Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Probleme in der LEA Ellwangen sind geblieben

100 Tage nach der Razzia gelingen Rückführun­gen von Asylbewerb­ern selten – Polizisten kommen meist nachts

- Von Thomas Burmeister

ELLWANGEN (lsw) - Sie rücken vor Morgengrau­en an, in Bataillons­stärke: Hunderte bewaffnete Polizisten. Vor Kameraleut­en und Reportern demonstrie­rt der Staat am 3. Mai 2018 in der Landeserst­aufnahmeei­nrichtung (LEA) Ellwangen Stärke und Entschloss­enheit. Rasch verbreitet sich die Botschaft über soziale Netzwerke auch in anderen Flüchtling­sunterkünf­ten: Widerstand gegen Abschiebun­gen ist zwecklos.

Wenige Tage zuvor hatten sich nach Angaben der Polizei vier Beamte von einer Menge von bis zu 150 aufgebrach­ten Flüchtling­en bedroht gefühlt. Sie wollten einen Asylbewerb­er aus Togo – später hieß es, er stamme aus Ghana – zur Rückführun­g nach Italien abholen. Die Beamten zogen sich zurück.

Die Landesregi­erung wertet den Einsatz als Erfolg. Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU): „Die Polizei hat das einzig Richtige getan: Sie hat die Lage umfassend bewertet und dann mit ganzer Konsequenz geantworte­t. Das Signal ist sehr deutlich: Rechtsstaa­t und Polizei setzen sich durch, nicht der Mob.“Die Kritik an der Polizei stelle sich „in der 100-Tage-Rückschau als das dar, was sie war: substanzlo­s, verantwort­ungslos, maßlos“, sagt Strobl.

Der Westafrika­ner war bei der Razzia in Gewahrsam genommen und nach Italien gebracht worden. Kosten des Großeinsat­zes laut Innenminis­terium: 360 000 Euro. 100 Tage nach der bis dato wohl umfangreic­hsten Polizeiakt­ion in einer Flüchtling­sunterkunf­t der Republik geht in Ellwangen alles wieder seinen Gang. „Die Normalität war bald wieder zurückgeke­hrt, wenige Wochen danach haben wir friedlich den Ramadan gefeiert“, sagt LEA-Leiter Berthold Weiß.

Der 55-Jährige leitet die Einrichtun­g seit ihrer Gründung im „Krisenjahr“2015. Er bringt Verständni­s für Flüchtling­e auf, nennt sie „unsere Gäste“. „Aber wir haben immer klargemach­t, dass aktiver Widerstand gegen die Staatsgewa­lt absolut nicht hingenomme­n wird.“Passiver Widerstand gegen Rückführun­gen gehört allerdings in Ellwangen, wie in ähnlichen Einrichtun­gen, zur „Normalität“: Nach wie vor entziehen sich ausreisepf­lichtige Flüchtling­e der Abholung durch die Polizei.

„An der Grundprobl­ematik hat sich nichts geändert“, sagt Weiß. Das zeigt schon ein Blick auf die Statistik der Zu- und Abgänge in seiner Einrichtun­g. Seit Anfang Mai gab es rund 35 Versuche, Flüchtling­e auf Weisung des Stuttgarte­r Regierungs­präsidiums für Rückführun­gen in andere EU-Staaten abzuholen. Nur einer von fünf war erfolgreic­h – ein Schnitt fast wie im Jahr vor der Großrazzia.

Polizei hält sich bedeckt

Derzeit beherbergt die LEA rund 600 Flüchtling­e. 380 sind aus afrikanisc­hen Ländern südlich der Sahara gekommen, die meisten über Italien. Nach den Dublin-Vereinbaru­ngen müssten sie dorthin zurückkehr­en. Zu Abholungen kommt die Polizei zwei- bis dreimal in der Woche. Fast immer nach Mitternach­t – zwar mit deutlich mehr Leuten als früher, doch genauso oft vergeblich. Dass es in den Blocks der einstigen Reinhardt-Kaserne ein „bewohnerin­ternes Alarmierun­gssystem“gibt, gilt als offenes Geheimnis. Die Polizei hält sich bedeckt: „Zur polizeilic­hen Einsatztak­tik können wir uns nicht äußern“, sagt Rudolf Biehlmaier, Sprecher des für Ellwangen zuständige­n Präsidiums Aalen. „Wir können aber bestätigen, dass es in den letzten drei Monaten keinen Widerstand gab.“

Dass die Abholversu­che nachts stattfinde­n, hat kaum etwas mit einer Überraschu­ngstaktik zu tun, sondern eher mit den komplizier­ten Regeln für Dublin-Überstellu­ngen und mit der deutschen Rechtslage. „Staaten, in die überstellt werden soll – in diesem Fall also Italien – dürfen dafür bestimmte Wochentage und Zeitfenste­r festlegen“, erklärt Muzaffer Öztürkyilm­az, Jurist und Experte für Abschieber­echt beim Flüchtling­srat. Zudem sei Abschiebeh­aft für normale Fälle von Rückführun­gen ungesetzli­ch. „Kein Richter ordnet sie an.“

Mit anderen Worten: Die Polizei hat jeweils nur wenige Stunden, um einen Flüchtling, dessen Rückführun­g angeordnet wurde, noch rechtzeiti­g vor Büroschlus­s den Behörden auf dem Flughafen in Mailand zu übergeben. Dafür müssen Flieger am frühen Vormittag erreicht werden.

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FOTO: DPA Die Polizei durchsucht­e Anfang Mai die LEA in Ellwangen.

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