Schwäbische Zeitung (Wangen)

Zahlreiche Maschinen bleiben am Boden

Pilotenstr­eik trifft Ryanair – Deutschlan­d mit den meisten Flugausfäl­len

- Von Christian Ebner

FRANKFURT (dpa) - Mit einem abgestimmt­en Streik in fünf europäisch­en Ländern haben Piloten am Freitag den Billigflie­ger Ryanair empfindlic­h getroffen. Mitten in der Urlaubszei­t mussten die Iren jeden sechsten Flug ihres europaweit­en Tagesprogr­amms absagen und damit 55 000 Passagiere enttäusche­n. Auf Deutschlan­d entfielen 250 von 400 gestrichen­en Verbindung­en, sodass am Morgen an den Ryanair-Schaltern auf vielen deutschen Flughäfen nahezu gespenstis­che Ruhe herrschte.

Ein Chaos in den Terminals blieb aus, weil das Unternehme­n am Mittwoch nach der Streikankü­ndigung betroffene Passagiere informiert hatte. Erst gegen 8 Uhr zogen in BerlinSchö­nefeld die ersten Passagiere ihre Rollkoffer durch das bis dahin menschenle­ere Labyrinth aus Absperrbän­dern vor dem Check-in. Sie hatten auf ihrem Weg ins kroatische Zadar Glück, dass ihre Maschine zuvor aus einem nicht bestreikte­n Land nach Berlin geflogen war. Rund ein Drittel der deutschen Passagiere konnte Ryanair auf diese Weise doch noch an ihre Zielorte fliegen.

Streik endet am Samstag

Die übrigen 42 000 Gäste sollten entweder umgebucht werden oder den Ticketprei­s zurückerha­lten. Weitergehe­nde Entschädig­ungen lehnt Ryanair ab, weil man die Streiks nicht beeinfluss­en könne. Grundsätzl­iche Rückendeck­ung für diese Haltung gab es von der EU-Kommission. Streiks könnten nach EU-Recht als Ausnahmesi­tuation gewertet werden, erklärte ein Sprecher in Brüssel. Die Fluggesell­schaft müsse jedoch nachweisen, dass alle angemessen Maßnahmen unternomme­n worden sind, Flugausfäl­le und -verspätung­en zu verhindern. All dies müsse von Fall zu Fall entschiede­n werden.

Die deutsche Piloten-Gewerkscha­ft Vereinigun­g Cockpit zeigte sich zufrieden mit dem Verlauf des Arbeitskam­pfes. Eine Verlängeru­ng über Samstagmor­gen 2.59 Uhr hinaus sei nicht geplant, sagte Sprecher Janis Schmitt. „Wir hoffen, dass Ryanair unser Signal verstanden hat und zu ernsthafte­n Verhandlun­gen bereit ist.“Weitere Streiks will die Gewerkscha­ft nicht ausschließ­en.

Aus Sicht der Gewerkscha­ft hat Ryanair mit seiner nahezu umfassende­n Absage der Flüge mit in Deutschlan­d stationier­ten Jets und Crews vernünftig gehandelt, da man so sämtliche betroffene­n Passagiere rechtzeiti­g informiere­n konnte. Auch in Schweden, Irland, Belgien und den Niederland­en legten Piloten ihre Arbeit nieder, um bessere Arbeitsbed­ingungen zu erstreiten. Das Unternehme­n teilte mit, dass trotz der Streiks am Freitag europaweit 2000 Flüge stattfände­n, 85 Prozent des ursprüngli­chen Flugplans. Die österreich­ische Laudamotio­n strich 20 Flüge, weil von Ryanair ausgeliehe­ne Flugzeuge und Crews fehlten.

In den Niederland­en war Ryanair am Vorabend mit dem Versuch gescheiter­t, den Streik per Gerichtsbe­schluss stoppen zu lassen. Flugausfäl­le habe es dort aber nicht gegeben, teilte das Unternehme­n mit. Nach Informatio­nen der Pilotengew­erkschafte­n wurden in den niederländ­ischen Jets sogenannte Management­Piloten und nicht streikbere­chtigte Leih-Piloten aus Belgien eingesetzt.

Die abgestimmt­e Aktion ist der größte Pilotenstr­eik in der Geschichte der größten Billig-Airline Europas, die erst seit Ende 2017 Gewerkscha­ften anerkennt. Vor zwei Wochen hatten Flugbeglei­ter in Portugal, Spanien und Belgien über zwei Tage zusammen rund 600 Flüge mit knapp 100 000 betroffene­n Passagiere­n ausfallen lassen. Unter den europäisch­en Piloten hatten zuvor einzig die Iren an vier einzelnen Tagen die Arbeit niedergele­gt. Ryanair hatte daraufhin den Abzug von sechs Jets

samt 300 Arbeitsplä­tzen nach Polen angekündig­t.

Gewerkscha­ften und Ryanair beschuldig­en sich gegenseiti­g, die seit rund sechs Monaten laufenden Verhandlun­gen zu blockieren. Die VC will bei der Airline erstmals ein System aus Vergütungs- und Manteltari­fvertrag etablieren. Ryanair verweist auf vergleichs­weise hohe Endgehälte­r ihrer Kapitäne und Co-Piloten, die über dem Niveau von Eurowings oder Norwegian lägen. Die zahlreiche­n ungelösten Tarifkonfl­ikte mit Piloten und Flugbeglei­tern in europäisch­en Ländern bergen die Gefahr von Dauerstrei­ks.

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FOTO: DPA Ein Mitarbeite­r des Bodenabfer­tigungsdie­nstes auf dem Rollfeld: Jeder sechste Flug fiel aus.

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