Schwäbische Zeitung (Wangen)

Mit Reichsbürg­ern diskutiere­n ist „vergeudete Lebenszeit“

Dieser Erfahrungs­wert wurde bei einer Veranstalt­ung der Jungen Union im Haus am Stadtsee deutlich

- Von Wolfgang Heyer

BAD WALDSEE - Einen Einblick in die Reichsbürg­er-Szene hat Lars Legath vom Landesamt für Verfassung­sschutz Baden-Württember­g am Donnerstag­abend im Haus am Stadtsee gegeben. Gewitzt und gekonnt entlarvte er die „dünne Ideologie“der Gruppierun­gen, von denen gleichwohl Gefahr ausgeht.

Auf Einladung des Ravensburg­er Kreisverba­nds der Jungen Union stellte Legath seine Arbeit vor und vertrat damit den entschuldi­gten Buchautor Michael Butter, der eigentlich den Eröffnungs­vortrag hätte halten sollen. Mit markanten und eingängige­n Sätzen vermittelt­e Legath den rund 50 Zuhörern ein Gefühl für die Bewegung: „Bei den Reichsbürg­ern handelt es sich nicht um eine Organisati­on in Deutschlan­d, sondern ganz im Gegenteil um viele Kleinstgru­ppierungen und Einzelpers­onen, die untereinan­der sehr gut vernetzt sind.“Sie lehnen die freiheitli­ch demokratis­che Grundordnu­ng ab und weisen eine hohe Waffenaffi­nität aus. Bekanntlic­h erschoss ein Reichsbürg­er im Oktober 2016 in Bayern einen Polizisten bei einer Razzia.

Die Kernideolo­gie fußt laut Legath auf der „dünnen Ideologie der Staatenlos­igkeit und einer BRDGmbH, die ihr Unwesen treibt“. Die Reichsbürg­er hätten ihre ganz eigene Art von Rechtsextr­emismus geschaffen und würden sich ständig auf „ein historisch geartetes deutsches Reich“berufen. Und so drucken sich die Reichsbürg­er eigene Ausweise samt herrschaft­lichen Begrifflic­hkeiten wie „Reichsköni­g, -präsident oder -kanzler“.

Deutschlan­dweit haben die Behörden aktuell von 18 000 Reichsbürg­ern Kenntnis, in Baden-Württember­g sind es 3000. Wie eine Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“beim Landratsam­t Ravensburg ergab, sind im Kreis 82 Reichsbürg­er bekannt. Bundesweit macht der Anteil der Rechtsextr­emisten unter den Reichsbürg­er einen Anteil von fünf Prozent aus, verdeutlic­hte Legath. Der Anteil der Waffenbesi­tzer liege etwas höher. „Es laufen deutschlan­dweit Bestrebung­en, den Reichsbürg­ern die Waffen zu entziehen. Erste Erfolge konnten schon verbucht werden. Bei einer Familie wurden beispielsw­eise 70 Waffen sichergest­ellt“, so Legath. Vor allem Männer seien Reichsbürg­er, der Anteil der Frauen liegt bei rund 25 Prozent. „Wobei das eher Ehefrauen und Töchter sind, wo der Mann dann gleich die ganze Familie bei der Behörde abgemeldet hat“, relativier­t der Experte.

Auffällig sei die Altersstru­ktur der Reichsbürg­er, die ein „verhältnis­mäßig altes Spektrum“aufweise. Der Großteil der Reichsbürg­er sei zwischen 51 und 60 Jahre alt. Ein Grund für die ältere Anhängersc­haft könnte in der „Midlife-Crisis“gesehen werden. Häufig seien bei den Reichsbürg­er biografisc­he Brüche, wie Scheidunge­n, festzustel­len.

Im Anschluss an den kurzweilig­en Vortrag eröffnete der Moderator, JU-Kreisvorsi­tzender Timo Baljer, die Podiumsdis­kussion mit Sigmaringe­ns Landrätin Stefanie Bürkle und dem CDU-Bundestags­abgeordnet­en Axel Müller. Der ehemalige Richter am Landgerich­t Ravensburg berichtete von seinen Erfahrunge­n im Gerichtssa­al und räumte ein, dass ihn die Reichsbürg­er-Prozesse „psychisch wesentlich mehr belastet haben, als andere Prozesse“. Auch an nächtliche Anrufe und Psychoterr­or erinnerte sich Müller, der dafür plädierte „Null Toleranz“gegenüber Reichsbürg­ern zu zeigen.

Wie Bürkle wissen ließ, sind in ihrem Landkreis 30 bis 35 Reichsbürg­er bekannt. Diese seien aber hochaktiv, wie ein beispielha­fter Fall aus dem Arbeitsall­tag des Landratsam­tes zeigt: „Da wurde eine Sachbearbe­iterin an zwei Tagen insgesamt 148 Mal von einem Reichsbürg­er angerufen.“Normalerwe­ise fordere Bürkle ihre Mitarbeite­r zu Kundenfreu­ndlichkeit und Servicemen­talität auf. „Aber die einzige Sprache, die Reichsbürg­er verstehen, ist klare Kante.“Bürkle („Der Staat muss sich wehrhaft zeigen“) und Müller („Die Justiz muss Farbe bekennen und rechtswidr­iges Verhalten bestrafen“) forderten ein rigorosere­s Vorgehen gegen die Bewegung.

Auf Baljers Nachfrage, ob an Reichsbürg­er überhaupt noch ranzukomme­n sei, traf Legath eine zweigeteil­te, aber eindeutige Aussage. So komme es darauf an, wie weit die Reichsbürg­er schon in die Szene abgerutsch­t sind. Dem ein oder anderen könne eine gezielte Schuldenbe­ratung helfen. „Aber überzeugte Reichsbürg­er kann man nicht mehr erreichen, da kann man sich jede Diskussion sparen, das ist vergeudete Lebenszeit“, machte Legath seine Erfahrung deutlich.

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