurde und verstärkte sich durch die Industrialisierung. 1838 wurde laut Pfarrer Martin Sauer die evangelische Gemeinde konstituiert – mit damals 204 Gemeindemitgliedern. Anlaufpunkte für die Protestanten waren zunächst Provisiorien. So wurden erste Gottesdienste in der katholischen Kirche St. Martin gefeiert, dann auch im Rathaus. Ab 1849 gab es ein Betsaal im Obergeschoss des Wohnhauses von Stadtbaumeister Spieler vor dem Leutkircher Tor. 1851 kaufte man einen Teil des ehemaligen Kapuzinerkloster vor dem Lindauer Tor. Der Betsaal dort bot 100 Menschen Platz. Auch gab es einen Schulsaal und eine Pfarrwohnung. Mit der steigenden Zahl der Protestanten wuchs der Bedarf nach einer Kirche. Zunächst an der Lindauer Straße geplant ( ein Bauplatz war schon vorhanden), bekam die Gemeinde von der Bahn das Grundstück auf dem heutigen Kirchberg. Das ab 1890 im neugotischen Stil nach Plänen des Stuttgarter ( Kirchen-) Architekten Theophil Frey entstandene Gotteshaus wurde am 19. Oktober 1893 im Beisein des Württembergischen Königs eingeweiht. Damals gab es in Wangen bereits 515 evangelische Christen. Die Kirche bot rund 400 Menschen Platz.
Heute gibt es laut Sauer rund 4600 Gemeindeglieder, und die Kirche hat in den vergangenen 125 Jahren mehrere Renovierungen erlebt: Bereits 20 Jahre nach Fertigstellung die erste und 1913 die zweite. Damals kam der bis heute vorhandene Putz an das Klinikergebäude, auch der Chorbogen wurde auf das heutige Ausmaß erweitert. Zudem entstand der heute bekannte Eingang als Anbau. 1969/70 ließ die Gemeinde das Schieferdach erneuern, innen wurde ein Teppichboden verlegt. Außerdem verschwanden die von Rudolf Schäfer geschaffenen Seitenbilder. Während Sauer Letzteres bedauert, lobt er, dass die damals neu angeschaffte
Orgel in das Originalprospekt eingebaut wurde.
Vor den Feiern zum 100- jährigen Kirchenbestehen gab es 1992/ 93 einer weitere Renovierung. Damals wurde das Dach repariert und die Fassade neu gestrichen. Auch das Kreuz auf dem Turm wurde frisch vergoldet. 2011 standen die bislang letzten Arbeiten an, bei denen unter anderem der Teppichboden wieder raus kam und das verbliebene Schäfer- Bild restauriert wurde. Und da eine Kirche in diesem Sinne nie fertig ist, weiß Martin Sauer beim Blick auf die Außenfassade um die auf Sicht erneute Notwendigkeit einer Renovierung. Vorrang habe zunächst aber die evangelische Kirche in Amtzell – und da vor allem das Dach. ( jps)