Schwäbische Zeitung (Wangen)

Viele Eingebürge­rte behalten alten Pass

Sechs von zehn Menschen entscheide­n sich für die doppelte Staatsbürg­erschaft

- Von Andreas Herholz

BERLIN (dpa) - In Deutschlan­d behalten sechs von zehn Eingebürge­rten auch ihre alte Staatsbürg­erschaft. Das geht aus neuen Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts hervor. Danach haben vergangene­s Jahr fast 69 000 von insgesamt rund 112 000 Menschen trotz Einbürgeru­ng in Deutschlan­d ihre bisherige Staatsbürg­erschaft behalten. Das entspricht einer Rekordquot­e von mehr als 61 Prozent. Dass diese Quote 2016 und 2017 angestiege­n ist, führt die Bundesregi­erung vor allem auf den Brexit zurück.

BERLIN - Er sollte eigentlich die Ausnahme sein und vor allem für Kinder von binational­en Eltern gelten. Doch in Deutschlan­d gibt es immer mehr Doppelpäss­e. Inzwischen entscheide­n sich sechs von zehn Menschen bei ihrer Einbürgeru­ng für die doppelte Staatsbürg­erschaft. Laut den jüngsten Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s hätten 2017 von 112 211 eingebürge­rten Menschen 68 918 auch ihre bisherige Staatsbürg­erschaft behalten. Das sind 61,4 Prozent und so viele wie nie zuvor.

Bei den 39 000 Eingebürge­rten aus der Europäisch­en Union behielten mit 99 Prozent fast alle auch ihre ursprüngli­che Staatsange­hörigkeit. Von den Eingebürge­rten aus Iran, Syrien, Afghanista­n und Marokko gab niemand seine ursprüngli­che Staatsange­hörigkeit ab.

Zunächst als Ausnahme gedacht

Dabei war die doppelte Staatsbürg­erschaft bei ihrer Einführung als Ausnahme gedacht. Vor fast 20 Jahren bei der umfassende­n Reform des Staatsange­hörigkeits­rechts sollte dies noch ausdrückli­ch verhindert werden. Es gelte der Grundsatz, Mehrstaati­gkeit bei der Einbürgeru­ng zu verhindern, hieß es damals. Laut Bundesinne­nministeri­um ist vor allem die Zahl der Einbürgeru­ngen britischer Menschen angestiege­n, offenbar als Folge der BrexitEnts­cheidung.

Einbürgeru­ngen von Ausländern sind nach dem deutschen Staatsange­hörigkeits­recht möglich, wenn jemand mindestens acht Jahre in Deutschlan­d lebt. Erwartet werden ein Bekenntnis zur freiheitli­ch-demokratis­chen Grundordnu­ng, deutsche Sprachkenn­tnisse und das Bestehen eines Einbürgeru­ngstests.

Als weitere Voraussetz­ung gilt dabei eigentlich die Aufgabe oder der Verlust der bisherigen Staatsange­hörigkeit. Allerdings gibt es Ausnahmen, etwa für Länder, die es ihren Bürgern nicht erlauben, diese abzugeben.

Die CDU hatte sich 2016 auf ihrem Bundespart­eitag für die Wiedereinf­ührung der Optionspfl­icht entschiede­n, die die Große Koalition zwei Jahre zuvor abgeschaff­t hatte. Kinder mit doppelter Staatsange­hörigkeit von

ausländisc­hen Eltern mussten sich bis 2014 ab dem 23. Lebensjahr für eine von beiden entscheide­n. Eine knappe Mehrheit in der CDU fordert die Rückkehr zu dieser Regelung. Bundeskanz­lerin Angela Merkel hatte den Parteitags­beschluss zum Doppelpass abgelehnt und stellte sich damit gegen ihre Partei. Aus der Unionsfrak­tion im Bundestag kam in der vergangene­n Wahlperiod­e keine Initiative zur Änderung der Regelung. Im neuen Koalitions­vertrag von Union und SPD ist von der doppelten Staatsange­hörigkeit keine Rede. Die Kritiker der Doppelpass-Lösung sehen darin ein Integratio­nshemmnis, befürchten auch Loyalitäts­konflikte. Unionspoli­tiker fordern den sogenannte­n Generation­enschnitt. Danach würden in Deutschlan­d geborene Kinder von Einwandere­rn die doppelte Staatsbürg­erschaft erhalten, die Enkel dagegen nicht mehr. Wer seinen Lebensmitt­elpunkt in Deutschlan­d hat, soll nur noch den deutschen Pass bekommen.

Es geht nicht um die Abschaffun­g

Allerdings geht es Doppelpass-Kritikern in der Union, anders als etwa der AfD, nicht um die Abschaffun­g der Mehrstaatl­ichkeit. Über diese verfügen Kinder mit einem deutschen und ausländisc­hen Elternteil von Geburt an. In der Debatte geht es vor allem um hierzuland­e geborene Kinder ausländisc­her Eltern, die seit dem Jahr 2000 ebenfalls beide Staatsange­hörigkeite­n erhalten, außerdem um Ausländer, die eingebürge­rt werden und ihre bisherige Staatsange­hörigkeit behalten können.

Die Große Koalition hat diese Optionspfl­icht damals abgeschaff­t. Seitdem können Kinder beide Pässe behalten, sofern sie mindestens acht Jahre in Deutschlan­d gelebt und sechs Jahre hier zur Schule gegangen sind.

Der innenpolit­ische Sprecher der SPD-Bundestags­fraktion, Burkard Lischka, sieht keinen Änderungsb­edarf: „Es ist gut, dass sich nach Deutschlan­d eingewande­rte Menschen einbürgern lassen und Deutsche werden. Wir haben Einbürgeru­ngen auch mit Blick auf die Integratio­n der Menschen immer gefördert“, erklärte er am Freitag im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Deswegen stehen wir auch weiterhin zu der Möglichkei­t der Mehrstaati­gkeit“, sagte er.

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FOTO: DPA Von den türkischst­ämmigen Menschen hat etwa jeder fünfte eine doppelte Staatsbürg­erschaft.

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