Schwäbische Zeitung (Wangen)

Weniger Ausreisen als Abschiebun­gen

Kreise Ravensburg, Biberach und Ostalb betroffen – Land kann Mangel nicht ausgleiche­n

- Von Kara Ballarin

STUTTGART (kab) - Im ersten Halbjahr 2018 sind nach aktuellen Zahlen des Innenminis­teriums 1351 Menschen freiwillig aus Baden-Württember­g ausgereist. Die Zahl der Abschiebun­gen lag mit 1616 deutlich höher. Die Trendumkeh­r erklärt das Ministeriu­m damit, dass Geflüchtet­e in Ausbildung geduldet werden. Etlichen Kommunen fehlt derweil für die Rückkehrbe­ratung Geld, das sie bislang von der EU bekamen.

STUTTGART - 1640 Geflüchtet­en hat die Rückkehrko­operation Württember­g in den vergangene­n drei Jahren dabei geholfen, in ihre Heimatländ­er zurückzuke­hren. Ein Großteil des Geldes für ihre Arbeit fehlt nun. Denn die EU-Mittel, die sie bislang vom Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf ) dafür bekommen hat, bleiben aus.

2015 haben sich die Landkreise Biberach, Ravensburg, Ostalb und die Städte Stuttgart und Schwäbisch Gmünd zur Rückkehrko­operation Württember­g zusammenge­schlossen. Jeder Partner hat Strukturen aufgebaut, um Menschen, die sich eine Rückkehr ins Herkunftsl­and vorstellen können, zu beraten. In Biberach etwa gab es dafür eine Vollzeitst­elle, erklärt Petra Alger, Sozialdeze­rnentin des Landkreise­s. „Das sind komplexe Themen“, sagt sie. „Es geht um das Wissen, welche Fördertöpf­e es für die Rückkehrhi­lfe gibt, um Netzwerke mit anderen Beratern und auch um die Unterstütz­ung von Sozialarbe­itern.“Und es geht darum, die Menschen auch beim Start nach der Rückkehr ins Heimatland zu unterstütz­en. Rund 250 Menschen sei seit 2015 dabei geholfen worden, zurückzuke­hren. Die Stelle hat jetzt nur noch einen Umfang von 30 Prozent.

Der Grund: Seit April fließt kein Geld mehr aus dem Asyl-, Migrations­und Integratio­nsfonds (Amif) der EU. Es gab viel mehr Bedarf als Fördergeld. Eine Sprecherin des Bamf, das den Fonds in Deutschlan­d verwaltet: „Aus der früher gewährten Projektför­derung eines Trägers lässt sich kein Anspruch auf Förderung von Folgeproje­kten ableiten.“14,6 Millionen Euro seien für die aktuelle Förderperi­ode zur Verfügung gestanden, davon 5,8 Millionen Euro für die Rückkehrbe­ratung. 29 Projekte hatten sich um Gelder für diesen Bereich bemüht, sieben davon aus Baden-Württember­g. Von diesen bekamen nur zwei einen Zuschlag.

Eine wirkliche Kompensati­on für das fehlende Geld gibt es nicht. Auch wenn das Innenminis­terium auf eine Anfrage der SPD-Landtagsfr­aktion erklärt, mehr Geld zur Verfügung stellen zu wollen. Amif fördert nämlich bis zu 75 Prozent, den Rest teilen sich Land und Kommune. Das Land fördert indes bis maximal 50 Prozent, wenn es kein Amif-Geld gibt. „Uns fehlen jetzt 35 Prozent“, so Hans-Peter Reuter, Koordinato­r der Rückkehrko­operation Württember­g. SPD-Innenexper­te Sascha Binder fordert: „Das Land müsste weit mehr Mittel investiere­n.“

Die Konsequenz ist, dass etwa wie in Biberach Stellen reduziert werden, oder womöglich die Beratungst­ätigkeit künftig eingestell­t wird. Darüber denkt etwa das Netzwerk Metropolre­gion Rhein-Neckar nach, das Caritas und Diakonie verantwort­en. „Dabei gibt es aktuell allein in Mannheim 15 Menschen, die unsere Hilfe für eine Heimkehr suchen“, erklärt Sigrid Kemptner von der Mannheimer Caritas. „Die können wir doch nicht im Regen stehen lassen.“

Abschiebun­gen teurer als Rückkehr

Es gibt auch andere Programme der Rückkehrhi­lfe, erläutert Projektkoo­rdinator Reuter. Unter anderem direkt in den Landeserst­aufnahmest­ellen. Allerdings: „Wir haben die Fachleute, die das gerne und gut machen. Wir kennen die Menschen und sind dezentral aufgestell­t.“Zudem seien Abschiebun­gen deutlich teurer – und weniger human – als freiwillig­e Rückkehr. „Der Schlüssel liegt bei der freiwillig­en Rückkehr“, sagt er.

Ein Beispiel: Ein irakisches Ehepaar war vor dem Krieg aus der Heimat Bagdad nach Deutschlan­d geflohen. „In Bagdad hatte der gelernte Automechan­iker jahrzehnte­lang eine eigene Werkstatt betrieben, die durch Bomben zerstört wurde“, erklärt Reuter. Trotz schneller Integratio­n wollte das Paar zurück in die Heimat. Neben der Beratung in Deutschlan­d half die Rückkehrko­operation dem Paar bei der Passbescha­ffung.

Zudem bekam der Mann aus Projektmit­teln 1000 Euro, um sich eine neue Autowerkst­att aufzubauen. Die Rückkehrhe­lfer haben stets Partner in den Ländern, die den Rückkehrer­n das Geld bedarfsger­echt vor Ort auszahlen. Rückmeldun­g aus dem Irak: Der Mann habe von den Fördermitt­eln inzwischen eine Werkstatt angemietet und Maschinen gekauft. „Bei solchen Hilfen waren wir bislang relativ frei“, sagt Reuter. Jetzt ist das Geld knapp.

Auch das Innenminis­terium betont, dass die freiwillig­e Ausreise für alle Beteiligte­n besser sei als eine Abschiebun­g. Sie sei weniger belastend. „Zudem ist sie im Regelfall die weitaus kostengüns­tigere Form der Aufenthalt­sbeendigun­g und ermöglicht den Betroffene­n eine selbstbest­immte Rückkehr ohne Gesichtsve­rlust im Heimatland“, erklärt ein Ministeriu­mssprecher. Außerdem richte sich die freiwillig­e Rückkehr auch an Ausländer, die eigentlich in Deutschlan­d bleiben dürften.

In den vergangene­n Jahren zählte Baden-Württember­g stets deutlich mehr freiwillig­e Ausreisen als Abschiebun­gen. Dieser Trend hat sich nach aktuellen Zahlen fürs erste Halbjahr 2018 umgekehrt. 1351 freiwillig­e Ausreisen stehen 1616 Abschiebun­gen gegenüber. Das Innenminis­terium erklärt sich dies mit gesetzlich­en Änderungen bei der Duldung von Geflüchtet­en, wenn sie eine Ausbildung finden. „Wer die Chance sieht, über diesen Weg in Deutschlan­d bleiben zu können, reist nicht freiwillig aus“, sagt der Ministeriu­mssprecher.

Hoffnung auf neue Förderrund­e

Die Rückkehrko­operation hat Widerspruc­h gegen den ablehnende­n Bescheid des Bamf eingelegt. „und wir werden uns in der nächsten Runde wieder bewerben“, sagt Reuter. Laut Bamf wird die Ausschreib­ung zeitnah sein. Bis dahin bleibt den Projektpar­tnern nur, ihr Engagement runterzusc­hrauben.

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FOTO: DPA Das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e bezuschuss­t weniger Programme für Rückkehrer.

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